Hand, Waschen, Spüle, Arzt, Putzfrau
Ärztin oder Putzfrau? (Symbolfoto) © Todd Baker << technowannabe auf flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Eine Stunde Hilfe/Monat/m²

Programm „Wohnen für Hilfe“ bietet Studierenden kostenlose Unterkunft

Ali Fakhri, einst Flüchtling aus Afghanistan, wohnt kostenlos als Mieter und hilft dafür einer älteren Dame im Haushalt: Diesen Deal vermittelt eine Münchner Initiative seit mehr als 25 Jahren mit Erfolg. 850 Wohnpartnerschaften kamen so zustande.

Von Mittwoch, 20.04.2022, 21:00 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 20.04.2022, 12:44 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

„Entscheidend sind die kleinen Sachen“, sagt Christa Bartels. Kleine Sachen – darunter fällt zum Beispiel das Wechseln der Batterien in der Wanduhr, das Schneeschippen im Winter oder das Rausbringen der Mülltonne. Das erledigt in dem Haus in Deisenhofen, einer kleinen Gemeinde im Süden Münchens, seit 2019 Ali Fakhri. Er ist aus Afghanistan geflüchtet, hat Asyl erhalten und wohnt in einem 14-Quadratmeter-Zimmer unter dem Dach. „Wohnen für Hilfe“ nennt sich das Programm, an dem er teilnimmt: Er zahlt keine Miete und hilft dafür der Seniorin Christa Bartels im Haushalt. Seit gut 25 Jahren bietet der Münchner Seniorentreff Neuhausen dieses Hilfsangebot an.

In dem Vierteljahrhundert wurden fast 850 solcher Wohnpartnerschaften vermittelt, berichtet Ursula Schneider vom Seniorentreff. Das Konzept von „Wohnen für Hilfe“ beruhe auf der Idee der nachbarschaftlichen Hilfe und der Solidarität zwischen den Generationen. Es ist ein Angebot für alte Menschen, die in den eigenen vier Wänden bleiben wollen, aber Hilfe im Alltag benötigen. Auf der anderen Seite ist das Programm für Studierende und Auszubildende gedacht, die neugierig auf den Austausch mit älteren Menschen sind.

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Ali Fakhri ist der dritte Mieter der 88-jährigen Witwe Christa Bartels im Rahmen des Programms. Der 40-Jährige kam 2015 als Flüchtling aus Afghanistan nach Deutschland. Nach seiner Anerkennung als Asylbewerber begann er an der Technischen Universität in München Umweltingenieurwesen zu studieren. Damals lebte er in einer Flüchtlingsunterkunft, „aber weil es so laut war, konnte ich mich nur schwer auf den Lernstoff konzentrieren“, berichtet Fakhri. Eine Sozialarbeiterin machte ihn auf das Programm „Wohnen für Hilfe“ aufmerksam. Nach einem Gespräch mit der Hausbesitzerin zog der Student im September 2019 bei ihr ein.

Eine Stunde Hilfe/Monat/Quadratmeter

Seitdem kümmert er sich, wenn etwas im Haushalt zu reparieren ist, macht Einkäufe oder schließt den Gartenschlauch an und wässert den Rasen. Offiziell lautet die Formel: Pro Quadratmeter Wohnfläche soll eine Stunde Hilfe im Monat geleistet werden. Dafür entfällt die Kaltmiete, für die Nebenkosten ist eine Pauschale zu zahlen.

Bei Ali Fakhri und Christa Bartels wären das also 14 Stunden Hilfe im Monat, so genau wird das aber nicht abgerechnet. „Bedeutsam ist die Möglichkeit der Kommunikation“, sagt die Seniorin, „gerade in Corona-Zeiten.“ Ab und zu kocht Ali Fakhri ein heimisches Gericht für beide. Das Zusammenleben der beiden scheint gut zu funktionieren.

Senioren und Studierende – eine sensible Sache

Christa Bartels‘ Familie weiß über den Untermieter Bescheid. Die Verwandten sind beruhigt, dass ein Helfer im Haus ist. Hinzu kommt die Betreuung durch den Verein des Seniorentreffs. Ursula Schneider ruft alle vier Wochen an und erkundigt sich, wie die Dinge laufen.

Da das Zusammenleben von Senioren und Studierenden eine sensible Sache ist, legt der Seniorentreff Neuhausen großen Wert auf ein vorheriges persönliches Kennenlernen. Danach entscheiden sich beide Seiten, ob sie es zusammen probieren wollen. „Uns ist es ein großes Anliegen, dass die Wohnpaare sich sympathisch finden und zusammen passen“, heißt es beim Seniorenverein.

Vier Wochen Probezeit

Die ersten vier Wochen des gemeinsamen Wohnens gelten als Probezeit. In dieser Zeit kann die Wohnpartnerschaft von beiden Seiten sofort beendet werden. Danach kann dem Mieter spätestens zum 10. eines Monats zum Monatsende schriftlich gekündigt werden.

In manchen Wohnpartnerschaften gibt es Probleme, das sei aber eher selten, zieht Ursula Schneider nach mehr als 25 Jahren Bilanz. So seien manche Studierende, die auch noch einen Nebenjob haben, mit der Hilfe im Haushalt überfordert. Neu sei in diesem Jahr, dass es erstmals seit Bestehen von „Wohnen für Hilfe“ zu wenig junge Bewerber gebe. Derzeit sind im Landkreis München vier Wohnungsmöglichkeiten unbesetzt. (epd/mig) Leitartikel Panorama

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