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Ukrainische Flüchtlinge am Grenzübergang zu westlichen Nachbarstaaten.

Schwarze von Flucht abgehalten

Faeser sagt Unterstützung für Ukraine-Flüchtlinge zu

Bundesinnenministerin Faeser hat Flüchtlingen aus der Ukraine „jede mögliche Unterstützung“ zugesagt. UN-Angaben zufolge sind bereits 368.000 Menschen auf der Flucht, bis zu vier Millionen könnten es werden. Augenzeugenberichten zufolge werden Schwarze von der Flucht abgehalten. EU-Innenkommissarin will sogenannte Massenzustrom-Richtlinie aktivieren.

Sonntag, 27.02.2022, 17:32 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 27.02.2022, 20:09 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat umfassende Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine versprochen. Der Bund werde „jede mögliche Unterstützung leisten“, sagte sie dem Boulevardblatt „Bild am Sonntag“. „Wir sind vorbereitet und sehr aufmerksam hinsichtlich aller denkbaren Auswirkungen dieses Krieges.“ Es gehe nun darum, schnell, solidarisch und gemeinsam in Europa zu handeln. Die EU-Innenminister wollen noch über den Umgang mit Flüchtlingen aus der Ukraine beraten.

Russland hatte die Ukraine am Donnerstag angegriffen. Seitdem sind nach Angaben der Vereinten Nationen fast 368.000 Menschen (Stand Sonntag) in Nachbarländer geflüchtet, vor allem nach Polen, in die Slowakei, nach Ungarn, Moldau und Rumänien. Tausende weitere sind innerhalb der Ukraine auf der Flucht. Zudem irren den Angaben nach Binnenflüchtlinge durch die Ukraine. Durch die Gewalt wurden UN-Angaben zufolge bis Beginn des Freitags 127 Zivilisten verletzt oder getötet.

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Um Geflüchteten die Weiterreise zu erleichtern, hat die Deutsche Bahn am Sonntag mitgeteilt, Flüchtenden ab sofort die Nutzung aller Fernzüge aus Polen in Richtung Deutschland kostenlos zu erlauben. Polen hatte eine entsprechende Regelung bereits zuvor ermöglicht. Wie aus der Bahn-Mitteilung hervorgeht, gilt das allerdings nur für Geflüchtete mit ukrainischem Pass oder Personalausweis. Bei vielen Menschen stößt diese Einschränkung auf Unverständnis. Im Kurznachrichtendienst Twitter wird die Bahn zahlreich aufgefordert, die Freifahrt auszuweiten auch auf Menschen ohne ukrainischen Pass.

Rassismus bei der Flucht

Mehreren voneinander unabhängigen Augenzeugenberichten zufolge werden Flüchtende an der ukrainisch-polnischen Grenze nach ihrer Hautfarbe ausgesondert. Journalist Malcolm Ohanwe schreibt im Twitter „Ich habe mit einer nigerianischen Studentin videotelefoniert, die gerade in der Ukraine um ihr Leben bangt. Sie erzählt, dass sie und andere Afrikaner von Weißen aus Zügen geschubst wurden, in Gebäude nicht reingelassen wurden und allesamt ziemlich verstreut und verloren sind.“

Weiteren Berichten im Twitter zufolge werden flüchtende Schwarze Menschen nicht in Busse Richtung Polen aufgenommen oder werden nach stundenlangem Ausharren in eisiger Kälte an der polnischen Grenze zurückgewiesen. Buchautorin Jasmina Kuhnke kritisiert die Vorwürfe im Twitter: „Afrikanische Studierende, die aus der Ukraine vor dem Krieg flüchten, werden an Polens Grenzen angewiesen. Das zeigt wieder einmal ganz deutlich, besonders weißes, christliches Leben ist hier schützenswert. Wenn du überleben willst, sei bloß nicht Schwarz!“

Appell: Auch Schwarzen Flucht ermöglichen

Auch die Journalistin Sibel Schick findet deutliche Worte: „Rassismus ist Maßstab für Solidarität. Was ich seit Tagen höre: Es seien doch zivilisierte Länder, diesmal seien die Flüchtende gebildet. Der Krieg sei ja so traurig, weil Sterbende blond und blauäugig sind. Grenzen bleiben geschlossen für jene Flüchtende, die nicht weiß sind.“

Aminata Touré, Grünen-Abgeordnete in Schleswig-Holstein, bittet die Bundesregierung sich „dafür einzusetzen, dass auch Schwarze Menschen und weitere Minderheiten, die versuchen diesem Krieg zu entfliehen, dies tun können“. Der Bundesverband ausländischer Studierender richtet ebenfalls einen Appell an die Bundesregierung. Kritisch kommentiert wird in den sozialen Medien auch, die „plötzliche“ Solidarität von Ländern wie Ungarn oder Polen mit Geflüchteten. Diese hatten die Aufnahme von Afghanen, Syrern oder Schutzsuchenden aus anderen afrikanischen Ländern mit Verweis auf mangelnde Kapazitäten abgelehnt.

UNHCR befürchtet bis zu vier Millionen Flüchtlinge

Wie die UNHCR mitteilt, wird die Zahl der Flüchtlinge weiter ansteigen. Bis zu vier Millionen Menschen könnten vor der Gewalt aus dem Land flüchten, warnte die Sprecherin des Hilfswerks UNHCR, Shabia Mantoo. Der Repräsentant der Weltgesundheitsorganisation in der Ukraine, Jarno Habicht, betonte, er sei tief besorgt über die humanitäre Lage der Menschen in dem Land. Sicherheit, Gesundheit und Wohlergehen der Bevölkerung seien durch die Feindseligkeiten in großer Gefahr. Die Bestände an Medikamenten in dem osteuropäischen Land gehen den Angaben nach zur Neige.

Die Gewalt werde auch die Impfkampagnen gegen Covid-19 behindern. In der Ukraine seien weniger als die Hälfte der Menschen gegen die Krankheit vakziniert. Das Kinderhilfswerk Unicef warnte vor den Folgen des Krieges für die 7,5 Millionen Kinder in der Ukraine. Sie litten unter Angst und Furcht, müssten vor der Gewalt fliehen und könnten in dem Chaos von ihren Eltern getrennt werden.

Organisationen verteilen Hilfsgüter

Derweil haben Hilfsorganisationen mit der Verteilung von Hilfsgütern in der Ukraine begonnen. Die Malteser versorgten Geflüchtete in der Stadt Iwano-Frankiwsk mit Zelten, Feldbetten, Decken und Lebensmitteln, wie die Organisation am Sonntag in Köln mitteilte. Die Johanniter verteilten in einer ersten Aktion in der von den russischen Streitkräften eingekesselten Stadt Poltawa nach eigenen Angaben 2.600 Hilfspakete. Die Caritas stockte ihre Nothilfemittel für die Ukraine um 500.000 Euro auf.

Außerdem würden die Geflüchteten medizinisch und psychologisch betreut. Die Malteserverbände in den ukrainischen Anrainerstatten wie Polen, Rumänien oder Ungarn hätten ihre Mitarbeitenden an die Grenzen entsandt und leisteten dort Hilfe für Geflüchtete aus der Ukraine, sagte Clemens Graf von Mirbach-Harff, Generalsekretär von Malteser International. Am dringendsten würden medizinisches Verbrauchsmaterial, Hygieneartikel und Trinkwasser benötigt.

Folgen für arme Länder befürchtet

Unterdessen befürchtet die SPD-Politikerin Sanae Abdi Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine auf die Lebensmittelversorgung in ärmeren Ländern. Die Ukraine sei ein großer Exporteur von Getreide, sagte die entwicklungspolitische Sprecherin am Sonntag in der Sondersitzung des Bundestags zur Lage in der Ukraine. Länder wie Ägypten, Libyen und der Jemen importierten große Mengen an ukrainischem Weizen.

„Eine jetzt zu erwartende Verknappung der Lebensmittelversorgung und erhöhte Preise können einen Dominoeffekt auslösen“, sagte Abdi. Der Krieg könne gravierende Auswirkungen für die Länder des globalen Südens haben. Die Verknappung könne innerstaatliche Konflikte verstärken oder neu anfachen. „Auch aus entwicklungspolitischer Perspektive steht derzeit eine Menge auf dem Spiel“, sagte die Abgeordnete mit Blick auf den russischen Angriff.

Bundesregierung setzt auf Aufrüstung

Am Sonntag vollzog Deutschland eine verteidigungspolitische Kehrtwende. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gab im Bundestag in Berlin die bisherige deutsche militärische Zurückhaltung auf und kündigte eine deutliche Aufrüstung zur Wahrung der Sicherheit in Europa an. In seiner Regierungserklärung sagte er, dass ein „Sondervermögen Bundeswehr“ im Bundeshaushalt 2022 einmalig mit 100 Milliarden Euro ausgestattet werden soll. Zudem kündigte er an, dass Deutschland von nun an „Jahr für Jahr“ mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investieren werde. 2021 lag der Verteidigungsetat bei rund 47 Milliarden Euro.

Update: EU-Innenkommissarin will Richtlinie aktivieren

Nach einem Sondertreffen der EU-Innenminister hat sich die zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson für eine unbürokratische Lösung bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus Ukraine ausgesprochen. Es sei an der Zeit, die EU-Richtlinie aus dem Jahr 2001 zu aktivieren, sagte die Schwedin am Sonntagabend in Brüssel. Gemeint ist die sogenannte Massenzustrom-Richtlinie, die Kriegsflüchtlingen ohne ein aufwendiges Asylverfahren Schutz in der EU garantiert. Unterstützung findet die Aktivierung dieser Richtlinie auch beim Vorsitzenden des EU-Innenminister-Rats, dem französischen Ressortchef Gérald Darmanin.

Darmanin kündigte an, das Thema auf die Tagesordnung des nächsten regulären Treffens der EU-Innenminister am Donnerstag zu setzen. Er hofft dort auf eine qualifizierte Mehrheit für die Aktivierung des Mechanismus. Johansson sagte, beim Treffen am Sonntag habe sich die Mehrheit der Ministerinnen und Minister für die Aktivierung der Richtlinie ausgesprochen. Nicht alle seien aber der Auffassung, dass jetzt schon der richtige Zeitpunkt dafür sei. Mit ihnen solle im Verlauf der Woche noch geredet werden.

Die Richtlinie aus dem Jahr 2001 verfolgt die Idee, dass im Fall einer großen Fluchtbewegung in die EU vorübergehend vereinfacht ein Schutzstatus erteilt wird, um eine Überlastung der Asylbehörden zu vermeiden. Die deutsche Rechtsgrundlage für den Mechanismus ist in Paragraf 24 des Aufenthaltsgesetzes umgesetzt. Die Richtlinie sieht auch eine solidarische Verteilung der Schutzsuchenden innerhalb der Europäischen Union vor – ein in der EU seit Jahren umstrittenes Thema, weil nicht alle Mitgliedsstaaten bislang mehr Flüchtlinge aufnehmen wollten. Johansson betonte, der Solidaritätsmechanismus der Richtlinie beruhe auf Freiwilligkeit. (epd/mig) Leitartikel Panorama

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