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Dr. Wilfried Kruse © privat, Zeichnung MiGAZIN

Corona-Krise

Keine Entwarnung für ganz viele Menschen

Migranten sind die großen Verlierer der Corona-Krise – Bildung, Soziales, Gesundheit. Migranten-Organisationen könnten die Folgen abmildern, werden von der Politik aber übersehen.

Von Freitag, 25.02.2022, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 25.02.2022, 9:44 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Mit dem Ausstiegsfahrplan aus den strikten Corona-Maßnahmen gibt es bei Vielen ein Aufatmen. Dies aber mit Entwarnung gleichzusetzen, wäre fatal: denn was würde nicht nur ignorieren, dass das Virus weiterhin aktiv ist, sondern auch, dass die sozialen Folgen der Corona-Krise Langzeitwirkungen haben. Wer jetzt zu „business as usual“ übergeht, nimmt inkauf, dass sich die sozialen Ungleichheiten weiter verschärfen, die mit dem Beginn der Corona-Krise ohnehin krasser wurden.

Bereits im April 2020 hat der Bundesverband Netzwerke von Migrantenorganisationen (BV NeMO) vor den gesundheitlichen und sozialen Folgen der Corona-Krise gewarnt – auch eines sich verstärkenden Rassismus. Wir wissen, wovon wir reden, weil wir mit 800 herkunftsübergreifend zusammengeschlossenen Vereinen nahe bei den Menschen mit Einwanderungs- und Fluchtgeschichte sind.

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Auch gesundheitliche Risiken sind ungleich verteilt

Was vor knapp zwei Jahren befürchtet wurde, ist leider in erheblichem Umfange eingetreten, und zwar nicht nur hinsichtlich negativer sozialer Folgen, z. B. für Kinder und Jugendliche in der Bildung, die durch das lahmende Sofortprogramm bei Weitem nicht aufgefangen werden, oder für Menschen in prekärer Beschäftigung oder für Geflüchtete in Gemeinschaftsunterkünften.

Sondern es zeigt sich, dass auch die gesundheitlichen Risiken für Menschen in schwierigen sozialen Lagen größer sind, und hierzu zählen oftmals auch Menschen mit Einwanderungs- und Fluchtgeschichte. Dies bestätigt eine aktuelle RKI-Studie, die sich zugleich gegen ein weit verbreitetes Vorurteil wendet: Die Impfquote ist niedriger, aber nicht die Impfbereitschaft.

Erreichbarkeit und Vertrauen

Es geht also um Erreichbarkeit: Wir wissen aus der Praxis von den anhaltenden Schwierigkeiten, sozial benachteiligte und damit „verletzliche“ Gruppen zu kontaktieren, von Verzweiflung und Not, aber auch von Erfolgen und Lichtblicken. Die größte Hilfe bei der Arbeit vor Ort ist, dass Aktive aus Migrant:innen-Organisationen einen Vertrauensbonus besitzen, der unverzichtbar ist, um insbesondere Menschen zu erreichen, denen Vieles bei uns noch fremd ist oder die aufgrund verschiedener Erfahrungen oder problematischer Informationen auch auf Distanz zu offiziellen Stellen und Informationen sind.

Mittlerweile betonen nahezu alle Corona-Expert:innen, was Migrant:innen-Organisationen seit Beginn der Krise für notwendig halten: eine viel stärker zielgruppenbezogene Aufklärung und Unterstützung. Auch die RKI-Studie plädiert dafür.

Migrant:innen-Organisationen: unermüdlich, wenig anerkannt

Erreichbarkeit und Vertrauen sind der Schlüssel und damit unverzichtbar. Seit Beginn der Corona-Krise gibt machen Migrant:innen-Organisationen das Angebot zu einer engen Zusammenarbeit. Nur selten ging die Politik auf dieses Angebot ein; auch ein erneuter Vorschlag an den neuen Gesundheitsminister und die Corona-Sprecher:innen der Ampelkoalition blieb bisher ohne Antwort. Diese Zurückhaltung ist kaum zu verstehen. Müssen nicht alle Optionen genutzt werden, damit sich soziale Ungleichheit und damit auch die Ungleichheit bei Gesundheit nicht weiter verschärft?

Die Ausstiegspläne aus den strikten Corona-Maßnahmen dürfen nicht als Entwarnung missverstanden werden. Das würde den Verharmlosern und Verschwörern in die Hände spielen. Ihnen muss auch jetzt entgegengetreten werden. Und was sich überhaupt nicht erledigt hat, ist: den Zugang zu Gesundheit und Gesundheitsdienstleistungen für alle so niedrigschwellig wie möglich zu machen.

Welche Weichen werden in den ersten 100 Ampel-Tagen gestellt?

Deshalb lautet einer unserer Forderungen an die neue Bundesregierung: Wir fordern in der noch fortwirkenden Pandemie die Sicherung gezielter Unterstützung und Orientierung vor Ort. Wir fordern die interkulturelle Öffnung des Gesundheitswesens und niedrigschwellige und vielfaltorientierte Zugänge.

Hier ist noch nicht viel an Weichenstellungen passiert. Und die ersten 100 Tage der neuen Regierung sind bald rum. Meinung

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