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Das Kongo-Monument in Brüssel/Belgien © corno.fulgur75 @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Rassistische Denkmäler

Die Kongo-Kolonie lebt in Brüssels Stadtbild weiter

1960 wurde der Kongo unabhängig, nach mehr als 70 Jahren belgischer Kolonialherrschaft. Aber in Belgiens Hauptstadt Brüssel begegnen Besuchern noch heute rassistische Bilder aus der Kolonialepoche.

Von Freitag, 28.01.2022, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 26.01.2022, 17:25 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Es ist ein kalter und windiger Tag in Brüssel, doch die schwarze Frau ist halbnackt, mit entblößten Brüsten. Sie hat ein Füllhorn im Arm, ein Symbol für Glück und Fruchtbarkeit. Die Schwarze schaut zu einer weißen, bekleideten Frau auf. Diese weist ihr gütig den Weg.

Das bronzene Denkmal am Eingang des Jubelparks ist nicht das einzige in Brüssel und Belgien, das verklärend an die blutige Kolonialzeit im Kongo erinnert. Andere Monumente zeigen Afrikaner mit wulstigen Lippen oder auf den Knien, wieder andere überlebensgroß und majestätisch König Leopold II., der die brutale Fremdherrschaft begründete. Mehr als 60 Jahre nach der Unabhängigkeit der Demokratischen Republik Kongo stehen sie da, als wäre zwischenzeitlich nichts gewesen.

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Marie-France Vodikulwakidi wehrt sich gegen Wind und Kälte mit einer dicken Winterjacke. Die im Kongo geborene Brüsselerin schaut auf die zwei Bronzefiguren, ihre Reaktion scheint zu schwanken zwischen belustigt und abgestoßen. Es werde hier das Bild der „schwarzen und wilden Frau“ vermittelt, das sie bedaure, sagt die 39-Jährige dann. „Dass man Afrikanerin ist, heißt nicht, dass man gerne seine Brüste zeigt, dass man gerne hypersexualisiert wird.“

„Scheuklappen“, um den Rassismus zu ignorieren

Vodikulwakidi stammt aus einer privilegierten Familie in Kinshasa, kam mit vier Jahren nach Belgien, wuchs auf Augenhöhe mit ihren weißen Schulkameradinnen auf, wie sie erzählt, hat Berufserfahrung unter anderem beim Fernsehen und als PR-Beraterin, ist Belgierin, spricht mehrere Sprachen und wohnt in einem guten Stadtviertel. Aber sie spricht auch von „Scheuklappen“, um den Rassismus zu ignorieren, der sich unter anderem in den Denkmälern ausdrückt.

Hintergrund: Die belgische Kolonialherrschaft im Kongo begründete König Leopold II. in den 1870er und 1880er Jahren. Der Monarch finanzierte Erkundungen, Eroberungen und Erwerbungen in dem riesigen Gebiet in Zentralafrika. Auf der Kongokonferenz in Berlin 1884-1885 erreichte Leopold eine internationale Anerkennung seiner Herrschaft über das Gebiet, das als „Kongo-Freistaat“ sein Privatbesitz wurde. Mit dessen Reichtümern – vor allem Elfenbein und Kautschuk – konnte er zum Beispiel prächtige Bauten in Brüssel finanzieren. Die Herrschaft über den Kongo war grausam, Menschen wurden getötet, unterdrückt und zur Arbeit gezwungen. Berüchtigt sind die Fotos von verstümmelten Kongolesen, denen Hände abgeschnitten wurden. 1908 vermachte der König den Kongo dem belgischen Staat. Belgisch-Kongo bestand bis zur Unabhängigkeit der Demokratischen Republik Kongo am 30. Juni 1960. Im Juni 2020 drückte der heutige König der Belgier, Philippe, in einem Schreiben an den Präsidenten der Demokratischen Republik Kongo, Felix-Antoine Tshisekedi Tshilombo, zum 60. Jahrestag der Unabhängigkeit sein „tiefstes Bedauern“ über die Verletzungen der Vergangenheit aus. Er sprach von „Akten der Gewalt und der Grausamkeit“ während der Zeit des Kongo-Freistaates und „Leiden“ und „Demütigungen“ in der Zeit als belgische Kolonie.

Das nächste davon liegt nur rund 100 Meter weiter im Jubelpark. Gebückt oder von unten her nähern sich Kongolesen aufrecht stehenden Weißen mit ihren Tropenhelmen und einem sitzenden Alten – womöglich soll es König Leopold sein, der in Wahrheit nie einen Fuß in seine Kolonie gesetzt hat -, als wollten sie Hilfe oder Führung erbitten. Oben auf dem Monument ein Leopold zugeschriebener Ausspruch: „Ich habe das Werk des Kongo unternommen im Interesse der Zivilisation und für das Wohl Belgiens.“ Ganz unten ein Schwarzer, wiederum halbnackt, mit Krokodil.

„Barbarei“ auf der einen, „Zivilisation“ auf der anderen Seite

Errichtet 1921 ist das Denkmal für den Brüsseler Geschichtsprofessor Guy Vanthemsche ein Paradebeispiel dafür, wie die Belgier sich und den Kongo damals sehen wollten. „Wildheit“ und „Barbarei“ auf der einen, „Fortschritt“ und „Zivilisation“ auf der anderen Seite.

Dass viele Monumente erst errichtet wurden, nachdem der Kongo 1908 vom Privatbesitz des Königs, dem sogenannten Kongo-Freistaat, zur belgischen Kolonie geworden war, ist Vanthemsche zufolge kein Zufall: „Das war ein Element, um belgischen Nationalismus zu entwickeln.“ Bei einem Land, das keine einheitliche Sprache oder tiefe historische Wurzeln besaß, dienten die Kolonie und das in den Denkmälern transportierte Bild demnach auch als einigendes Band.

„Rassistische Vorstellung der Epoche erklären“

Neben dem Kongo standen auch die heutigen Staaten Ruanda und Burundi zeitweise unter belgischer Kolonialverwaltung. Ein Belgier, der als weißer Kolonist nach Ruanda ging und dort mit einer Afrikanerin eine Familie gründete, war der Großvater von John Van Den Plas.

Van Den Plas, ein 40 Jahre alter Brüsseler, sieht die Denkmäler in ihrer heutigen, oft unkommentierten Gestalt ähnlich kritisch wie seine Verlobte Marie-France Vodikulwakidi. Beide würden die Zeugnisse der Vergangenheit zwar nicht einfach abreißen wollen. „Aber man muss die rassistische Vorstellung der Epoche erklären“, sagt Van Den Plas. Beispielsweise auf Hinweistafeln, und das nicht nur in Französisch, Niederländisch und Englisch. „Warum nicht auf Arabisch und Lingala?“ Lingala ist eine der Hauptsprachen im Kongo.

Umgang mit der Vergangenheit finden

Und Vodikulwakidi wünscht sich Denkmäler für „starke afrikanische Persönlichkeiten“ wie diejenigen, die 1960 in Brüssel am sogenannten Runden Tisch den Weg in die Unabhängigkeit verhandelt hätten.

Es ist in Brüssel aber auch eine weitere Art des Umgangs mit der Vergangenheit zu finden: Kunstwerke, die die Bildsprache klassischer Monumente aufnehmen, aber verfremden oder brechen. So wie ein Denkmal im Park des Afrika-Museums in Tervuren vor den Toren Brüssels. Zunächst mutet die Skulpturengruppe traditionell an: ein großer Elefantenkopf, Afrikaner mit Speeren, eine Büste Leopolds II.

Viele Denkmäler stehen noch

Doch eigentlich handele es sich um „eine Karikatur monarchistischer Denkmäler“ aus dem Jahr 1997, erklärt der Historiker Fabian Fechner von der Fernuniversität Hagen. Fechner macht auf „kuriose Elemente“ wie die Flamingos im Bassin vor der Gruppe aufmerksam und darauf, dass „die Afrikaner“ über dem Königskopf angeordnet sind. „Es ist Kritik, aber nicht mit dem Holzhammer.“

Allerdings wird solch feine Kritik nicht immer als solche erkannt, gibt Fechner zu bedenken. Möglicherweise wurde deshalb im Zuge von Protesten gegen die Präsenz von Leopold II. im öffentlichen Raum auch diese Büste mit roter Farbe besprüht, wie Medien Mitte 2020 berichteten. Die Aktionen in Belgien flammten im Gefolge der Black-Lives-Matter-Bewegung in den USA auf. In Antwerpen und Gent wurden Leopold-Statuen abgebaut, aber viele Denkmäler stehen noch. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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