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Impfstoff (Symbolfoto) © alirazagurmani9272 @ pixabay.com (Lizenz), bearb. MiG

„Historische Chance“

„Ärzte ohne Grenzen“ fordern Kurswechsel bei Impfstoff-Patenten

„Ärzte ohne Grenzen“ zeigt sich zum 50. Jubiläum enttäuscht darüber, dass reiche Länder aus Fehlern der Vergangenheit so wenig gelernt hätten. Bei der Corona-Pandemie habe die neue Bundesregierung eine „historische Chance“, es besser zu machen.

Mittwoch, 15.12.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 14.12.2021, 15:51 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen Deutschland“ verlangt von der Bundesregierung einen Kurswechsel beim Patentschutz für Corona-Vakzine zugunsten einer deutlich beschleunigten weltweiten Impfkampagne. Geschäftsführer Christian Katzer sagte am Dienstag in Berlin, wenn sich die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP dafür starkmache, dass dieser Patentschutz vorübergehend aufgehoben werde, „könnten Milliarden Menschen auf eine Impfung gegen das Virus hoffen“. Er rief dazu auf, diese „historische Chance“ zu nutzen.

Im Oktober war deutlich geworden, dass nur etwa fünf der 54 Länder Afrikas das internationale Immunisierungsziel für 2021 erreichen können, wenn das bisherige Impftempo beibehalten wird. Ziel ist es eigentlich, bis Ende des Jahres 40 Prozent der Bevölkerung vollständig zu impfen.

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Vage Formulierung im Ampfel-Vertrag

Die frühere Bundesregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte eine Aufhebung des Patentschutzes, die eine deutliche Ausweitung der Impfstoffherstellung ermöglichen würde, abgelehnt. Die Ampel-Parteien haben in ihrem Koalitionsvertrag die vage formulierte Vereinbarung getroffen, „freiwillige Produktionspartnerschaften und den Transfer von Know-how“ zu unterstützen, „um die Produktionskapazitäten für Medikamente und Impfstoffe weltweit auszubauen“.

Die Vorstandsvorsitzende von „Ärzte ohne Grenzen“, Amy Neumann-Volmer, sagte, die Priorisierung der Impfstoffverteilung in Deutschland sei beispielhaft gewesen, weltweit allerdings nicht. Dabei sei zu Beginn der Corona-Pandemie oft versprochen worden: „Impfstoffe werden globales Gut sein.“ Doch wieder einmal habe die Politik zugelassen, dass die Hersteller von Medikamenten alleine festlegten, wer für wie viel Geld in welchen Mengen Impfstoffe bekomme – „und damit auch, wer sie nicht bekommt“. Medizinischer Verstand und Ethik dürften nicht an deutschen Grenzen haltmachen, forderte sie. Die Pandemie sei erst vorbei, wenn sie weltweit vorbei sei.

Parallelen zu Aids

Neumann-Volmer erinnerte daran, dass sich schon bei der HIV-Pandemie fast genau das Gleiche abgespielt haben wie heute. „Als in den reichen Ländern Aids kein Todesurteil mehr war, starben in etlichen anderen Ländern noch Millionen Menschen unnötig an dieser Erkrankung, weil sie keinen Zugang zu bezahlbaren Medikamenten bekamen.“

Damals hätten „Ärzte ohne Grenzen“ und andere Akteure heimlich Generika zur Behandlung von HIV unter anderem nach Südafrika gebracht. „So konnten viele Menschen behandelt werden, die sonst gestorben wären.“ Eine Klage der Pharmafirmen sei wegen internationalem Druck fallen gelassen worden und der Preis für eine HIV-Behandlung habe gesenkt werden können von 10.000 US-Dollar (rund 8.800 Euro) auf unter 100 Dollar (etwa 88 Euro) pro Jahr und Patienten.

Fair ist möglich

Es sei also möglich, die Menschen weltweit medizinisch fair und gut zu versorgen, sagte Neumann-Volmer. „Es ist einfach menschenverachtend, nicht aus der Vergangenheit hier zu lernen.“ Die Politik habe die Pflicht zu zeigen, dass es auch anders gehe.

„Ärzte ohne Grenzen“ wurden im Dezember 1971 von 13 Ärzten und Journalisten in Paris gegründet, um lebensrettende medizinische Hilfe für Menschen weltweit zu leisten. 1999 erhielt die Organisation den Friedensnobelpreis. Im Jahr 2016 beschloss sie aus Protest gegen die „Abschottungspolitik der Europäischen Union“ keine Gelder mehr bei der EU und ihren Mitgliedstaaten beantragen.

Die Expertin für humanitäre Fragen, Marie von Manteuffel, betonte mit Blick auf Flüchtlinge und Migranten, die über das Mittelmeer nach Europa kommen wollen oder in Belarus an der Grenze zu Polen stranden, sie glaube nicht, dass die Gründer von „Ärzte ohne Grenzen“ vor 50 Jahren „sich hätten vorstellen können, dass ihre Kolleginnen einmal mitten in Europa Menschen vor dem Ertrinken und vor dem Erfrieren retten müssen“. (epd/mig) Leitartikel Panorama

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