Koalitionsvertrag, Ampel, Migration, Integration, Flucht, Einbürgerung
Der Ampel-Koalitionsvertrag

Lob und Kritik

Reaktionen zum Ampel-Koalitionsvertrag

Der Ampel-Koalitionsvertrag erntet von Menschenrechtlern, Familienverbänden, Migrantenorganisationen und der Opposition Lob und Kritik. Positiv hervorgehoben werden die Migrations- und Integrationspolitik, negativ werden das Asylrecht und die Islampolitik bewertet.

Montag, 29.11.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 28.11.2021, 13:40 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel hat die geplante Migrationspolitik der neuen Ampel-Koalition gelobt. „Die Pläne lassen auf eine deutlich gezieltere, widerspruchsärmere und wirksamere deutsche Asylpolitik hoffen“, sagte der Direktor für Internationale Entwicklung am IfW, Tobias Heidland. Der Koalitionsvertrag enthalte wichtige neue Regelungen zur Steuerung und Erhöhung qualifizierter Einwanderung.

Derartige Veränderungen seien dringend nötig, denn das Wirtschaftswachstum werde zunehmend durch die Alterung der Gesellschaft gebremst, sagte Heidland. „Auch auf andere EU-Länder als Herkunftsländer von Arbeitsmigranten werden wir uns nicht langfristig stützen können, denn auch diese altern.“ Insgesamt seien die Reformpläne ein Weg, es weniger dem Zufall zu überlassen, wer zum Arbeiten nach Deutschland komme.

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Flüchtlingsrat zieht gemischte Bilanz

Der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein zieht eine gemischte Bilanz. „Die Ampel kündigt einen Paradigmenwechsel beim Familiennachzug Geflüchteter, beim Bleiberecht, bei Arbeitsverboten und bei der Beschäftigungsintegration Geduldeter an. Für Besorgnis sorgt indes, dass die alte Linie bei Kasernierung neuzugewanderter Asylsuchender und bei der Abschiebungspolitik offenbar verstetigt werden soll“, erklärte der Flüchtlingsrat. Nach Verlauten beinhaltet die im Koalitionsvertrag avisierte Abkehr vom Konzept der AnkER-Zentren nicht das Ende der 18 bis 24-monatigen Wohnverpflichtung neu einreisender Asylsuchender in Erstaufnahmelagern.

Positiv ist laut dem Flüchtlingsrat aber, dass offenbar das Monopol des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) auf die Verfahrensberatung der Asylbewerber „zerschlagen“ werden soll. Eine flächendeckende, behördenunabhängige Asylverfahrensberatung, wie sie die Ampel jetzt ankündigt, fordern Fachverbände und Flüchtlingsräte schon lange. „Dass weiterhin Kranke und Traumatisierte abgeschoben werden können, stimmt uns allerdings sehr bedenklich“, erklärt Martin Link vom Flüchtlingsrat. Nach seiner Einschätzung werden im Koalitionsvertrag auch Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete nicht ausgeschlossen.

Anwälteverein sieht Licht und Schatten

Auch der „Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein“ (RAV) sieht im Koalitionsvertrag positive Aussagen, einen „dringend notwendigen Systemwechsel“ stelle er aber nicht dar. Die angekündigte Streichung des gesetzlichen Arbeitsverbots begrüßt der Verein genauso wie das Ende von „Duldung light“. Kritik erntet die Ampel aber für ihr Festhalten an Duldungszeiten. „Dies führt dazu, dass eine Person zwar faktisch in Deutschland ist, rechtlich sich aber in einer Art Niemandsland befindet“, so die RAV-Kritik. Auch die geplante Abkehr von den Anker-Zentren geht dem Verein nicht weit genug.

Auch die Aussagen zur europäischen Migrations- und Asylpolitik sind aus Sicht des RAV vollkommen unzureichend. „Der Auslagerung des Asylrechts in Drittstaaten wird keine unmissverständliche Absage erteilt. Effektiven Rechtsschutz an den europäischen Außengrenzen gibt es nicht“, so der Verein. Positiv hebt RAV Erleichterungen bei der Einbürgerung und beim Familiennachzug hervor als „überfällige Reform“.

Familienverband erleichtert über Sprachtest-Aus

Letzteres wird auch beim Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V. mit großer Erleichterung aufgenommen. „Das ist ein Erfolg für unsere Forderungen und Kämpfe. Seit 2007 haben wir immer wieder betont, dass der erzwungene Spracherwerb im Ausland Familienzusammenführung für binationale Familien und Partnerschaften verhindert. Er trennte die Paare völlig unnötig voneinander, zum Teil für Jahre“, so Chrysovalantou Vangeltziki, Bundesgeschäftsführerin des Verbands.

Der Ehegattennachzug verlangt, dass im Ausland lebende Partner noch vor Einreise eine Prüfung in Deutschkenntnissen vorlegen muss. Für viele Paare waren die Hürden zu hoch. „Manche Paare warteten Jahre, bis sie endlich in Deutschland zusammenleben konnten. Ehen zerbrachen auch daran. Sogar 16-jährige Kinder müssen zum Teil einen Sprachnachweis erbringen“, beschreibt der Verband die Situation von Betroffenen. „Der Spracherwerb im Inland, das zeigen alle Studien, ist einfacher, zielführender und fördert auch die schnellere Integration. Viele unserer binationalen Paare können jetzt – zumindest teilweise – aufatmen“, so Vangeltziki.

Leerstellen im Kampf gegen antimuslimischen Rassismus

Auch im Bereich der Religionspolitik erntet der Koalitionsvertrag Kritik. Die religionspolitische Sprecherin der Linkspartei, Christine Buchholz, schreibt im MiGAZIN, dass sie bei der Gleichberechtigung muslimischer Religionsgemeinschaften und beim Kampf gegen antimuslimischen Rassismus Leerstellen sieht. Zwar sei die geplante Entwicklung des Religionsverfassungsrechts zu begrüßen und überfällig in einer Gesellschaft, die religiös und weltanschaulich diverser werde.

Dass die Koalition hierbei allerdings „neuere, progressive und in Deutschland beheimatete islamische Gemeinschaften“ in diesen Prozess einbinden wolle, mache sie misstrauisch. „Das Menschenrecht auf Religionsfreiheit unterscheidet nicht in ‚progressive‘ und ‚nicht progressive‘ Religionsgemeinschaften. Der säkulare Staat hat nicht zu entscheiden, wie ‚progressiv‘ eine Religionsgemeinschaft ist. Hier sollten keine anderen Standards an Muslime angelegt werden als an christliche Kirchen, jüdische Gemeinden oder andere Religionsgemeinschaften“, kritisiert Buchholz. Es werde nötig sein, weiter Druck zu machen für eine Gleichberechtigung der muslimischen Religionsgemeinschaften mit den christlichen Kirchen.

Türkische Gemeinde rundum zufrieden

Rundum zufrieden mit dem Koalitionsvertrag zeigt sich die Türkische Gemeinde Deutschland (TGD). Er beschreibe eine Politik, die in vielen Bereichen auf Respekt und Partizipation setze. „Im Wahlkampf haben wir viele Themen vermisst und auch im ersten Sondierungspapier war noch nicht zu erkennen, ob wirklich ein Aufbruch für die Zukunft einer pluralen Gesellschaft zu erwarten wäre. Es hat uns überrascht, wie viele Ideen aus der Zivilgesellschaft von der neuen Regierung aufgenommen wurden. Ob Partizipationsgesetz, Partizipationsrat, Demokratiefördergesetz, Mehrstaatigkeit oder Aufenthalts- und Bleiberecht. Wir haben eine starke Zivilgesellschaft in Deutschland und in diesem Papier wird sie in ihrer ganzen Vielfalt ernst genommen“, erklärte TGD-Bundesvorsitzender Gökay Sofuoğlu.

TGD Co-Vorsitzender Atila Karabörklü sieht im Koalitionsvertrag „sehr wichtige Signale an die Menschen, die in Deutschland Rassismus und Diskriminierung erlebt haben und erleben“. Dazu gehörten die angekündigte stärkere Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus oder die Stärkung der Antidiskriminierungspolitik. Damit stelle sich die Koalition „endlich einem Kernproblem in Deutschland“. Auch das Versprechen, die ausstehende Aufarbeitung des NSU-Komplexes energisch vorantreiben zu wollen, begrüßt die TGD. (mig) Leitartikel Politik

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