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Polizeieinsatz gegen den 25-jährigen Griechen Giórgos Zantiótis. © Szene aus YouTube-Video

Polizeigewalt

Tod eines Griechen auf der Polizeiwache wirft Fragen auf

Der Tod des 25-jährigen Griechen Giórgos Zantiótis in Polizeigewahrsam schlägt im Netz immer größere Wellen. Die Polizei verheimlichte den Todesfall so lange, bis ein Video in den sozialen Netzwerken viral ging.

Donnerstag, 11.11.2021, 19:42 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 11.11.2021, 20:45 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Polizei Wuppertal informiert die Presse und die Öffentlichkeit mehrmals täglich über ihre Arbeit in der Stadt: Ladendiebstahl, Autounfall, Fahrerflucht. Auch auf Facebook, Twitter und Instagram wird alles, was von öffentlichem Interesse sein könnte, verbreitet. Den Tod des 25-jährigen Griechen Giórgos Zantiótis in Polizeigewahrsam in den Morgenstunden des 1. November hielt die Polizei hingegen nicht für „medienrelevant“. So jedenfalls die Erklärung der Staatsanwalt Wuppertal auf eine Frage der Zeitung „nd“.

Bekannt wurde der Fall in Deutschland trotzdem – über Umwege. Ein Video, das zunächst in den sozialen Medien im griechischen Raum für Aufregung sorgte, erreichte nach einigen Tagen Deutschland. Darin sind mehrere Polizisten zu sehen, wie sie kniend und mit ihrem Körpergewicht eine auf dem Boden liegende Person fixieren.

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Video zeigt Polizeigewalt

Im Hintergrund ist eine Frau, die Schwester des Verstorbenen, zu hören. Weinend fleht sie die Polizisten in gebrochenem Deutsch an, sie mögen ihn doch „bitte, bitte“ loslassen. „Er hat das nicht gemacht“, „bitte, das ist nicht richtig“. Die Polizisten lassen sich von der Frau nicht beirren, fordern sie auf, die Kamera abzuschalten, Abstand zu halten, sich auszuweisen.

Das Video zieht weite Kreise in den sozialen Medien. Menschenrechtsorganisationen, Initiativen und Aktivisten fordern die Polizei Wuppertal immer wieder auf, eine Erklärung dazu abzugeben. Darauf reagieren Polizei und Staatsanwaltschaft Wuppertal eine Woche nach dem Tod in Polizeigewahrsam mit einer gemeinsamen Erklärung. Im Titel heißt es: „Obduktion ergibt keine Hinweise auf ein Fremdverschulden“.

Polizei: „Kein Fremdverschulden“

Der Erklärung zufolge griff der 25-Jährige „plötzlich eine Polizeibeamtin an und versuchte sie zu Boden zu reißen“. Beistehende Polizeibeamte hätten daraufhin versucht, „den Angreifer“ ebenfalls, „zu Boden zu bringen und zu fesseln“. Hiergegen habe sich der Mann „massiv“ gewehrt und dabei zwei Polizeibeamte „leicht verletzt“. Bei der Blutprobeentnahme auf der Wache – laut Polizei Verdacht auf Alkohol und Drogenkonsum – habe der 25-Jährige „plötzlich das Bewusstsein“ verloren und sei anschließend verstorben.

Eine Obduktion habe „keinerlei Hinweise auf ein todesursächliches Fremdverschulden oder eine todesursächliche Gewalteinwirkung“ ergeben. „Nach derzeitigem Ermittlungsstand dürfte eine internistische Grunderkrankung im Zusammenwirken mit einem Drogenkonsum den Tod herbeigeführt haben“, teilen die Polizei und Staatsanwaltschaft Wuppertal mit.

Empörung im Netz

Aus „Neutralitätsgründen“ führe das eingeleitete Todesermittlungsverfahren das Polizeipräsidium Hagen. „Dieses Verfahren richtet sich nicht gegen die eingesetzten Polizeibeamten“, heißt es weiter. „Weitergehende Auskünfte werden zum derzeitigen Zeitpunkt nicht gegeben“, erklären Polizei und Staatsanwaltschaft abschließend.

Im Netz löste das Verhalten der Polizei und die Erklärung Empörung aus. „Dass die Öffentlichkeit nach den Vertuschungen im Fall Oury Jalloh […] skeptisch ist, wenn sich die Polizei nach einem Todesfall in Polizeigewahrsam selbst entlastet, ist durchaus verständlich“, kommentiert Stephan Anpalagan den Vorgang im Twitter. Wieder einmal stünden „nicht Todeshergang und Todesfolge im Mittelpunkt der polizeilichen Erzählung, sondern die Kriminalisierung des Opfers (Drogen! Drogen! Drogen!)“.

Hagen ermittelt gegen Wuppertal und umgekehrt

Wie Aktivisten recherchierten, ermittelten die Polizeipräsidien Hagen und Wuppertal bereits öfter gegenseitig. So etwa in einem Fall aus Juni 2021, wo die Wuppertaler Polizei einen Randalierer in seiner Wohnung mit einer Maschinenpistole erschossen hatte. Auch nach tödlichen Polizeischüssen im Dezember 2019 ermittelten Hagener Polizisten gegen ihre Kollegen in Wuppertal. Umgekehrt übernahm Wuppertal die Ermittlungen, als ein Hagener Polizist beteiligt war – stets aus Neutralitätsgründen.

Deutschland steht seit vielen Jahren auch auf internationaler Bühne in der Kritik, in Fällen von Polizeigewalt keine unabhängigen Ermittlungsstellen zu haben. Opfer von Polizeigewalt sind gezwungen, so die Kritik, die Anzeige gegen die Polizei bei der Polizei zu erstatten. Ermittlungen gegen sich selbst führten erfahrungsgemäß aber nicht zum Erfolg. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International fordern die Bundesregierung daher auf, unabhängige und wirksame Untersuchungsmechanismen zu etablieren.

Keine Fragen im Landtag

Am Donnerstag war der Tod von Giórgos Zantiótis Thema im Düsseldorfer Landtag. Die zunächst vorgesehenen 15 Minuten waren schon nach zehn Minuten vorbei. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul wiederholte die offizielle Version des Tathergangs, Fragen kamen im Innenausschuss keine auf.

Damit dürfte der Fall aber noch nicht in die Akten gehen. Für Freitag und Samstag rufen Initiativen im Netz zu Demonstration auf. „In den nächsten Wochen wird es auf diese Fragen, auf die Lautstärke und die Solidarität der Vielen ankommen“, twittert das „Grundrechtekomittee“. Die zentrale Frage, um die sich die Diskussionen im Netz drehen, lautet: Warum wurde der Tod in Polizeigewahrsam erst nach öffentlichem Druck mitgeteilt? (mig) Leitartikel Panorama

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