Sinti, Roma, Geschichte, Familie, Mutter, Vater, Kinder
Eltern von Georg Z. mit ihren Kindern im Fischerholz, Augsburg., ca. 1956 © privat

„Ich krieg‘ euch alle!“

Antiziganismus in modernem Gewand?

Steuerfahndung mit Großrazzia, eine öffentlichkeitswirksame Verhaftungswelle. Darunter eine 76-jährige NS-Überlebende Sintiezza. Die Presse berichtet: „Maffiabraut“. Ein Steuerfahnder wird zitiert: „Ich krieg‘ euch alle!“ - gemeint sind Minderheiten der Sinti und Roma. Ein Justizfall mit offenen Fragen.

Von Freitag, 24.09.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 12.01.2022, 17:38 Uhr Lesedauer: 14 Minuten  |  

Seit drei Jahren ist Georg Z. wieder in Freiheit. Der gebürtige Augsburger wurde im Januar 2011 als Haupttäter der Unterschlagung von Umsatzsteuern in 16 Fällen und wegen Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. 2018 kam er auf Bewährung frei. Seitdem kämpft er für eine Untersuchung des Strafverfahrens, für die Klärung der wirklichen Steuerschulden, die im Januar 2010 zur Großrazzia unter Schrott- und Metallhändlern und vielen Verhaftungen von Sinti:zze geführt hatten. Wegen des Verdachts der „Bildung krimineller Vereinigung“ hatte die Augsburger Staatsanwaltschaft den Großeinsatz von Polizei und Spezialeinheiten der Steuerfahndung veranlasst. Dieser Tatvorwurf wurde kurz darauf ad acta gelegt. Die Folgen des Polizeieinsatzes und der begleitenden Pressekampagne über die „Schrottmafia“ blieben.

Grund der Verhaftungswelle im Januar 2010 waren nicht versteuerte Umsätze im Metallhandel. „Ihr kommt bald wieder frei,“ hätten die Anwälte damals gesagt, denn der Betrag war für Verfahren im Bereich der Wirtschaftskriminalität gering. Doch es kam anders. Nicht nur für Georg Z. sind die Urteile bis heute nicht nachvollziehbar. Er fragt, wie es sein kann, dass so viele Menschen „zerstört“ wurden, wie er es nennt. Er meint die wirtschaftliche Schädigung, die soziale Isolation durch die Pressekampagne, und insbesondere die Retraumatisierung, die das Geschehen für viele Betroffenen der Verhaftungswelle hatte. Wieder erlebten sie sich ohnmächtig einer Staats- und Polizeigewalt ausgeliefert.

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Großrazzia

Georg Z. ist Sinto, Sohn einer deutschen Sintezza und eines Ukrainers. Seine jüdische Abstammung habe der Vater seinen Kindern verheimlicht, sein Onkel habe es ihm erzählt. Als Jugendlicher wurde der Vater zur Zwangsarbeit ins damalige „Deutsche Reich“ verschleppt und heiratete in der Nachkriegszeit eine Sinteza. Seine Mutter, seine Ehefrau, alle Familienangehörigen gehören der Minderheit deutscher Sinti:zze an. Alle Verwandten waren der nationalsozialistischen Verfolgung ausgesetzt. Nach ihrer Befreiung fanden die Überlebenden in Augsburg ein neues Zuhause. Das Elternhaus wurde zum festen Anker für alle Familienmitglieder. Die drohende Pfändung ist eine Katastrophe für Erika R., die darin aufwuchs.

Georg Z. könnte Rentner sein, 1953 geboren in Augsburg, gelernter Automechaniker, der das traditionelle Gewerbe seines Schwiegervaters lernte und übernahm, den Handel mit Metallschrott, später auch mit Nutzfahrzeugen, schließlich auf internationaler Ebene ausbaute; als Ehemann, Vater und Familienoberhaupt die Interessen der Familienmitglieder im Blick hat, und eine Persönlichkeit ist, die sich immer auch für andere engagierte: In der Kirche, in der Gesellschaft, zuletzt in der Vorstandschaft eines gemeinnützigen Vereins. Er könnte das Idealbild einer erfolgreichen, deutschen Biografie darstellen, wenn es da nicht diesen Bruch gäbe: Eine erste Haftstrafe, als er 50 Jahre alt ist. Sie galt 2008 als abgeschlossen, vorzeitige Entlassung wegen guter Führung in der Haft. Ein Ausrutscher, vielleicht auch ein Delikt aus Unkenntnis über die Steuergesetze? Schrotthändler hatten ein Steuerkarussell betrieben, bei dem mit Scheinrechnungen Umsatzsteuern unterschlagen wurden. Er wurde als Mittäter verurteilt. Über 30 Jahre lang hatte er bis dahin ohne Beanstandung den Schrott- und Metallhandel geführt. Doch am 13. Januar 2010 kam die Steuerfahndung mit der Großrazzia. Fast alle Familienangehörigen kamen in Haft.

„Mafiabraut“

Erika R. (heute 65) war allein im Haus an diesem Januartag vor elf Jahren, als es frühmorgens klingelt, dann ein lautes Pochen an der Haustür. Bevor sie aufgebrochen wird, öffnet sie. „Steuerfahndung. Mitkommen.“ – „Darf ich mich noch anziehen und waschen?“ habe sie den schwarz gekleideten und maskierten Beamten der Sondereinheit gefragt. „Nur anziehen.“, höre sie die Antwort noch heute. „Und wenn Sie jetzt nicht schnell machen, ziehe ich Sie an den Haaren raus.“

In der Zelle auf der Polizeistation vernimmt sie die Stimmen des Bruders und der Mutter. Am nächsten Tag sagt ihr der Haftrichter, warum sie im Gefängnis sei: Geldwäsche, Scheingeschäfte. Die Ehefrau von Georg. Z. war bis zu diesem Tag weder vorbestraft noch jemals inhaftiert gewesen. Über Nacht machte die Presseberichterstattung der Augsburger Tageszeitung sie zur „Mafiabraut“, erzählt sie. Als Firmeninhaberin hatte sie ein internationales Metallgeschäft abgeschlossen. „Natürlich hat es die Firma und das Geschäft gegeben. Sie wollten, dass ich das leugne.“ Zweimal habe der Staatsanwalt sie in Haft aufgesucht. Wenn sie unterschreibe, dass es ein Scheingeschäft sei, würde sie sofort entlassen. Sie öffnet die Autotür, braucht Luft, wenn sie daran denkt. Das Interview gibt sie mit Maske vor dem Mund, es ist heiß draußen.

76-jährige NS-Überlebende in U-Haft

Die Verhaftungsaktion machte auch vor der Mutter und Schwiegermutter des Ehepaars nicht Halt. Acht Monate bleibt die 76-jährige kleine Frau im Gefängnis, bis sich der Bayerische Landesverband Sinti und Roma e.V. einschaltet. Sophie L. war Kind, als sie 1940 nach Polen deportiert wurde, sie ist „Child Survivor“. Die zierliche Sintezza klammert sich an einen Geigenkoffer, als sie aus ihrem Haus abgeführt wird. Als die Steuerfahnder den Koffer öffnen, finden sie nicht die vermuteten Geldscheine vor – er ist leer. Musik hatte ihrer Familie zum Überleben geholfen, damals vor 70 Jahren, als deutsche Kriminalpolizisten und Wehrmachtssoldaten sie aus dem Deportationszug auf freiem Feld aussteigen hießen und der Wildnis in den Wäldern Polens überließen. Die Verhaftungsaktion zeigt ihre Folgen. Als die alte Frau entlassen wird, nehmen ihre Angehörigen eine innerlich zerbrochene, verwirrte Frau in Empfang.

Laut Staatsanwaltschaft Augsburg soll sie als Geldbotin tätig gewesen sein, zum Beweis dienen Sätze aus den Protokollen der Telefonüberwachung. Es sind Gespräche in Romanes, der Minderheitensprache der Sinti und Roma. „Sie nehmen uns wieder alles weg“, habe Sophie L. zu ihren Angehörigen gesagt. „Schafft alles in Sicherheit“, übersetzte der Dolmetscher, der nicht das Romanes der Sinti, sondern der Roma spricht. Das Romanes unterscheidet sich ähnlich Dialekten nach den Verbreitungsgebieten, in denen die Sprache gesprochen wird. Für die europaweit anerkannte Minderheitensprache gibt es keinen verbindlichen Qualitätsstandard für Übersetzungen bei Behörden und Justiz.

Überleben in Polens Wäldern und in Wehrmacht-Gettos

Franziska und Jakob Lehmann sind die Großeltern von Erika R. und Georg Z.. Sie lebten in den 1930er Jahren im Rhein-Main-Gebiet. Dort begann die rassistische Verfolgung und Ausgrenzung der Sintifamilien im nationalsozialistischen „Deutschen Reich“ schon 1938 mit der Internierung im Frankfurter Polizeilager. 1940 kamen sie ins Sammellager Hohenasperg, von dort per Eisenbahntransport ins besetzte Polen. Unweit dem späteren Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, in dem die SS das „Zigeunerlager“ errichtete, werden sie am 20. Mai 1940 auf freiem Feld ausgeladen.

Die sich selbst überlassenen Familien überleben über ein Jahr lang im Freien, ernähren sich notdürftig mit Betteln um Nahrungsmittel bei polnischen Bauern und mit Musizieren in Gasthäusern, sie überleben versteckt in den Wäldern Polens. Dann sperrt die Wehrmacht sie in Lager und Gettos, eines davon war Radom. Dort grassieren Krankheiten wie Typhus, Ruhr, viele Inhaftierte werden erschossen. Sophie L. war bei der Deportation sechs Jahre alt. Todesängste ihrer Kindheit werden wach, als die alte Frau am 13. Januar 2010 die vermummten Gestalten der Steuerfahndung mit Maschinenpistolen bewaffnet ihr Haus stürmen.

Öffentlichkeitswirksame Verhaftungswelle am 13. Januar 2010

Eine Großrazzia mit Inhaftnahmen von Betroffenen der Minderheit hat Wirkungen, die wie automatisiert greifen: Die Mehrheitsgesellschaft aktiviert über die Presse in Windeseile alte Vorurteile. Bilder einer angeblich innewohnenden Kriminalität der Ethnie finden sofortige Wiederbelebung. Die Augsburger Tageszeitung schreibt von der „Schrottmafia“, das Wort suggeriert Bilder von organisierter Kriminalität und Gewalt. Bald sind auch die Buchstaben eines der Verhafteten zu lesen: G.Z., Georg Z. und seine Angehörigen werden identifizierbar. Die Vorstellung von Gewaltanwendung schüchtert ein, wirkt isolierend, Menschen halten Abstand.

Auf Seiten der Angehörigen der Minderheit führt die Pressekampagne und die Art, wie die Razzia durchgeführt wurde, zu irreparablen Vertrauensverlusten gegenüber Behörden und Justiz. Nachfolgende Gesundheitsschäden von Betroffenen der Verhaftungswelle werden mit dem Schock in der Verhaftungssituation in kausalen Zusammenhang gebracht. Aus Minderheitenperspektive bestätigt sich eine latent existierende Destruktivität der Mehrheitsgesellschaft gegenüber den Angehörigen der Minderheit.

„Ich krieg‘ euch alle!“

Alexander Diepold, Sozialpädagoge und Gründer der Münchner Beratungsstelle für Sinti und Roma, Madhouse gGmbH, außerdem Vorstandsmitglied des Vereins Sinti und Roma Corporation e.V., (SRC) nahm als Prozessbeobachter an den Gerichtsverhandlungen gegen Georg Z. teil. Diepold ist heute Geschäftsführer der Hildegard-Lagrenne-Stiftung und selbst als Jugendschöffenrichter tätig. Er bestätigt den Verdacht auf strukturelle Diskriminierung im Gerichtsverfahren des Schrott- und Metallhändlers Georg Z. Eine gruppenspezifische Diskriminierung habe schon im Vorfeld bei der Augsburger Steuerfahndung begonnen.

Diese habe das unter Sinti verbreitete Nischengewerbe, den Schrotthandel, unter ihre besondere Kontrolle genommen und für gewerbetreibenden Sinti letztlich zerstört. „Ich krieg‘ euch alle!“, zitiert er einen Augsburger Steuerfahnder. Dieser habe ganz besonders die Angehörigen der Minderheit ins Visier genommen. Gleichgelagerte Klagen seien ihm später aus dem Donau-Ries-Raum vermittelt worden. Ein Sachbearbeiter der dortigen Finanzbehörde bestätigte ihm, dass eine Anweisung aus Berlin vorliege, in dieser Branche vermehrt Kontrollen vorzunehmen. Bald darauf seien mit der Nivellierung des Abfallwirtschaftsgesetzes für kleine Schrotthändler hohe bürokratische Hürden gesetzt worden, das Nischengewerbe wurde damit unattraktiv. Laut Diepold wurde der Erwerbszweig für die Minderheitengruppe damit „zerstört“.

Minderheitenverein unter Observierung

Im Dezember 2008 wird der gemeinnützige Verein Sinti und Roma Corporation e.V. auf Initiative des Zeitzeugen Hugo Höllenreiner gegründet. Die Satzung setzt hohe Ziele von Bildungs- bis Kulturförderung. Nur 14 Monate nach dem Eintrag ins Vereinsregister findet sich der zweite Vorsitzende Georg Z. hinter Gittern vor. Auch der Sohn des Zeitzeugen und Auschwitz-Überlebenden Hugo Höllenreiner wird angeklagt. Hugo Höllenreiner erleidet einen Herzinfarkt, den Angehörige der Minderheit auf die Inhaftnahme des Sohnes zurückführen.

Im Vorfeld der Verhaftungswelle vom Januar 2010 hatte der Verein mit seiner aktiven Prozessbeobachtung einen ersten Erfolg verbucht. Es gab Freispruch in einem Verfahren, in dem Angehörige der Sinti, unidentifiziert und damit pauschal, der Nötigung verdächtigt waren. Die Täter seien „dem äußeren Anschein nach Zigeuner“ gewesen, so lautete die Aussage des Schrotthändlers, der selbst der Steuerhinterziehung beschuldigt war, und die Anzeige machte. Damals schon hätte das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das 2006 in Kraft trat, Anwendung finden können. Doch niemand brachte es vor. So konnte der Tatvorwurf, der auf die Minderheitengruppe fiel, beliebig oft erhoben werden. Nach den ersten Freisprüchen wird der Tatverdacht der Nötigung auf Georg Z. gerichtet und mit der Kronzeugenaussage eines vorbestraften ehemaligen Richters und Staatsanwalts steht der Schuldige fest.

Nach der Verurteilung von Georg Z. fragt das Finanzamt Augsburg nach den Regularien und Finanzen des Vereins. Diepold ist Schriftführer und gibt Rapport. Was die Vereinsvorstände nicht wissen: Sie werden abgehört. Rund ein Jahr nach Z.’s Haftentlassung im Februar 2018 erhält Diepold die schriftliche Mitteilung: Die Telefonabhörung wurde beendet. Der Verein hatte die Observierung bestanden, es waren keine Unrechtmäßigkeiten festzustellen. Doch die Tatsache einer jahrelangen heimlichen Beobachtung eines Vereins, der sich für Belange der nationalen Minderheit einsetzt, irritiert und wirkt nach. Wer wird gern Vereinsmitglied, wenn bekannt ist, dass Namenslisten von Teilnehmer:innen Behörden zu verdeckten Ermittlungen veranlassen könnten?

Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus 2021

Im Mai 2021 wird im Deutschen Bundestag der Bericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus vorgestellt und diskutiert. Einen eigenen Themenschwerpunkt bildet das Empowerment über Selbstorganisationen der Sinti:zze und Rom:nja. Vereine und Initiativen bilden eine Basis für gesellschaftliche Teilhabe und Mitsprache, die es zu fördern gelte. Der Bericht ist die erste wissenschaftliche Bestandsaufnahme der aktuellen Situation der Angehörigen der Minderheit in Deutschland. Der Forschungsbericht thematisiert die Zeit nach dem Porajmos, charakterisiert durch mangelnde Rehabilitation, Entschädigung, Anerkennung der erlittenen Verfolgung und vor allem durch eine fortgeführte Kriminalisierung und institutionalisierte Ausgrenzungspraxen in der Bundesrepublik.

Historiker Markus End untersuchte für den Forschungsbericht der Kommission strukturelle Diskriminierung in Behörden, speziell innerhalb der Polizei und Justiz. Es seien über Jahrzehnte gewachsene, meist unbewusste und sich verfestigte Wahrnehmungs- und Denkmuster, die in Behörden wirken. Über die Analyse, wie es behördenintern im Vorfeld zu Entscheidungen kommt, zum Beispiel für den Auftrag einer Großrazzia, sei strukturelle Diskriminierung nachweisbar. Doch an die Dokumente ranzukommen, die Erlaubnis zur Akteneinsicht zu erhalten, sei sehr, sehr schwierig, fügt er hinzu.

„Ich glaube, dass in der Justiz die größte Benachteiligung überhaupt stattfindet für Sinti und Roma,“ stellt Diepold fest. Spontan kann er mehrere Unrechtmäßigkeiten im Justizfall Georg Z., vor allem in den Verfahrensabläufen, aufzählen: Vereinbarungen zwischen Anwaltschaft und Gericht seien damals nicht eingehalten worden, vielmehr seien nach der Verurteilung wichtige Dokumente zur Klärung der Steuerschulden und der Versteigerungserlöse verschwunden. Die Hauptverhandlung wurde trotz sichtlicher Erkrankung von Georg Z. nicht unterbrochen. Es war offensichtlich, dass der Angeklagte nicht ansprechbar war. Noch während der Hauptverhandlungen bricht Georg Z. zusammen, wird in die psychiatrische Abteilung der JVA Würzburg überstellt – an den letzten Verhandlungstag habe er keine Erinnerung. Apathisch sitzt er im Gerichtssaal. Doch den Antrag auf Verhandlungsunfähigkeit lehnt der Richter ab. Ein weiterer Kritikpunkt im Verfahrensablauf: Der Wahrheitsgehalt der Kronzeugenaussage des vorbestraften und suspendierten Staatsanwalts sei nicht oder unzureichend hinterfragt worden. Und die verhandelte Nötigung, Bedrohung mit der Waffe, sei abgesehen davon eine bis heute nicht bewiesene Tat.

Agent provocateur oder V-Mann?

Die Telefonabhörprotokolle dokumentieren, wie ein „Dr. Faust“ das Ehepaar Georg Z. und Erika R. als Steuer- und Wirtschaftskundiger berät. Er leiht Erika R. von seinem Privatvermögen Geld für das „China-Geschäft“, vermittelt laut Z. den Investor. Er agiert nicht sichtbar und hält nach spätestens einem Jahr doch alle Fäden in der Hand. Selbst bei der Gründung des Vereins Sinti und Roma Corporation e.V. ist er als ehrenamtlich arbeitender Rechtsbeistand beteiligt. Mit seinem fundierten Spezialwissen genießt der erfahrene Ex- Staatsanwalt und Richter bald großes Vertrauen unter den Angehörigen der Minderheit, auch indem er vorgibt, helfend tätig zu sein. Die Protokolle der Telefonüberwachung lassen ihn – den ehemaligen, vorbestraften Staatsanwalt – und seine Aktivitäten als „V-Mann“ und „Agent provocateur“ vermuten.

Falls er tatsächlich in diesem Auftragsverhältnis mit der Justiz arbeitete, schützt ihn bis heute ein rechtsfreier Raum. Trotzdem er wegen Geldwäsche, Betrug, Vorteilsannahme und Verwahrungsbruch von seinem Amt suspendiert ist, darf er als Rechtsassessor in Kanzleien weiterarbeiten. „Dr. Faust“ arbeitet für die neue Firma mit Geschäftsführerin Erika R. die Verträge für das millionenschwere Chinageschäft aus, alles mit der Erfolgsaussicht für das Ehepaar auf Gewinn, mit dem noch ausstehende Steuerschulden beglichen werden sollen, und im sicheren Glauben, dass die Geschäfte rechtmäßig seien.

Er erhöht seine Glaubwürdigkeit unter Angehörigen der Minderheit, indem er auf rassistische Strukturen bei der Steuerfahndung hinweist. Als Diepold erstmals unter Anwälten negative Stimmen über den kriminell gewordenen ehemaligen Justizvertreter und Fachmann für internationales Wirtschaftsrecht vernimmt, habe er sich über ihn erkundigt: Die Vorstrafen seien verbüßt, als Rechtsanwalt sei seine Wiederzulassung in Vorbereitung. Man könne ihm vertrauen, hieß es.

Sein Name ist heute als Mitarbeiter eines international tätigen Unternehmens im Internet zu finden. Doch der Versuch, ihn um Stellungnahme und um ein Interview zu bitten, läuft ins Leere. Der Name sei im Unternehmen nicht bekannt, lautet die Auskunft.

„Bedrohung mit der Waffe – das hat Z. nie gemacht, er war vielleicht ein Trickser, aber Gewalt – nein, das machte er nicht“, habe der Ex-Staatsanwalt im Vorfeld des Gerichtsprozesses mehrmals zu Diepold gesagt. Am Verhandlungstag im Januar 2011 sagt „Dr. Faust“ das Gegenteil. Georg Z. habe ihm die Tat der Nötigung bei einem Krankenhaus-Besuch gestanden. So schnellt das Strafmaß für Z. um Jahre in die Höhe.

Nach elf Jahren – Versuche zur Klärung der Finanzen

Georg Z. und seine Ehefrau melden gerade noch rechtzeitig die Prüfung der Steuerschulden und Bilanzen an. Der beauftragte Steueranwalt schreibt, dass er nicht verstehe, weshalb kein Einspruch gegen die damalige Steuerfestsetzung gemacht wurde und die Anwälte alle Fristen für einen Einspruch haben verstreichen lassen. Wieder geht es um die Steuerschuld, die zur Großrazzia und Verhaftungswelle geführt hatte. Nun ist sie Ursache für die drohende Pfändung des Wohnrechts, mit dem Unterschied, dass sich der Steuerbetrag durch Zins- und Zinseszinsberechnungen verdoppelte.

„Es ging um 405.000 Euro Umsatzsteuer, die zu begleichen war. Wir hätten die Steuerschuld sofort zahlen können, es waren die Gelder da, auf dem Konto“, dies sei nachweisbar, betont Georg Z. immer wieder. Doch die Banken würden bis heute Kontoauskünfte verweigern, seine damaligen Anwälte und Steuerberater seien seit dem Tag der Großrazzia „verschwunden“, das China-Metall-Geschäft sei wie unsichtbar gemacht. „Wer hat es weitergeführt?“ Sein Wohnhaus wurde versteigert. „Wo sind die Erlöse hingekommen?“ Die Antwort der Finanzbehörde stehe bis heute aus. Per WhatsApp sendet er die Nachricht: „Jeder Mensch hat das Recht, seine Steuer zu klären!“

Leitartikel Panorama

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