Kriegsmüde Gesellschaft
Wie sich die US-Nation an den 11. September vor 20 Jahren erinnert
Das Gedenken an die Terroranschläge vom 11. September vor 20 Jahren wird dieses Jahr geprägt durch den Truppenabzug in Afghanistan. Eine kriegsmüde Gesellschaft blickt an diesem Tag auf ihre Helden, die damals als Erste zur Stelle waren.
Von Konrad Ege Freitag, 10.09.2021, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 09.09.2021, 15:50 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
2021 ist ein besonderes Erinnerungsjahr. Der Krieg in Afghanistan, mit dem die Attentäter vom 11. September 2001 bestraft werden sollten, ist nach beinahe 20 Jahren im Chaos zu Ende gegangen. Wie in den Jahren zuvor, vollziehen die USA am 11. September in New York das nationale Erinnerungsritual.
In New York City rasten an diesem Herbsttag binnen 18 Minuten zwei entführte Boeing-Passagiermaschinen in das World Trade Center. Menschen sprangen aus den Fenstern der mehr als 400 Meter hohen Zwillingstürme. Das World Trade Center stürzte ein.
Unweit der Hauptstadt Washington crashte ein Flugzeug in das Verteidigungsministerium. Eine vierte Maschine stürzte im Staat Pennsylvania unweit des Dorfes Shanksville ab. Beinahe 3.000 Menschen starben durch die Anschläge.
Von Aamoth bis Zukelman
Beim Gedenken in Manhattan, am Pentagon und in Pennsylvania halten sich die Politiker zurück, aus Respekt vor den Familien. Es gibt dieses Jahr weniger Corona-Beschränkungen als 2020. Bei der im Freien stattfindenden Veranstaltung in Manhattan brauchen voll Geimpfte keine Maske zu tragen.
Vor zehn Jahren wurden auf dem ehemaligen Gelände des World Trade Center ein Memorial und ein Museum eröffnet. Dort findet jedes Jahr die Zeremonie zum Gedenken an die Opfer statt. Es dauert etwa drei Stunden, bis Hinterbliebene die Opfernamen verlesen haben – von Gordon Aamoth bis Igor Zukelman.
Hintergrund: Am 11. September 2001 steuerten Terroristen vier entführte Passagiermaschinen in Symbole der US-amerikanischen Macht. Schnell wurde die Tat der Al-Kaida, die unter dem Schutz der Taliban stand, zugeschrieben. US-Präsident George W. Bush versprach Vergeltung. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) versicherte „uneingeschränkte Solidarität“. Am 20.9.2001 erklärte Bush den Krieg gegen den Terror. Am 7.10.2001 begann der US-Angriff auf Afghanistan. Am 2.5.2011 töteten US-Spezialeinheiten Osama Bin Laden, mutmaßlicher Verantwortlicher des 9/11-Anschlags. Zehntausende Zivilisten und afghanische Soldaten sowie einige Tausend US- und verbündete Soldaten kamen im Afghanistan-Krieg ums Leben. Im August 2021 haben US-Streitkräfte Afghanistan verlassen. Die Taliban übernahmen am 15. August wieder die Macht. Bei einem Terroranschlag am Flughafen am 26. August starben mehr als 85 Menschen.
Memorial ein Friedhof
Die Zeremonie konzentriere sich auf Opfer und Hinterbliebene, betonte die Präsidentin der 9/11-Gedenkstätte, Alice Greenwald. Vierzig Prozent der Hinterbliebenenfamilien hätten keine sterblichen Überreste erhalten. Für diese Menschen sei das Memorial zugleich ein Friedhof.
Das nationale Mahnmal habe die vielen kleinen nachdenklichen und trauernden Denkmäler ersetzt, die Menschen in New York unmittelbar nach den Anschlägen aufgestellt hätten, sagt der Historiker John Bodnar. Der emeritierte Geschichtsprofessor von der Indiana University in Bloomington ist Autor von „Divided by Terror: American Patriotism after 9/11“.
Kritik im Hintergrund
Bei zahlreichen Veranstaltungen im ganzen Land ehren Feuerwehrleute und Polizisten am Jahrestag bei den Anschlägen getötete Kollegen. Feuerwehren organisieren das sogenannte „Feuerwehr-Treppensteigen“, bei dem Teilnehmer in Erinnerung an den Einsatz im World Trade Center in voller Montur die Treppen von Hochhäusern besteigen. Ein früherer Flugbegleiter schiebt zu Ehren seiner Kolleginnen und Kollegen einen Getränkewagen von Boston nach New York.
Die offizielle Erinnerung betone die heroischen Taten der Rettungskräfte am 11. September 2001. Diese Betonung verdränge die kritische Analyse der Hintergründe der Anschläge und der Reaktion der US-Regierung mit der Kriegserklärung, sagt Historiker Bodnar. Der damalige Präsident George W. Bush hatte unmittelbar nach den Anschlägen Afghanistan den Krieg erklärt.
Krieg-Zustimmung nachgelassen
Bush habe „eine Dosis patriotischer Gewissheit“ zu den damals vielfältigen Emotionen der Menschen hinzugefügt, so Bodnar. 2002 habe Bush dann verfügt, der 11. September solle fortan „Patriot Day“ (patriotischer Tag) heißen, zum Gedenken an die heldenhaften Opfer der Ersthelfer.
Die anfängliche Zustimmung zum Afghanistan-Krieg in der US-Bevölkerung hat stark nachgelassen. US-Präsident Joe Biden wollte die Streitkräfte vor dem 11. September nach Hause bringen. Doch der Preis für das Ende des Einsatzes ist hoch: Die Taliban haben in Afghanistan wieder die Macht übernommen. Bei einem Anschlag während der laufenden Evakuierungsmission starben am Flughafen Kabul 13 US-Soldatinnen und Soldaten und zahlreiche Afghanen.
Generation ohne Erinnerung
Fest vereinigt sind die US-Amerikaner am 20. Jahrestag der Terroranschläge freilich nicht. Was sich Augenzeugen und Zeitgenossen ins Gedächtnis eingebrannt hat, ist für manche jungen Leute eher eine alte Geschichte. Eine ganze Generation habe keine Erinnerung an dieses wegweisende Ereignis, sagte Gedenkstättenleiterin Alice Greenwald in einem Fernsehinterview.
Seit 20 Jahren hat es keinen Terroranschlag dieses Ausmaßes auf US-Territorium gegeben. Doch die Terrorgefahr bleibe real, betonen Sicherheitsbehörden. Die US-Heimatschutzbehörde warnt vor einem erhöhten Risiko für Gewalttaten ausländischer Terrorgruppen rund um den Jahrestag. (epd/mig) Aktuell Ausland
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