Afghanistan, Krieg, Militär, Panzer, Soldaten
Militäreinsatz in Afghanistan © ArmyAmber @ pixabay.com (Lizenz), bearb. MiG

71.000 Tote Zivilisten

Nach 20 Jahren endet der US-Militäreinsatz in Afghanistan

Etwa 241.00 Menschen wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten im Afghanistan-Krieg getötet, darunter 71.000 Zivilisten. Kurz vor dem Abzug töteten US-Drohnen neun weitere Zivilisten, darunter Kinder. Nun haben die USA ihre letzten Soldaten vom Hindukusch abgezogen. Experte: Afghanistan ist für den Westen erst einmal verloren.

Mittwoch, 01.09.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 31.08.2021, 16:06 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Nach 20 Jahren haben die USA ihre Militärpräsenz in Afghanistan beendet. Der letzte US-amerikanische Soldat habe das Land mit einer Militärmaschine verlassen, erklärte das zentrale US-Einsatzkommando Centcom am frühen Dienstagmorgen auf Twitter. Die Taliban, die vor gut zwei Wochen die Macht in Afghanistan übernommen hatten, feierten den Abzug mit Gewehrschüssen und dem Abfeuern von Geschossen. Tausende Afghaninnen und Afghanen warten noch auf einen Rettungsflug.

Die USA waren im Jahr 2001 in Afghanistan einmarschiert, weil die damals herrschenden Taliban dem Al-Kaida-Führer Osama bin Laden Zuflucht geboten hatten. Bin Laden gilt als Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September in New York. Nach einer Schätzung der US-amerikanischen Brown-Universität wurden in den Kriegsgebieten in den vergangenen 20 Jahren etwa 241.000 Menschen getötet, darunter 71.000 Zivilisten.

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Mehreren Medienberichten zufolge wurden zuletzt am Sonntag bei einem Drohnenangriff der US-Streitkräfte weitere neun Zivilisten getötet, darunter mehrere Kinder sowie Wohnhäuser zerstört. Amnesty International forderte Aufklärung. Es brauche eine transparente und glaubwürdige Untersuchung des Luftschlags, sagte der USA-Direktor von Amnesty International, Paul O Brien. Experten zufolge sind die rücksichtslosen Tötungen von Zivilsten durch westliche Streitkräfte mit ein Grund dafür, dass sie von der afghanischen Bevölkerung nicht akzeptiert wurden.

Afghanistan für Westen verloren

Für den Politikwissenschaftler und Afghanistan-Experte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) „Afghanistan für den Westen erst einmal verloren“. Dass der Westen noch in der Lage ist, einen mäßigenden Einfluss auf die Taliban auszuüben, bezweifelt Markus Kaim, „vor allem weil es aus Sicht der Taliban eine Alternative gibt, an die man sich wenden kann, nämlich China und Russland“. Beide Staaten agierten derzeit mit einer Mischung aus Vorsicht und geopolitischen Ambitionen.

Zuletzt waren noch etwa 6.000 US-Soldaten am Flughafen von Kabul im Einsatz, um die Bürger westlicher Staaten sowie gefährdete Afghanen zu evakuieren. Auch Deutschland hatte bis zu 600 Streitkräfte in Kabul stationiert. Insgesamt wurden nach Angaben des Weißen Hauses mehr als 120.000 Menschen ausgeflogen. US-Präsident Joe Biden bezeichnete die Evakuierungsmission als die „größte Luftbrücke in der US-Geschichte“.

Taliban feiert US-Abzug

Die Taliban, die wiederholt erklärt hatten, die Präsenz internationaler Truppen nicht über den 31. August hinaus zu akzeptieren, begrüßten den Abzug. „Unser Land hat die vollständige Unabhängigkeit erlangt“, erklärte der Sprecher der radikalislamischen Gruppe, Suhail Shaheen, auf Twitter. Der US-Sonderbeauftragte Zalmay Khalilzad sprach nach dem Abzug von einer Chance für die Afghanen. Die Zukunft des Landes liege nun in ihren Händen, schrieb er auf Twitter.

Nachdem die letzte US-Militärmaschine abgehoben hatte, übernahmen die Taliban den Flughafen von Kabul. Der UN-Sicherheitsrat forderte die neuen Machthaber am Hindukusch in einer Resolution dazu auf, allen Afghanen, die ihre Heimat verlassen wollen, eine sichere Ausreise zu ermöglichen. Zudem müssten die Taliban die Menschenrechte achten, besonders für Frauen und Mädchen, heißt es in der am Montag (Ortszeit) in New York verabschiedeten Erklärung.

UN appelliert an Geberländer

Während 13 Mitglieder des Rates für die Resolution stimmten, die von den USA, Frankreich und Großbritannien eingebracht worden war, enthielten sich China und Russland. Die Resolution mache deutlich, dass sich die Taliban an den Menschenrechten ausrichten müssten, sagte Konfliktforscher Conrad Schetter von Internationalen Konversionszentrum Bonn (BICC) dem „Evangelischen Pressedienst“. Dass China und Russland sich dabei neutral verhalten hätten, sei ein Durchbruch.

Derweil appellierten die Vereinten Nationen eindringlich an die Geberländer, die Mittel für die Afghanistan-Hilfe aufzustocken. Mehr als die Hälfte des für dieses Jahr benötigten Geldes fehle noch, sagte der Sprecher des UN-Büros zur Koordinierung humanitärer Hilfe, Jens Laerke, in Genf. Bislang seien erst rund 500 Millionen der nötigen 1,3 Milliarden US-Dollar (1,1 Milliarden Euro) bereitgestellt worden.

WHO plant Ausweitung von Hilfslieferungen

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) plant, ihre Hilfslieferungen nach Afghanistan auszuweiten. Nachdem am Montag ein erstes Flugzeug mit medizinischen Gütern seit der Machtübernahme der Taliban in dem Land eingetroffen war, sollen bald kontinuierlich Flüge stattfinden. Insgesamt sind laut den UN 18 Millionen der insgesamt 39 Millionen Einwohner des Landes auf Unterstützung angewiesen.

Außenminister Heiko Maas (SPD) war am Sonntag zu Gesprächen in der Türkei, Usbekistan, Tadschikistan, Pakistan und Katar aufgebrochen. Dabei soll es unter anderem um eine zivile Inbetriebnahme des Flughafens von Kabul gehen, um die Ausreise von schutzbedürftigen Menschen zu ermöglichen. Zwei Wochen nach der Machtübernahme der Taliban ist immer noch unklar, wie die neue Regierung aussehen soll. (epd/mig) Ausland Leitartikel

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