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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Am Arsch der Taliban

Am 26.09. werden Parteien zur Wahl stehen, die in Sonntagsreden von christlicher Nächstenliebe reden und am Montag Menschen in den Tod schicken.

Dienstag, 10.08.2021, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 09.08.2021, 16:26 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Neben den vielen Kleinigkeiten, die von der unionsnahen Presse im Wahljahr zum großen Skandal aufgeblasen werden, gibt es sie immer noch: die ganz großen Themen. Ob nun Maskendeals, PKW-Maut oder Autobahn GmbH, ob Milliarden Steuergelder in den Sand gesetzt und dabei geltendes Recht gebrochen wurde oder das Pandemiemanagement sich mehr und mehr als Rohrkrepierer beweist; ob Spahn, Scheuer oder Scholz: gemein haben sie alle das CDU/CSU-Parteibuch und, dass sie von der Kanzlerin gedeckt und in ihren Ämtern gehalten werden – ungeachtet ihrer bewiesenen Inkompetenz (wobei einzelne Wirrköpfe ja das Gerücht verbreiten, einer der drei Genannten bewerbe sich als Kanzler für eine andere Partei). Da wundert es nicht, dass die Union einen Kanzlerkandidaten aufstellt, der nicht weiß, ob er die Steuern senken oder erhöhen will und der als größter Bremser in Deutschland jetzt den Klimaschutz beschleunigen will.

„Seehofer hatte kürzlich eine Abschiebung von Geflüchteten nach Afghanistan aussetzen müssen, weil man den Piloten nicht zumuten konnte, in diese extrem unsichere Situation zu fliegen.“

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Eine derer, die viel zu selten in dieser Reihe genannt werden, ist die transphobe Ex-zukünftige Kanzlerkandidatin und Kurzzeit-Unionschefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Die Verteidigungsministerin, die sich – gegen den Trend der Alliierten – standhaft weigert, afghanischen Kollaborateuren Asyl in Deutschland zu gewähren, wird darin auch von einem anderen, Horst „Einwanderung müssen wir bis zur letzten Patrone bekämpfen“ Seehhofer, bestätigt. Der hatte kürzlich eine Abschiebung von Geflüchteten nach Afghanistan aussetzen müssen, weil man den Piloten nicht zumuten konnte, in diese extrem unsichere Situation zu fliegen, machte gleichzeitig aber direkt klar, dass die Afghanen trotzdem abgeschoben werden – notfalls werden sie wahrscheinlich mit dem Fallschirm aus sicherer Flughöhe abgeworfen.

Wie sicher Afghanistan ist, hat sich dabei erst am Freitag wieder im Besonderen gezeigt. Da war nämlich der Chefsprecher der afghanischen Regierung und des Präsidenten, mutmaßlich niemand, der nachts allein zu Fuß durch ein unsicheres Viertel schlendern würde, von den Taliban getötet. Die sind unaufhaltsam auf dem Vormarsch, haben gerade erst Kundus erobert und werden in wohl nicht allzu langer Zeit das ganze Land unter ihre Kontrolle gebracht haben. Nur zur Erinnerung: Die Taliban sind diejenige Vereinigung, die dem Land eine religiös-extremistische Ordnung aufgezwungen haben und weltweiten Terrorismus organisierten, so dass es eine Reihe von Staaten als gerechtfertigt ansah, einen andernfalls Völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu führen – der insbesondere in Deutschland als „Verteidigungskrieg“ und „überhaupt kein Krieg, sondern ein Einsatz, ein Konflikt, alles, nur kein Krieg“ verkauft wurde.

Diese Taliban kontrollieren also demnächst wieder ganz Afghanistan – und Deutschland, dass es gerechtfertigt sah, gegen diese Taliban Krieg zu führen, schiebt gleichzeitig Menschen in das von genau diesen Radikalen kontrollierte Kriegsgebiet ab. Wenn die Berichte über das Vorgehen der Frontex-Schiffe gegen Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer gelegentlich daran erinnern, wie jüdische Flüchtlingsschiffe aus sicheren Ländern nach Nazideutschland zurückgeschickt wurden, dann entspricht das Abschieben nach Afghanistan wahrscheinlich am ehesten dem, Menschen in Güterwaggons zu stecken.

„Am 26.09. werden Parteien zur Wahl stehen, die in Sonntagsreden von christlicher Nächstenliebe reden und am Montag Menschen in den Tod schicken.“

Und ja, natürlich kann man Einwände gegen diesen Vergleich hegen. Man sollte sogar. Die kollektive Erfahrung der betroffenen Menschen war unbestritten eine völlig andere, und etwas anderes zu behaupten kommt der Vogelschiss-AfD schon recht nahe. Aber das wird dem individuellen Menschen kein Trost sein: von einem sich als zivilisiert verstehenden Land in den als sicher angenommenen Tod geschickt zu werden, ist wohl das größte Unrecht, dass einem Menschen angetan werden kann.

Deshalb: Am 26.09. werden solche Parteien zur Wahl stehen, die Verantwortung zu tragen bereit sind und solche, die in Sonntagsreden von christlicher Nächstenliebe reden und am Montag Menschen in den Tod schicken. Dann entscheiden wir individuell, wo wir unser Kreuz machen, und kollektiv, ob uns dieses Elend egal ist, oder ob die Werte, die wir uns so gern zuschreiben, tatsächlich unsere Werte sind. Meinung

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  1. J-S sagt:

    Sorry,

    aber – ich als Frau möchte hier wo ich lebe ebenfalls sicher leben. Die nun abzuschiebenden sind keine Engel sondern schwere Straftäter und auch keine kleinen „Taschendiebe“.
    Bei allem Verständnis für die Menschen die dort leben – auch ich als hier lebende habe ein RECHT auf körperliche Unversehrtheit. Die Männer die abgeschoben weren (es waren ausschließich Männer) stellen eine Gefahr für alle hier lebenden dar. Sie hatten es in der HAnd das nicht zu tun.

    Zudem – statt zu MEckern was „der Westen“ mit seinem „Angriffskrieg“ denn nun falsch gemacht haben soll bitte erklären was besser gewesen wäre? Soweit mir bekannt war zumindest solange die ISAf vor Ort war die Lage der Frauen besser als sie es vorher war – und nun leider wieder sein wird. Es wurde viel getan um zu versuchen das Land auf eigene Füsse zu stellen.
    Es hat nicht geklappt. Das ist aber irgendwie nicht unser Fehler würde ich sagen.

  2. Gerrit sagt:

    Wie wahr, wie wahr …

    Schauen wir mal am 26.09. was uns unsere eigenen Werte wirklich wert sind!

    Zum Kommentar von „J-S“ noch ein paar Bemerkungen:

    SELBSTVERSTÄNDLICH sollen/müssen Frauen sicher leben können – aber überall auf der Welt!

    Wir haben ein Strafgesetzbuch. Das gilt für alle meines Wissens, unabhängig von der Nationalität und Herkunft. Man muss es halt anwenden! Die Voraussetzungen dafür sind da!

    Warum das afghanische Volk die Möglichkeiten nicht besser angenommen hat, vermag ich nicht in letzter Konsequenz zu sagen. Vielleicht hat es etwas damit zu tun, daß man einer anderen Kultur die eigene nicht mit „Gewalt überstülpen“ kann in relativ kurzer Zeit.

    Tatsache ist aber, daß man 20 Jahre sehr halbherzig „etwas“ versucht hat. Aber da der politische Wille in letzter Konsequenz gefehlt hat, ist es ein teueres Desaster geworden. Die Angehörigen der Bundeswehr, die dort ihr Leben riskiert haben, müssen sich sehr verraten fühlen. An ihnen hat es nicht gelegen!

    Wenn man eine solche Aktion beginnt, muss man sie auch beenden – und nicht auf „halbem Weg“ aufhören. Also ist es schon „unser Fehler“!