Igor Levit
Pauschale Antisemitismusvorwürfe gegen Migranten: Rassismus auf dem Rücken von Juden
Vor 30 Jahren startete die jüdische Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. Ein Festakt blickte zurück auf eine Erfolgsgeschichte für die jüdischen Gemeinden - und auf die gegenwärtige Auseinandersetzung mit Antisemitismus. Star-Pianist Igor Levit hielt eine kritische Rede und fand deutliche Worte.
Mittwoch, 16.06.2021, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 15.06.2021, 20:30 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hat die jüdische Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland als Geschenk bezeichnet und zugleich zum entschlossenen Eintreten gegen Judenhass aufgefordert. Die vor 30 Jahren begonnene Zuwanderung sei ein Grund zum Feiern, „aber unbeschwert feiern lässt sich diese Erfolgsgeschichte nicht“, sagte Schäuble am Montag bei einer Festveranstaltung in Berlin. Dies gelte nicht nur wegen der mörderischen deutschen Vergangenheit, „sondern vor allem wegen der deutschen Gegenwart“, sagte er mit Blick auf die Zahl antisemitischer Straftaten. „Antisemitismus ist und bleibt unerträglich“, betonte er.
Er forderte, mit allen Mitteln des Rechtsstaats, mit öffentlicher Ächtung und mit Bildung gegen Antisemitismus vorzugehen. Mit der Festveranstaltung erinnerte der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Felix Klein, an den Start der jüdischen Zuwanderung aus der früheren Sowjetunion vor rund 30 Jahren. Schäuble war damals in der Regierung von Kanzler Helmut Kohl (CDU) als Bundesinnenminister mit zuständig für die sogenannte Kontingentregelung, die von der letzten, frei gewählten DDR-Regierung mit auf den Weg gebracht wurde.
Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion
Er sei schon damals überzeugt davon gewesen, „dass wir den Wunsch von Juden, in Deutschland leben zu wollen, dankbar annehmen sollten“, sagte Schäuble. Dies sei vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte ein Geschenk.
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, sagte, durch die Zuwanderungsregelung hätten diejenigen, die die Sowjetunion unbedingt verlassen wollten, die Möglichkeit dazu bei „weit offener Tür“ gehabt. Heute sei der Zugang viel schmaler, beklagte Schuster zugleich. Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Hans-Eckhard Sommer, begründete das seit 2005 geltende Punktesystem für die Zuwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion damit, dass die Zuwanderung eine Herausforderung, teilweise auch Überforderung für die jüdischen Gemeinden gewesen sei. Schuster sagte, dass von den rund 250.000 Zuwanderern bis 2005 rund die Hälfte nicht Mitglieder der Gemeinden wurden, weil sie im religionsrechtlichen Sinne nicht jüdisch gewesen seien, etwa keine jüdische Mutter hatten. Auch sie seien in vielen Gemeinden aber über soziokulturelle Kreise integriert worden.
Rassismus auf dem Rücken von Juden
Bei der Veranstaltung kamen auch Kinder jüdischer Zuwanderer zu Wort, die die Umsiedlung in jungen Jahren erlebten, darunter der Star-Pianist Igor Levit. Er kritisierte mit scharfen Worten pauschale Antisemitismusvorwürfe gegen Migranten. „Auf dem Rücken von Jüdinnen und Juden wird hier in diesem Land Rassismus betrieben, da fehlen mir manchmal die Worte“, sagte Levit. Er verwies auf die nach judenfeindlichen Ausschreitungen bei Pro-Palästina-Demonstrationen kürzlich aufgeflammte Debatte über Antisemitismus unter arabischen Zuwandern in Deutschland.
Levit betonte: „Wer eine Gesellschaft spaltet, wer undifferenziert Rassismus betreibt auf dem Rücken der Juden, gefährdet Juden.“ Dabei verwies er konkret auf Teile der Medien. „Ich kenne sehr, sehr viele Jüdinnen und Juden, die sich nicht vertreten fühlen von der Art und Weise, wie zum Beispiel ein gewisses großes deutsches Medienhaus sein Rittertum für die jüdische Sache führt“, sagte er in Anspielung auf den Axel-Springer-Konzern.
Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) verurteilte in ihrer Begrüßungsansprache die kürzlichen antisemitischen Ausschreitungen bei Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt vor Synagogen in deutschen Städten: „Wer gegen Israels Politik demonstrieren will, der kann das friedlich vor der israelischen Botschaft tun“, sagte sie. (epd/mig) Aktuell Feuilleton
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