Ausstellung

Neues von den Germanen

Die Germanen gelten gemeinhin als Vorfahren der Deutschen. Eine Ausstellung mit neusten Forschungsergebnissen in Bonn enttarnt die Erzählung von „den Germanen“ nun als römische Erfindung.

Von Freitag, 04.06.2021, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 03.06.2021, 15:52 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Vor 50 Jahren war die Sicht auf die Herkunft der Deutschen noch recht unkompliziert: Unsere Vorfahren waren ganz einfach die Germanen. So hatten es der römische Historiker Tacitus und der Herrscher Julius Cäsar in ihren Schriften überliefert. Doch heute stehe fest: „Die Germanen waren eine Erfindung dieser beiden Männer“, sagt Thorsen Valk, Direktor des LVR-Landesmuseums in Bonn.

Neue Forschungsergebnisse zeigten, dass die sogenannten Germanen in Wirklichkeit unterschiedliche Gemeinschaften mit eigenen kulturellen Traditionen gewesen seien, erklärt er. Die neuen Erkenntnisse sind Anlass für die Ausstellung „Germanen. Eine archäologische Bestandsaufnahme“, die bis zum 24. Oktober im LVR-Landesmuseum zu sehen ist.

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Eine Frage der Identität

„Wir blicken heute ganz anders auf die Germanen als noch vor 20 Jahren“, sagt Kurator Michael Schmauder. Das gehe so weit, dass in der Forschung derzeit diskutiert werde, ob der Begriff „Germanen“ überhaupt noch verwendet werden könne. Schließlich fielen darunter eine Vielzahl verschiedener Stämme, die in der Zeit zwischen dem ersten und vierten Jahrhundert in einem Gebiet siedelten, das sich vom Rhein bis an die nördliche Küste des Schwarzen Meeres erstreckte. Zudem werde die Bezeichnung immer wieder von rechtsextremen Strömungen vereinnahmt.

Die Germanen tauchten in der politischen Diskussion immer dann wieder auf, wenn es um die Frage der Identität der Deutschen gehe, sagt Valk. „Das beste Gegengift gegen fragwürdige Debatten sind solche Ausstellungen wie diese.“ Denn hier werde deutlich, dass es eine klare Verbindungslinie von „den Germanen“ zu den heutigen Deutschen so nicht gebe. „Von einer ethnischen Kontinuität kann man in keiner Weise sprechen“, betont Schmauder.

Homogene germanische Urbevölkerung ein Mythos

Das führt die Ausstellung den Besuchern gleich am Anfang vor Augen. Eine wandumspannende animierte Karte gibt Überblick über die zahlreichen Stämme auf dem Gebiet der römischen Provinz Germania sowie ihrer Nachbarregionen und zeichnet ihre Wanderungsbewegungen nach. „Die Germanen haben in weiten Gebieten Europas und rund um das Mittelmeer auch dort Spuren hinterlassen, wo heute längst keine ihrer Sprachen mehr gesprochen wird“, stellt Schmauder fest.

Dass der Mythos von einer homogenen germanischen Urbevölkerung auf heutigem deutschem Gebiet sich halte, hänge auch mit der Quellenlage zusammen, sagt der Historiker. Während Tacitus und Cäsar ihre Weltsicht schriftlich niederlegten, hinterließen die germanischen Stämme keine Schriftstücke. Deshalb seien Ausstellungen über die Germanen bislang in der Regel durch die römische Sicht geprägt gewesen. „In dieser Ausstellung wird die römische Brille einmal abgelegt“, kündigt Valk an.

Aufräumen alter Bilder

Zu sehen ist dann ein Bild von den Germanen, das mit dem Image der ungehobelten Barbaren aufräumt. Die Ausstellung präsentiert Funde aus Deutschland, Dänemark, Polen und Rumänien. Ein Prunkstück der Ausstellung ist zum Beispiel das in Schleswig-Holstein gefundene „Thorsberger Zierblech“, ein von menschlichen Köpfen gerahmter Tierfries aus dem dritten Jahrhundert nach Christus.

Goldschmiedetechnische Meisterleistungen sind auch die aus Dutzenden von Einzelteilen bestehenden Dosenfibeln aus einem Frauengrab in Dienstedt im Ilm-Kreis. Fein gedrechselte Holzgefäße oder Töpferwaren zeigen, dass die germanischen Stämme keineswegs primitiv lebten.

Von Römern wenig übernommen

Die Auswertung von Funden aus den vergangenen Jahrzehnten lassen auch Schlüsse auf das Selbstverständnis der germanischen Stämme zu, erklärt Schmauder. Aus römischer Sicht lebten die Germanen vielleicht ohne die vielen Errungenschaften römischer Zivilisation, weil sie es nicht besser wussten. Allerdings kommen die Forscher mittlerweile zu dem Schluss, dass die germanischen Stämme den römischen Lebensstil auch gar nicht übernehmen wollten. So erwarben die Germanen zum Beispiel Bronze oder Stahltöpfe von den Römern, weil diese eine bessere Metallherstellung hatten. Allerdings schmolzen sie die römischen Metallwaren häufig ein und schmiedeten daraus ihre eigenen Produkte.

Offenbar fanden die Germanen aber auch das Gesellschaftssystem der Römer nicht attraktiv. Bei den Germanen habe es zwar eine großbäuerliche Oberschicht gegeben, sagt Schmauder. Aber Könige hätten sie nicht gehabt. Die Eliten hätten nicht zugelassen, dass sich eine Person dauerhaft an die Spitze setzte. „Das erklärt vielleicht auch, warum sie wenig von den Römern übernommen haben.“ (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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