Ausbildung - und dann?
Pandemie erschwert Flüchtlingen Weg ins Arbeitsleben zusätzlich
Vor sechs Jahren kam Seifollah Abdul Raouf aus Afghanistan nach Deutschland. In diesem Jahr schaffte er die Gesellenprüfung als Mechatroniker, seine Firma wollte ihn übernehmen. Doch jetzt muss er sich wieder Sorgen um die Zukunft machen.
Von Cristina Marina Freitag, 09.04.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 08.04.2021, 13:19 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Als Seifollah Abdul Raouf 2015 aus Afghanistan nach Deutschland kam, war er 15 Jahre alt und konnte kaum lesen und schreiben. In diesem Jahr hat er seine Ausbildung zum Fahrzeugmechatroniker und Karosseriebauer abgeschlossen. Der Weg dahin war schwer. Die Pandemie hat ihn noch weiter erschwert. „Den Lernstoff aufzuholen, hat viel Kraft gekostet“, sagt der junge Mann mit dem dunklen Wuschelkopf.
An der Arbeit selbst hat er Spaß. Autos, die nach Unfällen etwa verbeult zur Reparatur kamen, verließen die Werkstatt wieder wie neu. „Das hat mich fasziniert“, sagt er. Die Praxis hatte er nach kurzer Zeit drauf. Doch an der Theorie drohte er zu scheitern. Raouf hat deshalb wie besessen gelernt, wie er erzählt. Jeden Tag nach der Schule ging er mit ein paar Freunden in die städtische Bibliothek. Dort nahmen sie jede Aufgabe auseinander, übersetzten sie mühsam Wort für Wort, machten sich die Zusammenhänge verständlich, fragten einander ab, so lange, bis die Bücherei schloss.
55.000 Geflüchtete in Ausbildung
Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit befanden sich im September 2019 insgesamt 55.000 Menschen aus den acht häufigsten Asylherkunftsstaaten, darunter Afghanistan, Syrien, Irak und Eritrea, in einer Ausbildung. Die Zahl ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen: Im Jahr zuvor waren fast 11.000 Auszubildende weniger beschäftigt. Doch laut Schätzungen, unter anderem des Ausbilderportals „Stark für Ausbildung“, brechen die jungen Geflüchteten im Vergleich zu Einheimischen öfter ihre Ausbildung ab.
„Manchmal war eine Aufgabe in Wahrheit leicht, aber ich verstand die Frage sprachlich nicht“, erzählt Raouf. Das kann Marlene Wolter bestätigen. Die Schulleiterin im Ruhestand hilft seit mehr als sechs Jahren jungen Geflüchteten, in Deutschland Fuß zu fassen. Ohne Unterstützung sei die Ausbildung für Geflüchtete kaum zu schaffen, sagt die 74-Jährige. Die Prüfungsaufgaben seien oft schwierig formuliert und sogar für „nicht so sprachstarke Azubis“ ohne jedwede Migrationsgeschichte schwer verständlich. Auch Multiple-Choice-Fragen, also jene Aufgaben mit mehreren Antwortmöglichkeiten zur Auswahl, erforderten einen hohen Leseaufwand: „Selbst Muttersprachler haben damit oft Probleme.“
Dann kam die Pandemie
Wolter vermittelte Raouf deshalb an ein Integrationsprojekt der hannoverschen Landeskirche. Bei „Ponte Azubis“ stehen ehrenamtliche „Paten“ rund 30 geflüchteten Männern und Frauen während ihrer Ausbildung zur Seite. Raoufs Pate, ein Berufsschullehrer im Ruhestand, war einst selbst im Metallbau tätig. Zweimal oder dreimal in der Woche übten die beiden zusammen die Fachaufgaben. „Das war meine Rettung“, sagt Raouf. Dann kam die Pandemie.
Raoufs Berufsschule verkürzte den sogenannten Blockunterricht. Der junge Mann, der zum Lernen sowieso länger als andere in seiner Klasse brauchte, musste den Stoff nun in der Hälfte der vorgesehenen Zeit schaffen. Im Heimunterricht fehlte ihm gleichzeitig der persönliche Kontakt zu den Lehrkräften. Mit Freunden zusammen lernen fiel aus. „Das hat mich unter großen Stress gesetzt“, sagt er.
Expertin fordert pragmatische Lösungen
Die Leiterin des Projektes „Ponte Azubis“, Waltraud Kämper, fordert schon seit Pandemiebeginn mehr Unterstützung für Auszubildende. Die Referentin im Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) wirbt für pragmatische Lösungen. Eine wäre, in den Prüfungen mehr Zeit zu lassen. „Das tut niemandem weh, nimmt aber etwas von dem enormen Druck raus, unter dem Azubis und insbesondere Geflüchtete zurzeit stehen.“
Unterdessen musste sich Raouf um eine weitere große Hürde kümmern: seinen Aufenthaltstitel. Kurz vor seinem 21. Geburtstag wurde sein Asylverfahren neu aufgerollt. Dabei stand Raouf gerade seine Gesellenprüfung bevor. „Daran bin ich fast verzweifelt“, sagt er im Nachhinein. „Ich wusste nicht, wann ich noch lernen sollte.“
Geflüchtete von der Corona-Krise besonders betroffen
Günter Hirth, Abteilungsleiter in der Berufsbildung der IHK in Hannover, räumt ein, dass Geflüchtete von der Corona-Krise im besonderen Maße betroffen seien. Der Zugang zu Sprachkursen und Beratungen beispielsweise sei eingeschränkt. Um geflüchteten Auszubildenden entgegenzukommen, setzt Hirth auf die Unterstützung im Betrieb.
Kämper aber hat beobachtet: Da kleine Firmen oft ums Überleben kämpfen müssten, bleibe ihnen oft wenig Kraft, um die Azubis intensiv zu begleiten. Raoufs Betrieb, ein Unternehmen mit rund 20 Beschäftigten, konnte dies nicht leisten. Zur Gesamtlage zieht Hirth trotzdem ein positives Fazit: „Eine aktuelle Umfrage lässt vermuten, dass viele Auszubildende mit Fluchthintergrund nach bestandener Prüfung auch als Fachkraft übernommen werden.“
Nur noch drei Monate Zeit
Auch Raoufs Chefs wollte den Gesellen behalten. Der Betrieb hatte das schriftlich erklärt. Für Raouf war diese Absichtserklärung von großer Tragweite, denn wer in Deutschland bleiben will, muss auch vorweisen, dass er Arbeit hat. Doch dann musste der Betrieb wegen der Pandemie Kurzarbeit anmelden und konnte ihn nicht mehr übernehmen. Jetzt bleiben ihm nur noch drei Monate Zeit, um eine neue Arbeitsstelle zu finden, bevor sein Visum abläuft.
Über seine erfolgreich beendete Ausbildung sei er überglücklich gewesen, sagt Raouf: „Als ich meinen Namen hörte und begriff, dass ich bestanden hatte, kamen mir die Tränen.“ Doch jetzt mache er sich viele Sorgen wegen der Zukunft. „Es wäre bitter“, sagt Kämper, „müssten Auszubildende die Erfahrung machen, dass ihre harte Arbeit sich nicht gelohnt hat.“ (epd/mig) Leitartikel Panorama
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