"Wir brauchen mehr Türöffner"
Flüchtlinge bei der Ausbildung
Immer mehr Flüchtlinge schaffen den Weg in eine Lehre. Doch diese durchzuhalten und zu bestehen, bleibt eine Herausforderung. Um nicht an der Fachsprache oder dem Ausbildungssystem zu verzweifeln, brauchen sie intensive Betreuung, fordern Experten. Von Leonore Kratz
Von Leonore Kratz Freitag, 10.08.2018, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 13.08.2018, 17:15 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Moussa Soukouna (26) verliert nicht viele Worte, er arbeitet lieber. In der nach Holz duftenden Werkstatt des Staatstheaters Hannover baut er als Praktikant an den Bühnenbildern für die neue Spielzeit mit: Die Stücke „Tristan und Isolde“ und „Der Schwarze Obelisk“ feiern im Spätsommer Premiere. „Ich darf bei allem helfen und normal mitarbeiten“, erzählt Soukouna stolz und in beinahe fehlerfreiem Deutsch. Er ist vor knapp drei Jahren aus Mali geflohen. Mitte Juni begann er als Praktikant in der Theater-Schreinerei. Sein größter Wunsch: Ein Ausbildungsplatz. Hilfe bei der Umsetzung finden Soukouna und seine Unterstützerin und „Patin“ Marion Bock bei dem Integrationsprojekt „Ponte Azubis„.
Das Vorhaben von Diakonie und dem „Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt“ (KDA) der hannoverschen Landeskirche hilft derzeit 18 geflüchteten Frauen und Männern beim Einstieg ins Berufsleben. „Wir wollen die jungen Flüchtlinge in eine Ausbildung bringen und sie so begleiten, dass sie die Ausbildung schaffen“, sagt Initiatorin Marcella Heine. Die frühere Lehrerin hat das Projekt mit der KDA-Referentin Waltraud Kämper im Februar ins Leben gerufen. „Ponte Azubis“ baut Brücken zu Unternehmen und vermittelt den Flüchtlingen Ehrenamtliche als „Paten“. Bislang haben acht Teilnehmer einen Ausbildungsvertrag und lernen ab Herbst unter anderem Steuerfachgehilfin oder Elektriker.
Immer mehr Geflüchtete schaffen den Sprung in die Unternehmen, sagt Arne Hirschner von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hannover. Ende September 2017 waren nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit rund 28.000 Menschen aus den wichtigsten Asyl-Herkunftsländern wie Afghanistan, Eritrea, Pakistan oder Syrien in einem Ausbildungsverhältnis – rund 15.000 mehr als 2016 und etwa 21.000 mehr als im Herbst 2015.
Probleme mit der Fachsprache
Viele Zuwanderer und Flüchtlinge hätten jedoch Probleme mit der Fachsprache oder mit dem Rechnen und Lesen, weiß Hirschner. Um Abbrüchen oder gescheiterten Abschluss-Prüfungen vorzubeugen, braucht es aus Sicht der IHK daher sichere Deutschkenntnisse sowie „während der Ausbildung eine kontinuierliche intensive begleitende Unterstützung“.
Genau das hat sich „Ponte Azubis“ auf die Fahnen geschrieben, betont Projektleiterin Kämper. „Das deutsche Ausbildungssystem ist für viele junge Menschen eine Herausforderung, aber insbesondere für Geflüchtete.“ Viele Flüchtlinge hätten noch ein zusätzliches Päckchen zu tragen, einen unsicheren Aufenthaltsstaus etwa oder die Sorge um die Familie im Herkunftsland. Zudem fehle den geflüchteten Jugendlichen oft noch ein Netz aus Freunden und Familie: „Es ist physisch und psychisch Stress, wenn man in der Schule mit neuen Leuten sitzt.“
„Ponte Azubis“ will die frisch gebackenen Azubis ganz individuell betreuen, erläutert Kämper: Die Mitarbeiter geben Tipps zu angemessener Arbeitskleidung, vermitteln Mathe-Nachhilfe oder laden zum Austausch ein. Doch für 18 Flüchtlinge gibt es derzeit nur 13 „Paten“. Es sei schwieriger geworden, Ehrenamtliche zu finden, sagt Heine. Die flammende Hilfsbereitschaft aus Zeiten, in denen Willkommenskultur in aller Munde war, habe nachgelassen. Dabei gehe es jetzt um die nachhaltige Integration. Kämper wünscht sich mehr Menschen, die „sich als Türöffner verstehen und wollen, dass Flüchtlinge Erfolg haben“.
„Es tut uns gut, jemanden zu nehmen, der anders ist.“
Marion Bock engagierte sich bei der Hausaufgabenhilfe und hat dort Moussa Soukouna kennengelernt. Sie seien dann ab und zu spazieren gegangen oder ins Kino, erzählt die Kunstlehrerin. Als sie mitbekam, dass Soukouna eine Ausbildung machen möchte, meldete sie sich mit ihm bei „Ponte Azubis“ an. Nach vielen Telefonaten mit unterschiedlichen Unternehmen machte sie für ihr „Patenkind“ das Praktikum in der Schreinerei klar.
Und das scheint ein Glücksgriff zu sein. „Wir würden Moussa gern in die Ausbildung nehmen“, erzählt Ausbildungsleiter Olaf Fredriksen. Diesen Herbst sei es aber noch zu früh. Soukouna hat bis vor drei Jahren nie eine Schule besucht. Für den Beruf als Schreiner braucht er aber Kenntnisse in Chemie, Mathe und Biologie. „Wir wollen eine Chance sehen, dass er die Ausbildung bestehen kann“, betont Fredriksen.
Darum will er versuchen, seinen Praktikanten zunächst für ein Jahr in eine Flüchtlingsklasse der Berufsschule zu vermitteln. Ziel ist eine Ausbildung ab dem kommenden Jahr mit intensiver Betreuung. Das sei Mehrarbeit, klar, räumt Fredriksen ein. Aber es komme auch viel zurück, jemand wie Soukouna verändere das Miteinander im Team: „Es tut uns gut, jemanden zu nehmen, der anders ist.“ (epd/mig) Aktuell Wirtschaft
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