NSU 2.0
Hessen prüft Kostenerstattung für bedrohte Anwältin Başay-Yıldız
Rechtsanwältin Başay-Yıldız erhielt mehrmals Drohschreiben vom „NSU 2.0“. Ihre Daten wurden von Polizeicomputern abgerufen. Auf Anraten der Behörden erhöhte sie die Schutzmaßnahmen an ihrer Wohnung. Eine Kostenerstattung lehnte das Land aber ab. Nach öffentlicher Empörung rudert Innenminister Beuth zurück: Kostenübernahme werde geprüft.
Freitag, 19.03.2021, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 18.03.2021, 17:07 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) lässt prüfen, ob der Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız wegen der rechtsextremistischen Drohmails doch noch die Kosten für Schutzmaßnahmen in ihrer Wohnung erstattet werden können. Das sagte er am Donnerstag in einer Aktuellen Stunde des Wiesbadener Landtags zu dem Fall.
Vor allem die Oppositionsparteien SPD, FDP und Linke hatten zuvor scharf kritisiert, dass Landespolizeipräsident Roland Ullmann die Übernahme der Kosten von 5.083 Euro für die ihr von der Polizei empfohlenen Umbaumaßnahmen abgelehnt hatte. Zur Begründung hieß es in dem Schreiben an Başay-Yıldız, die rechtlichen Voraussetzungen für eine Amtshaftung lägen nicht vor.
„Wie würdet Ihr Euch fühlen?“
Hintergrund: Die Anwältin hat seit zweieinhalb Jahren insgesamt zwölf anonyme Faxe oder Mails mit Todesdrohungen gegen sie selbst und ihre kleine Tochter bekommen, die mit „NSU 2.0“ unterzeichnet waren. Der oder die Absender sind trotz Einsetzung eines Sonderermittlers bei der Polizei bis heute nicht ausfindig gemacht worden. Nachdem was bisher bekannt geworden ist, wurden ihre privaten Daten ohne dienstlichen Anlass von einem Computer in einem Polizeirevier abgefragt und vermutlich an Dritte weitergegeben.
In den sozialen Medien hatte das Ablehnungsschreiben für die Kostenübernahme für Empörung gesorgt. Die Bedrohte Rechtsanwältin fragte im Kurznachrichtendienst „Twitter“ als Reaktion auf das Ablehnungsschreiben: „Wie würdet Ihr Euch fühlen, wenn man Eure Adresse und Geburtsdaten aller Familienmitglieder (abgefragt im 1. Revier) im Darknet veröffentlicht und der Landespolizeipräsident und Innenminister schreiben Euch, es täte ihnen leid, dass wir uns bedroht ‚fühlten‘, aber Privatsache.“
Wie würdet Ihr Euch fühlen, wenn man Eure Adresse und Geburtsdaten aller Familienmitglieder(abgefragt im 1. Revier)im Darknet veröffentlicht und der Landespolizeipräsident und Innenminister schreiben Euch,es täte ihnen leid,dass wir uns bedroht „fühlten“, aber Privatsache https://t.co/lksJVZkieO
— Seda Başay-Yıldız (@SedaBasay) March 14, 2021
FDP: Ermittlungen kommen nicht voran
Der Innenminister versicherte am Donnerstag, die Ermittlungen würden weiter mit großer Akribie und hohem Engagement geführt. Inzwischen gebe es insgesamt 133 solcher Drohschreiben an Adressaten in Hessen, anderen deutschen Bundesländern und in Österreich. 18 davon stammten den Erkenntnissen zufolge jedoch von Trittbrettfahrern.
Stefan Müller, innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag, wirft Innenminister Beuth allerdings Nachlässigkeit vor. „Aber die Ermittlungen kommen nicht voran, und bislang hat der zuständige Innenminister mit seinem Agieren kein Vertrauen in eine konsequente Aufklärung geschaffen. Ohne Druck der Opposition wäre die Angelegenheit mutmaßlich mit noch weniger Nachdruck verfolgt worden“, so Müller.
Linke: Skandal ohne Ende
Scharfe Kritik erntete Beuth auch von Hermann Schaus, innenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Hessischen Landtag. Es sei erschreckend, dass diese NSU-2.0-Morddrohungen Daten enthalten, die von Behörden stammen. „Inzwischen wissen wir, dass diese sehr wahrscheinlich von Polizei-Computern in Frankfurt und Wiesbaden abgerufen wurden“, so Schaus. Mittlerweile sei zudem herausgekommen, dass im 1. Frankfurter Polizeirevier, in dem die erste illegale Datenabfrage 2018 stattgefunden habe, eine Gruppe rechtsextremer Polizistinnen und Polizisten tätig sei.
Der Linke-Politiker weiter: „Der Umgang der Behörden mit den Morddrohungen und den davon betroffenen Personen ist schockierend. Die Verweigerung der zusätzlichen Sicherungskosten der seit zweieinhalb Jahren bedrohten Anwältin Seda Başay-Yıldız ist ein Skandal und rechtlich nicht zu halten“. Das Ablehnungsschreiben von Polizeipräsident Ullmann an die Rechtsanwältin sei „sowohl im Ton als auch in der Sache vollkommen daneben“. (epd/mig) Aktuell Panorama
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