Von Neukölln in den Bundestag?
„Wir leben noch lange nicht in einer gleichberechtigten Gesellschaft“
Hakan Demir ist Enkel von Gastarbeiter:innen und tritt für den Bundestag an. Er nimmt uns alle zwei Wochen mit auf seine Reise „von Neukölln in den Bundestag?“ Heute mit einem Blick auf die (Un-)Sichtbarkeit von Frauen in prekären Beschäftigungsverhältnissen.
Montag, 08.03.2021, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 08.03.2021, 0:07 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Meine Großmutter war nie Mitglied einer Partei, auch nicht des Deutschen Frauenrats, kennt weder die Autorin Teresa Bücker noch Alice Schwarzer, leider auch nicht Mateja Meded. Letztere kannte ich bis vor einer Woche auch nicht – bis zu ihrem Gastbeitrag mit dem Titel „Auf dem Rücken der Migrantinnen“.
„Ich bin in einer Umgebung aufgewachsen, in der alle Frauen um mich herum geputzt, auf Kinder aufgepasst, in Altenheimen oder Krankenhäusern gearbeitet haben“, schreibt sie. Das triggert etwas in mir. Sie beschreibt die beschwerliche Arbeit dieser Frauen und ihre „geschrotteten Rücken“. Ich denke unweigerlich an meine Großmutter.
„‚Ich bin in einer Umgebung aufgewachsen, in der alle Frauen um mich herum geputzt, auf Kinder aufgepasst, in Altenheimen oder Krankenhäusern gearbeitet haben‘, schreibt sie. Das triggert etwas in mir. … Ich denke unweigerlich an meine Großmutter.“
Sie ging putzen, verdiente die eine oder andere D-Mark, beschwerte sich nie. Damals wie heute wird die Sicht der Frauen, die prekär beschäftigt sind, öffentlich kaum dargestellt. Auch ich schreibe hier – auch noch als Mann – über sie, weil ich keine Texte von ihnen kenne, sondern nur Ableitungen oder Annäherungen. Deshalb rufe ich meine Großmutter kurzerhand an. „Ebe, wie geht es dir?“ frage ich und erkundige mich nach ihrem Gesundheitszustand. Ihre Stimme klingt sehr geschwächt. Vor drei Monaten hat sie eine Corona-Infektion überwunden. Sie liegt noch heute fast den ganzen Tag im Bett.
Meine Großmutter erzählt mir, dass sie in Deutschland bei einem Chemiekonzern jeden Tag zwischen sechs bis acht Stunden gearbeitet hat. „Mal 500, mal 600 D-Mark habe ich am Ende des Monats dafür erhalten“, sagt sie.
Damals gab es noch keinen Mindestlohn, denke ich, und versuche im Kopf den mickrigen Stundenlohn auszurechnen. Endlich: zwischen 4 und 5 D-Mark. „Warst du denn damit zufrieden?“ Ihre Antwort überrascht mich. „Ja, sehr.“ Länger geht das Telefonat heute nicht. Sie ist müde und hat Rückenschmerzen. „Tschüss, Ebe!“, sage ich. Dabei ist Ebe gar nicht ihr richtiger Name. Ebe heißt eigentlich Hebamme. Ich habe sie nie anders genannt.
„In Deutschland wird derzeit viel über Sorge- und Pflegearbeit debattiert – also über Saubermachen, sich um die Kinder kümmern und Kranke pflegen. In den meisten Fällen übernehmen Frauen diese unentgeltliche Arbeit. Das ist ungerecht. Zunehmend wird diese Arbeit aber auch an schlecht bezahlte Migrantinnen ausgelagert.“
In Deutschland wird derzeit viel über Sorge- und Pflegearbeit debattiert – also über Saubermachen, sich um die Kinder kümmern und Kranke pflegen. In den meisten Fällen übernehmen Frauen diese unentgeltliche Arbeit. Das ist ungerecht. Zunehmend wird diese Arbeit aber auch an schlecht bezahlte Migrantinnen ausgelagert. Das ist weder die Schuld der privilegierteren Frauen noch die der weniger privilegierten.
Dennoch ist es die Aufgabe von progressiven Kräften, diese und alle anderen Frauen, die prekär beschäftigt sind, sichtbar zu machen und für sie eine Lobby zu sein. Doch wo gehen diese Frauen heute hin, wo vernetzen sie sich, welche Räume haben sie und wo finden ihre Stimmen Gehör?
Der Kampf um Gleichstellung ist indes in vollem Gange, ob es um Lohngleichheit, bessere Anerkennung von Arbeit oder die partnerschaftliche Aufteilung der Care-Arbeit geht.
Viele ergreifen dabei das Wort, und das ist auch gut so. Doch eine Gruppe dürfen wir am heutigen Weltfrauentag nicht vergessen: Frauen wie meine Ebe, die noch heute für wenig Geld putzen, pflegen, sich kümmern und dabei womöglich ihren Rücken „schrotten“. Meinung
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