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Buchauszug zum Wochenende

Französisch verlernen. Mein Weg nach Deutschland

Elisa Diallo empörte sich in Frankreich über den Umgang mit Staatsbürgern mit Migrationshintergrund. Heute lebt Elisa Diallo in Mannheim und findet: Auch Deutschland hat noch einen weiten Weg vor sich. MiGAZIN veröffentlicht einen Exklusiv-Auszug aus ihrem Buch:

Von Freitag, 26.02.2021, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 18.02.2021, 10:47 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Ich weiß nicht, ob Deutsche zu werden und zugleich Französin zu bleiben, die Lösung ist. Unterm Strich gibt es gute Gründe, sich auch in Deutschland Sorgen um die Zukunft von Migranten und Kindern von Migranten zu machen. Die rechtsextreme AfD ist ins Parlament eingezogen. Angela Merkel wird mehr und mehr für ihr „Wir schaffen das“ kritisiert. Nicht umsonst ist sie bei der Asylfrage in einigen Punkten zurückgerudert. Die Gesetze sind in den letzten Monaten strenger geworden. Trotzdem bleibt sie standhaft, und vor allem ist sie sehr wachsam, was die symbolische Bedeutung dieser Gesetze betrifft. Sie wird nicht müde zu betonen, dass nicht die Migration das größte Problem Europas ist und dass die Angst in keinem Verhältnis zur Herausforderung der Flüchtlingsfrage steht. Sie ist die Einzige in Europa, die diesen Standpunkt vertritt. Darüber hinaus sind die Deutschen darin geübt, über sich selbst nachzudenken und politische Symbole mit Vorsicht zu genießen. Auf jeden Fall ist sich Deutschland rassistischer Reflexe bewusst, den nationalen Mythos hat das Land so gut wie abgeschafft.

Irgendwie fühle ich mich in Deutschland sicher, denn ich glaube, dass die extreme Rechte nicht wirklich an die Macht kommen wird. Mir scheint, dass die Frage der nationalen Identität in Deutschland viel rationaler behandelt wird als in Frankreich oder den Niederlanden, die meiner Meinung nach beide ein viel zu gutes Bild von sich haben und denen es an Demut mangelt. Wo gibt es in Frankreich außer an den Universitäten eine kritische Auseinandersetzung mit dem Mythos der nationalen Identität, der Geschichte des Kolonialismus oder dem gegenwärtigen Kolonialismus? In den Niederlanden ist der Kolonialismus regelrecht tabu. Der Staat weigert sich bis heute, sich bei den Indonesiern für die Gräueltaten zu entschuldigen, die er an ihnen im Unabhängigkeitskrieg zwischen 1945 und 1949 verübt hat. Das ist ein Skandal. Freilich, es stört niemanden, bis auf die Indonesier – aber wen interessiert’s?

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Ein Drittel der Amsterdamer sind keine gebürtigen Niederländer, sie stammen aus Marokko, der Türkei und vor allem aus den ehemaligen Kolonien Indonesien, Surinam und von den Antillen. Trotzdem feiert man jedes Jahr kurz vor Weihnachten in jeder Stadt, jedem Dorf Sankt Nikolaus mit einem Umzug, bei dem sich die weißen Niederländer als Zwarte Piet (Knecht Ruprecht) verkleiden und sich dafür schwarz anmalen. Es ist angeblich eine Tradition, und wehe ein monströser Barbar (Ausländer natürlich) wagt es, die niederländischen Kinder um dieses Vergnügen bringen zu wollen! Dabei reicht, im Gegensatz zu den meisten Traditionen, an denen man festhält, diese hier nicht einmal zwei Generationen zurück. Und welche Kinder sind überhaupt gemeint? Kinder mit krausem Haar und dunkler Haut, die nicht verstehen, dass man sich über ihre Zwarte-Piet-Verkleidung lustig macht? Denen entgegnet der Rest des Landes, egal welcher sozialen Schicht, fröhlich, sie seien ja nicht gemeint, und geben ihnen so zu verstehen, dass sie nicht zu denen gehören, die diese Pseudo-Tradition so lieben. Diese Kinder zählen nicht, man toleriert sie, aber sie haben keine Stimme. Aber wehe ein Staatsbürger kritisiert diese Tradition, der nicht waschechter Niederländer ist. Er wird es, ich komme noch darauf zurück, mit einer besonders widerwärtigen Form der Gewalt zu tun bekommen, mit der alten Kolonialgewalt jener Gesellschaften, die nie über ihren Platz in der Welt nachgedacht haben und nie ein für alle Mal mit der alten Plage des Rassismus, die an ihnen nagt, aufgeräumt haben.

Zugegeben, über die Frage der Identität wird unaufhörlich diskutiert, aber für viele, die sich leidenschaftlich damit befassen, wird diese Diskussion nicht tiefgreifend und konstruktiv genug geführt. Es geht darum, sich vom anderen abzusetzen, indem man laut und deutlich behauptet, man sei ganz anders. Die europäischen Gesellschaften halten sich für fortschrittlich und maßen sich entsprechend das Recht an, mit dem Finger auf die sogenannten traditionellen „Kulturen“ zu zeigen, aus denen die Migranten kommen. Wo bei Ausländern angeblich Aberglaube und religiös geprägtes Stammesdenken überwiegen, da halten wir uns für umso laizistischer und rationaler. Besonders was geschlechtliche Gleichberechtigung anbelangt, halten wir uns für fortschrittlicher, wohingegen der typische Migrant frauenfeindlich ist, was man daran erkennt, dass er Frauen nicht die Hand gibt und die verschleierte Frau nicht das Wort ergreift. Kurzum, unsere Diskussion, egal auf welchem Niveau sie stattfindet, dreht sich im Kreis, unsere Überlegungen greifen zu kurz, sind zu simpel, es ist eine Scheindiskussion, die uns daran hindert, uns weiterzuentwickeln.

„Meine Kinder würden hier aufwachsen und sich wie ihre blonden Freunde diesem Land zugehörig fühlen, sie sind hier geboren und sprechen die Sprache. Und die Tatsache, eine Mutter zu haben, die in Frankreich, einen Großvater, der in Guinea geboren wurde, muslimische Cousinen und Cousins zu haben, werden sie als Reichtum verstehen, als etwas Schönes und Interessantes. Sie begreifen überhaupt nicht, dass man sich dafür schämen könnte. Das ist ein Traum, wir sind weit davon entfernt.“

Ich gebe zu, dass mich Angela Merkel 2015 beeindruckt hat. Davor hat sie mich nicht besonders interessiert. Und bis zu diesem einschneidenden Ereignis wäre ich nie auf die Idee gekommen, Deutschland gastfreundlich zu nennen. Mein Blick auf dieses Land hat sich in der Flüchtlingskrise komplett geändert, auch hinsichtlich meiner Stellung und Zukunft in diesem Land. Ich folgte den Debatten im Fernsehen, in denen Journalisten und Intellektuelle die positiven Seiten der Migration hervorhoben und die multikulturelle Gesellschaft Deutschlands feierten. Ich wurde Zeuge der Geburt einer euphorischen Diskussion zur Rolle Deutschlands in der Welt: eine starke Wirtschaft, eine der stabilsten Demokratien der Welt, ein gastfreundliches Land, das vielleicht einmal eine führende Rolle einnehmen und darin die USA überholen könnte. Zum ersten Mal, seitdem ich 2009 nach Deutschland gekommen war, fühlte ich mich als Mitglied dieser Gemeinschaft. Angela Merkel versetzte mich mehr ins Träumen als acht Jahre zuvor Barack Obama. Meine Kinder würden hier aufwachsen und sich wie ihre blonden Freunde diesem Land zugehörig fühlen, sie sind hier geboren und sprechen die Sprache. Und die Tatsache, eine Mutter zu haben, die in Frankreich, einen Großvater, der in Guinea geboren wurde, muslimische Cousinen und Cousins zu haben, werden sie als Reichtum verstehen, als etwas Schönes und Interessantes. Sie begreifen überhaupt nicht, dass man sich dafür schämen könnte. Das ist ein Traum, wir sind weit davon entfernt.

Mir gefällt es, Deutschland als Verheißungsland zu sehen, mein Alltag lässt mich jedoch oft daran zweifeln. Aber ich habe mich entschieden, diese Wette einzugehen und daran festzuhalten. Ich gebe zu, dass der allgemeine Rassismus hier besser auszuhalten ist als in Frankreich, weil ich hier weniger darunter leide. Es ist ein bisschen wie mit den Defiziten der eigenen Eltern, die einen peinlich berühren, wohingegen man sie bei anderen Eltern kaum wahrnimmt.

„Über die Jahre bin ich von der afrikanischen Immigrantentochter in Frankreich über die Ausländerin in den Niederlanden in Deutschland zur Deutschen mit europäischem Hintergrund geworden. Ich bin Französin, Deutsche, Afro-Europäerin, ohne mich wirklich als etwas von allem zu fühlen.“

Deutschland ist nicht das Elternteil, das mich zurückgewiesen hat, allerhöchstens eine alte Freundin der Familie, die mich aufgenommen hat und bei der ich ein und aus gehen kann, wann ich will. Erst mein freiwilliges Exil und der Abstand haben es mir ermöglicht, über die problematischen und schmerzlichen Familienbande nachzudenken, die mich seit jeher belasten. Paradoxerweise habe ich den Eindruck, mich von ihnen zu befreien, indem ich andere Verbindungen hinzufüge und damit meine Familienbande verkompliziere.

Über die Jahre bin ich von der afrikanischen Immigrantentochter in Frankreich über die Ausländerin in den Niederlanden in Deutschland zur Deutschen mit europäischem Hintergrund geworden. Ich bin Französin, Deutsche, Afro-Europäerin, ohne mich wirklich als etwas von allem zu fühlen. In dem Jahr zwischen dem Antrag auf Einbürgerung und dem Staatsakt zur Aufnahme in die deutsche Gemeinschaft wollte ich Tag für Tag, vom ersten bis zum letzten Tag, all jene diffusen Gedanken aufrollen, die mich seit jeher beherrschen, und ihre Spur bis in die dunkelsten Winkel uralter Ängste und Gefühle verfolgen: all jene diffusen Gedanken zum europäischen Rassismus, seinen Erscheinungsformen und seiner Zukunft, was mich mit Frankreich verbindet, der Begriff der Staatsbürgerschaft und die symbolische Bedeutung von Gemeinschaft, der ewige Wunsch, sich zugehörig zu fühlen, und auch und vor allem mein Erbe und was ich davon weitergeben würde. Dieses Jahr war eine lehrreiche Reise. Aktuell Feuilleton

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