Wortwahl
Nur abwertend oder doch antisemitisch?
Tohuwabohu, Schickse, schmusen, mauscheln - etliche jiddische Begriffe wurden als Lehnwörter ins Deutsche übernommen. Ihre Verwendung gilt nicht immer als unproblematisch. Doch vielen Sprechern ist das nicht bewusst.
Von Daniel Staffen-Quandt Dienstag, 23.02.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 22.02.2021, 14:44 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Tohuwabohu, Schickse, schmusen, mauscheln oder auch mies: Die deutsche Sprache ist voller Wörter, die ursprünglich aus dem Hebräischen oder dem Jiddischen stammen. Nicht immer ist ihre Verwendung unproblematisch, weil die heutige Bedeutung nicht der ursprünglichen entspricht – und manchmal sogar antisemitisch gemeint oder beleidigend ist. Der Erlanger Sprachwissenschaftler Alfred Klepsch rät dabei jedoch zu mehr Gelassenheit. „Man kann die Verwendung von Wörtern nicht verbieten“, sagt er: „Wer ein Rassist ist, der findet auch verunglimpfende Ersatzwörter.“
Der größte Teil der heute im Deutschen noch gebräuchlichen Wörter sei „gesunkener religiöser Wortschatz“ aus der Tora und Gebetstexten, sagt Klepsch. „Denken Sie an das häufig verwendete Wort ‚mies'“, erläutert er. Eigentlich versteckt sich dahinter eine wohlmeinende Warnung: Juden sollten am Sabbat am allerbesten nichts Zerbrechliches anfassen – um gar nicht Gefahr zu laufen, dass es kaputtgeht, sie sich ärgern und dadurch dann die Sabbatfreude gefährden.
Die Wortwahl
Es gibt Worte wie „schmusen“, das Zärtlichsein unter vornehmlich jungen Menschen, das ursprünglich in etwa „plaudern“ bedeutete, oder beispielsweise den Ausdruck „Es zieht wie Hechtsuppe“, der im ursprünglichen Sinn nichts mit Fisch und Essen zu tun hat, sondern vom jiddischen „hech supha“ für „wie ein starker Wind“ entlehnt wurde. Vieles wurde vom Jiddischen oder Hebräischen direkt ins Deutsche übernommen, manche Wörter auch über den Umweg des „Rotwelschen“, der Sprache der fahrenden Leute, die gezielt Begriffe aus Fremdsprachen als Codes verwendeten.
Ronen Steinke, Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“, hat dem Thema sogar ein Buch gewidmet: „Antisemitismus in der Sprache: Warum es auf die Wortwahl ankommt.“ Darin nennt er Beispiele, die er eher problematisch findet. „Ische“ etwa, vom Hebräischen „ischa“ für „Frau“. Nur meine dieses Wort nicht wertneutral Frau, sondern es habe sich verwandelt, schrieb Steinke in einem Beitrag für die „taz“: Ische habe im Deutschen einen abwerten Beiklang, es transportiere das, „was Nichtjuden vor Augen hatten, wenn sie an eine jiddisch sprechende Frau dachten. Nichts Gutes“.
Mehr Gelassenheit
Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, rät bei dem Thema zur Gelassenheit. Den allermeisten Menschen sei der Ursprung der jiddischen oder der hebräischen Worte gar nicht bewusst – insofern sei die Verwendung sicher in den allermeisten Fällen nicht antisemitisch konnotiert: „Das sehe ich in keiner Weise dramatisch.“ Zudem gebe es auch viele positiv gemeinte Wortmeldungen: „Der ‚Gute Rutsch‘ ins neue Jahr zum Beispiel.“ Der Wunsch habe allerdings nichts mit Schnee, Eis und Rutschen zu tun, sondern meine einen „guten Anfang“.
Auch Klepsch ist bei der antisemitischen Deutung der Wörter zurückhaltend. „Nehmen sie das Wort ‚Schickse‘ als abwertenden Begriff für Frauen“, sagt er. Einst nutzten es jüdische Bürger als Bezeichnung für ihre christlichen Hausmädchen, die auch am Sabbat arbeiten mussten. Nichtjüdische Bürger hätten natürlich bemerkt, dass „Schickse“ nicht nett gemeint gewesen sei und nutzten es im Umkehrschluss generell als abwertendes Wort für Frauen: „Ich würde keine antisemitische Grundhaltung unterstellen, wenn das Wort ‚Schickse‘ verwendet wird. Höflich ist es freilich nicht.“
Drei Dutzend
Ein anderes Beispiel, an dem sich Autor Steinke ebenfalls stört, ist „Mischpoke“. Eigentlich steht „Mischpacha“ im Hebräischen ganz wertneutral für Familie – aber natürlich bezeichnet heute niemand eine Gruppe als Mischpoke, ohne nicht ein Urteil transportieren zu wollen. „Mischpoke“ steht für verschworene Gruppe, Halunken, Gauner. „Wer dieses Wort verwendet, will zweifelsfrei jemanden verächtlich machen“, sagt Klepsch. „Und zwar den, den er so bezeichnet – nicht die jüdische Großfamilie an sich. Dazu müsste er den Wort-Ursprung kennen. Aber das tun die Wenigsten.“
Dem Professor zufolge ist die Zahl der entlehnten Wörter aus dem Hebräischen und Jiddischen, die noch aktiv im deutschsprachigen Raum verwendet werden, seit Jahren kontinuierlich gesunken. Es gibt aber gut drei Dutzend, die immer noch und tendenziell auch wieder häufiger genutzt werden. „Tohuwabohu“ für Chaos etwa, „Bohei“ für Krawall, „Chuzpe“ für Dreistigkeit oder „Schlamassel“ für Unglück. Sie tun dies oft ohne Wissen über die Wortherkunft. Einfach, weil es schön klingt. So wie viele Hochdeutsch-Sprechende gerne ein Dialektwort einfließen lassen. Nur so zur Gaudi. (epd/mig) Feuilleton Leitartikel
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