Studie
Nur jeder zehnte muslimische Schüler erhält Islamunterricht
Der Staat muss muslimischen Schülern bekenntnisorientierten Religionsunterricht bereitstellen. Einer aktuellen Studie zufolge kommt er dieser Pflicht nur ungenügend nach. Experten bemängeln einen Flickenteppich und verfassungsrechtliche Probleme. Politische Aspekte bestimmten die Debatten, um die Schüler gehe es kaum.
Dienstag, 12.01.2021, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 13.01.2021, 15:06 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Aktuell nehmen rund 60.000 Schüler in Deutschland am islamischen Religionsunterricht beziehungsweise am islamkundlichen Unterricht teil. Dies sind nur etwas mehr als zehn Prozent aller muslimischen Kinder und Jugendlichen an deutschen Schulen, wie aus einer am Montag veröffentlichten Expertise der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG) an der Frankfurter Goethe-Universität hervorgeht. Dabei stehe der Staat in der Verantwortung, strukturelle Rahmenbedingungen zu schaffen und Lehrkräfte für einen bekenntnisorientierten Unterricht bereitzustellen, erklären die Autoren der Publikation mit dem Titel „Islamischer Religionsunterricht in Deutschland: Qualität, Rahmenbedingungen, Umsetzung“.
Aus ihrer Sicht dominieren in den Diskussionen über den islamischen Religionsunterricht vor allem rechtliche und politische Aspekte. „Welche islamischen Organisationen eignen sich als Gegenüber für den Staat? Wie hoch ist das Risiko, dass sich ausländische Einrichtungen in den Unterricht einmischen? Und welche Auswirkungen hätte es, wenn islamische Organisationen als Religionsgemeinschaften anerkannt würden?“ Als Folge davon gebe es mit Ausnahme des Religionsunterrichts der Ahmadiyya-Gemeinschaft in Hessen in Deutschland keinen islamischen Religionsunterricht, für den eine einzelne islamische Religionsgemeinschaft verantwortlich zeichne.
Bei den Debatten um geeignete islamische Ansprechpartner oder den Einfluss ausländischer Religionsbehörden kämen Aspekte wie die Qualität des Unterrichts, die Ausbildung von Standards in der Lehrkräfteausbildung oder die positiven Effekte von Religionsunterricht für eine Gesellschaft zu kurz, bemängeln die drei Autoren der Expertise, die Professorin für Islamische Religionspädagogik an der Universität Tübingen, Fahimah Ulfat, die Frankfurter Islam-Lehrerin Esrah Yavuz und Jan Felix Engelhardt, Geschäftsführer an der AIWG.
Flickenteppich Islamunterricht
Ulfat äußerte sich überzeugt davon, „dass der islamische Religionsunterricht eine zentrale Anerkennungsfunktion von religiöser Pluralität in Schule und Gesellschaft ausübt“. Der islamische Religionsunterricht sei in der Schule häufig der einzige Ort, an dem über Islam und Menschen muslimischen Glaubens in einer wertschätzenden Art und Weise gesprochen und über viele religiöse und ethische Fragen offen diskutiert werden könne.
Tatsächlich würden in Deutschland entweder alternative Modelle praktiziert, in denen mehrere islamische Organisationen in übergreifenden Kommissionen, Beiräten oder über lokale Vertreterinnen und Vertreter eingebunden seien, sagte Engelhardt. Dies sei zum Beispiel der Fall in Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Oder die Bundesländer erteilten eine in alleiniger staatlicher Verantwortung stehende Islamkunde, wie etwa in Bayern oder Schleswig-Holstein.
Verfassungsrechtliche Probleme
„Beide Modelle werfen jedoch verfassungsrechtliche Probleme auf“, sagte Engelhardt: „Einerseits sieht das Grundgesetz keinen Religionsunterricht vor, der ohne anerkannte Religionsgemeinschaft erteilt wird. Andererseits ist die Gefahr hoch, dass der Staat durch die Erteilung eines Islamkundeunterrichts gegen seine Verpflichtung verstößt, religiös und weltanschaulich neutral zu sein.“
Die AIWG ist nach eigenen Angaben eine universitäre Plattform für Forschung und Transfer in islamisch-theologischen Fach- und Gesellschaftsfragen. Sie wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und von der Stiftung Mercator. (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel
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