Der Öko-Dissident
Höchste Zeit, Umweltflucht als Asylgrund anzuerkennen
Peter Donatus ist ein langjähriger Shell-Kritiker und Umweltaktivist aus Nigeria. Proteste, eine Incommunicado-Haft und Flucht - all das hat er hinter sich. Jetzt kämpft er von Deutschland aus für die Anerkennung der „Klimaflüchtlinge“.
Von Ekaterina Venkina Dienstag, 24.11.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 22.11.2020, 12:38 Uhr Lesedauer: 6 Minuten |
Eines ist Peter Donatus besonders in Erinnerung geblieben: Abends war es immer hell. So hell, dass er als Kind bis 23.00 Uhr draußen spielen durfte. In den Straßen eines kleinen Dorfes im Nigerdelta, wo seine Großeltern lebten, gab es keinen Strom, keine künstliche Beleuchtung. Das Licht kam von den Hochfackeln. Die Ölfirmen fackelten gigantische Mengen von Gasgemisch ab, das bei der Ölförderung freigesetzt wurde. Brennende Gasflammen erhellten die ganze Gegend. Die Nacht wurde zum Tag. „Für uns, Kinder, war das natürlich ideal. Aber zu welchem Preis?“
Peter Donatus (54), Umweltaktivist und langjähriger Shell-Kritiker, stammt aus Lagos. Ein „Niemandsland“, so Donatus. Eine der am schnellsten wachsenden Metropolen der Welt hat inzwischen 14,4 Millionen Einwohner. Viele von ihnen sind Neuankömmlinge. Für sie ist sie keine Heimatstadt, sondern ein Endziel. Peter Donatus hingegen sollte Lagos im Alter von 23 Jahren verlassen. Hinter sich hatte er acht Monate Verhaftung in einer Incommunicado-Haft.
Als ich Peter Donatus an einem sonnigen und für November untypisch warmen Tag in Köln treffe, ist er sichtlich aufgeregt. Seine breiten, eckigen Schultern sind steif vor Spannung. Vor exakt 25 Jahren, wurden Ken Saro-Wiwa und acht weitere nigerianische Regimekritiker in Port Harcourt hingerichtet. Donatus denkt an die Mahnwache, die er am Nachmittag an der Shell-Tankstelle in Köln abhalten will. Im Gegensatz zu der „Ogoni-Neun“ hatte er Glück. Seine Gedanken kehren zurück zum Nigerdelta.
Mangrovenwälder, Sümpfe und Öl
Mangroven, Sümpfe und Bäche: Dies sind die Puzzleteile, aus denen sich die Landschaft im Delta zusammensetzt. Seit den 1950er Jahren wird dort Öl gefördert. Das Abfackeln von Gas hat die Bodentemperaturen an einigen Stellen ansteigen lassen. Die Pflanzen schießen in die Höhe. Sie wachsen extrem schnell und tragen keine Früchte. Wenn es regnet, sammelt sich Wasser in schwarz gefärbten Pfützen auf dem Boden. Nach Angaben des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep), kann die Umweltsanierung in Ogoniland 25 bis 30 Jahre dauern. Peter Donatus bezweifelt aber, dass dies überall möglich ist, „da der Boden punktuell bis zu einer Tiefe von fünf Metern kontaminiert ist.“
2015 kündigten das britisch-niederländische Shell und dann das französische Total an, sich aus dem Gebiet zurückzuziehen zu wollen. Sie haben jedoch ihre Anlagen in Ogoniland hinterlassen, „die weiteren Schaden anrichten“, so Donatus. Shell behauptet jedoch, dass die Hauptursache für weitere Verschmutzungen „Öldiebstahl“ und „illegale Raffinerien“ seien. Die Pipelines der Ölkonzerne kriechen wie riesige Vipern über Tausende von Kilometern durch die Städte und Dörfer des Deltas, wo sie für jedermann zugänglich sind.
„Nach zwei Wochen erwischten sie uns.“
1989 wurde Nigeria von dramatischen Ereignissen erschüttert. Viele Studenten mobilisierten sich und gingen in Massenprotesten auf die Straße, unter ihnen der 22-jährige Peter Donatus. Die Gewerkschaften waren auch an Bord. Von den Aktivisten wurden Handzettel in Umlauf gebracht. Das damalige Staatsoberhaupt, General Ibrahim Babangida, und sein Stellvertreter Augustus Aikhomu wurden des Diebstahls öffentlicher Gelder beschuldigt. Nach einigen Wochen schlossen sich auch die Ölarbeiter den Demonstranten an. Panzer rollten durch die Straßen. Im ganzen Land wurden Menschen massakriert und massenhaft verhaftet. Wie so oft, gab es auch hier Verräter. Die Sicherheitskräfte bestachen Mitglieder der Studentenorganisationen, damit sie die Verstecke der Demonstranten zeigten. „Nach zwei Wochen erwischten sie uns.“
Verhaftung und Flucht
Über das, was später geschah, spricht Peter Donatus konzentriert und fast ohne Ablenkung, als wolle er diesen Teil des Gesprächs so schnell wie möglich hinter sich bringen. Er hält nur einmal inne, um einen Schluck Wasser zu trinken. Dann fährt er fort.
Nach den Protesten landete Donatus in einem Sicherheitsgefängnis in Lagos. Etwa hundert Gefangene, zwei Drittel davon Studenten, wurden in einem 80 Quadratmeter großen Raum eingesperrt. Der Rest waren meist Schwerverbrecher und Mörder. Sie stellten eigenen Hierarchien auf, wobei der sogenannte „Präsident“ und „Ministern“ Befehle erteilten. Essen kam höchstens zweimal am Tag und bestand hauptsächlich aus Reisbrei. Außerdem gab es verschiedene Folterroutinen. „Medizinische Behandlungen“, so nannte man sie. Der Raum hatte ein typisch afrikanisches Zinkdach ohne Isolierung. An manchen Tagen stieg die Temperatur auf 35-37 Grad Celsius. Viele Verhaftete starben dadurch, aber die Leichen wurden nicht sofort entfernt, manchmal dauerte es bis zu zwei Tagen. „Es stank wie die Pest“, sagt Donatus. „Ich wurde krank, konnte nichts essen, musste mich ständig übergeben“.
Schließlich gelang es seinem Vater, seine Verlegung in das Militärkrankenhaus zu arrangieren. Dort war die Sicherheit nicht so streng. Seine Eltern bestachen einen Arzt, um ihren Sohn herauszuschmuggeln. Nach zweieinhalb Wochen gelang es ihnen, ihm einen Reisepass mit einem belgischen Visum zu besorgen.
Die Höhen und Tiefen des Lebens im Asyl
Zuerst ging er nach Brüssel und dann weiter nach Aachen, wo für ihn „ein neues Leben begann“. 1990 beantragte Peter Donatus in Deutschland Asyl und lernte eine deutsche Frau kennen. Ein Jahr später wurde ihr Sohn geboren. „In Aachen hatte ich ein Gefühl: Endlich bin ich angekommen. Hier habe ich gute Menschen direkt kennen gelernt“, sagt er. Einer von ihnen war Pastor Herbert Kaefer, der später für seine Arbeit mit den Flüchtlingen mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet wurde. Auch Christa Nickels (Gründungsmitglied der Grünen in NRW – Red.) bot ihre Unterstützung an. Unproblematisch war diese Zeit aber nicht. „Erst in Aachen habe ich gemerkt, dass ich schwarz bin“, sagt Donatus. Er hatte Diskriminierung, Rassismus, direkte Angriffe, Spucken und Benachteiligungen erlebt. Etwas verbittert zeigt er eine Narbe auf seiner Stirn: „Zweimal wurde ich von Neonazis geschlagen“.
„Klimaflüchtlinge“?
Zu seinem Aktivismus hielt er aber durch dick und dünn. Es war seine Heilung, seine Wunderpille. Seit Jahrzehnten nun hat er sich an verschiedenen Aktionen und Boykottkampagnen gegen Shell in Köln beteiligt. Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd, hat er seine neueste Initiative mitbegründet: den Verein Pay Day Africa International. Er kämpft „für die Rückgabe der gestohlenen Kolonialbeute“.
Dennoch stehen für Donatus nach wie vor ökologische Fragen an erster Stelle. Er ist überzeugt: Die meisten Flüchtlinge der Welt sind nicht wegen Krieg oder anderer politischer Verfolgung geflohen. Sie fliehen, weil „der Westen ihre Lebensgrundlagen zerstört hat“. Laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, ist der Begriff „Klimaflüchtling“ jedoch nicht offiziell gebilligt worden. Auch im internationalen Recht existiert er nicht.
„Es ist höchste Zeit, die Genfer Konvention, unter anderem im Hinblick auf die Folgen des Klimawandels, anzupassen und die Umweltflucht als Asylgrund und den Ökozid als völkerrechtliches Verbrechen mit entsprechendem internationalen Strafgerichtsstatus anzuerkennen“, sagt er. Dann steht er abrupt auf: Neun weiße Hemden, die er mit roter Farbe besprüht hat, soll er noch bei sich zu Hause abholen. Die politische Aktion an der Tankstelle steht bevor. „Wir müssen der Welt zeigen, dass wir kein Blut für Öl wollen“, sagt Donatus. Leitartikel Panorama
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