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Das Landgericht Magdeburg © Yellowcard - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link

Halle-Prozess

Experte: Anschlag passierte nicht im gesellschaftlichen Vakuum

Der Prozess gegen den Synagogen-Attentäter Stephan B. nähert sich seinem Ende. Am 20. Prozesstag wurde noch ein Antisemitismus-Experte als Zeuge vernommen: Antisemitismus und gezieltes Töten von Juden habe nach 1945 nicht aufgehört.

Mittwoch, 18.11.2020, 5:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 17.11.2020, 17:20 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Im Prozess um den Anschlag auf die Synagoge in Halle vor über einem Jahr hat ein Experte auf die Verbreitung von Antisemitismus in Deutschland hingewiesen. Der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e.V. (RIAS), Benjamin Steinitz, sagte am Dienstag vor dem Oberlandesgericht Naumburg, es sei eine weitere Tat in einer langen Kette gewesen. Antisemitismus und gezieltes Töten von Juden habe nach 1945 nicht aufgehört. Zudem berichtete er über die Auswirkungen des Anschlags auf das jüdische Leben in Deutschland.

Antisemitismus sei ein den Alltag von Juden prägendes Problem, sagte Steinitz weiter und berichtete von unzähligen Vorfällen, die nur in wenigen Fällen auch zur Anzeige gebracht würden. Der Anschlag in Halle habe unmittelbar Auswirkungen gehabt. Mit Bezug auf das Attentat seien Gedenkveranstaltungen gestört worden und das Denkmal für die ermordeten Juden Europas beschmiert worden. Das Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung habe sich durch den Anschlag in den jüdischen Gemeinden verstärkt, sagte Steinitz. Es habe aber auch eine enorme Welle der Solidarität für die Betroffenen gegeben.

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Zudem ergänzte der forensische Psychiater Norbert Leygraf als Sachverständiger im Prozess gegen den Synagogen-Attentäter Stephan B. in Magdeburg sein Gutachten. Die Verteidigung hatte darauf gedrungen, dass B. bei der Tatausführung „rot gesehen“ hatte und es sich dabei um eine „Migräne mit Aura“ gehandelt haben könnte. Leygraf hielt es für „ausgesprochen unwahrscheinlich“, dass B. erstmals mit Beginn der Tat diese Wahrnehmungsstörungen gehabt habe, die mit Ende der Straftat wieder vorbei gewesen seien. Wer einmal eine solche Migräne erlebt habe, der wisse, dass man damit nicht mehr Auto fahren könne, sagte der Sachverständige. Er sehe bei B. keine Anzeichen für eine Bewusstseinsstörung. Für die Frage der Schuldfähigkeit sei dies auch nicht von Bedeutung.

Kein Prozess-Neubeginn

Zu Beginn des Prozesstages hatte das Gericht einen Antrag der Verteidigung abgelehnt, die das Verfahren unterbrechen oder aussetzen wollte. Letzteres hätte einen kompletten Neubeginn des Prozesses erforderlich gemacht. Es ging dabei um einen möglichen weiteren Mordversuch, der dem Angeklagten angelastet werden könnte. Stephan B. hatte auf seiner Flucht mit einem Auto in Halle einen Somalier angefahren und verletzt. Aus Sicht des Gerichts handelte es sich dabei aber nicht um neue Tatsachen. Die Beweisaufnahme könnte am Mittwoch abgeschlossen werden. Dann könnte mit den Plädoyers begonnen werden.

B. hatte am 9. Oktober 2019 aus einer antisemitischen und rassistischen Motivation heraus einen Anschlag auf die Synagoge in Halle verübt. Weil es ihm nicht gelang, mit Sprengsätzen und Schusswaffen in die Synagoge einzudringen, erschoss er eine 40 Jahre alte Passantin und anschließend in einem Döner-Imbiss einen 20-jährigen Mann. Die Bundesanwaltschaft hat B. wegen Mordes in zwei Fällen und versuchten Mordes in mehreren Fällen sowie weiterer Straftaten angeklagt. B. droht eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung. Laut psychiatrischem Gutachten ist der 28-Jährige trotz einer komplexen Persönlichkeitsstörung voll schuldfähig. (epd/mig) Leitartikel Panorama

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