Studie
Flüchtlinge – Weg in Ausbildung gleicht einem Labyrinth
Junge Flüchtlinge, die eine Ausbildung beginnen wollen, müssen oft längere Umwege auf sich nehmen. Das ist das Ergebnis einer SVR-Studie. Die Forscher empfehlen kontinuierliche Betreuung und flexiblere Strukturen.
Montag, 09.11.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 09.11.2020, 10:59 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Viele junge Neuzugewanderte irren in den EU-Zielländern durch ein Labyrinth von Angeboten, Anforderungen und Nachweisen, bevor sie eine Ausbildung aufnehmen – oder aufgeben. Das dient weder den Aufnahmegesellschaften noch den Neuzugewanderten. Das geht aus einer Studie des Forschungsbereichs beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) hervor.
Die Forscher haben in Deutschland, Österreich, Slowenien und Spanien die nationalen, regionalen und kommunalen Gesetze und Vorschriften, die den Zugang zum Beginn einer Ausbildung regeln, sowie die Zugangspraxen untersucht und 122 Experteninterviews ausgewertet. Sie haben geschaut, welche Strukturen und Praktiken jungen Neuzugewanderten den Zugang zu beruflicher Bildung erschweren und welche ihn erleichtern.
Weg in die Ausbildung wie Labyrinth
Das Ergebnis: Überall gleicht der Weg in die Ausbildung häufig einem Labyrinth. Wer wegen seines Aufenthaltsstatus keine Arbeitserlaubnis besitzt, nicht die notwendigen Zertifikate vorlegen kann oder infolge seines Alters nicht schulpflichtig ist, muss oft längere Umwege auf sich nehmen. Zwar bieten die vier Staaten Sprachkurse und häufig auch fachliche Fortbildungen zur Vorbereitung an, doch ist dieses Angebot zum einen oft unübersichtlich – etwa in Deutschland oder Österreich – oder darüber hinaus unzureichend – etwa in Spanien oder Slowenien.
Zum anderen müssen die potenziellen Teilnehmer dieser Kurse zahlreiche Voraussetzungen erfüllen, ähnlich wie bei den Ausbildungen selbst. Darüber hinaus belasten im Alltag finanzielle Engpässe, zunächst wenig Systemkenntnis, ein hohes sprachliches und fachliches Lernpensum sowie bisweilen psychische, soziale und wohnräumliche Schwierigkeiten oder Diskriminierung junge Neuzugewanderte.
Kontinuierliche Betreuung
Die Studie empfiehlt: Neuzugewanderte kontinuierlich betreuen, Vorbereitungs- und Ausbildungsstrukturen flexibilisieren, lokale Mitarbeiter in Behörden, Schulen und Beratungseinrichtungen stärken.
Lena Rother, Mitarbeiterin im SVR-Forschungsbereich und Co-Autorin der Studie, hebt hervor: „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kommunen – z. B. in Beratungsstellen, Bildungsstätten und Behörden – verfügen über Spielraum, den Zugang zu beruflicher Bildung zu gestalten. Sie können die Wege durch das Labyrinth erleichtern oder erschweren, je nachdem, auf welche Weise sie den Ermessensspielraum auslegen, über den sie im Rahmen ihres Arbeitsauftrags verfügen. Das Engagement der Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter geht hierbei häufig über ihren eigentlichen Arbeitsauftrag hinaus.“
Expertin: Flexiblere Ausbildung
Drei Faktoren beeinflussen der Studie zufolge die Entscheidungen der Mitarbeiter besonders: eine wahrgenommene Rechtsunsicherheit, knappe Ressourcen und individuelle Überzeugungen. Letztere werden unter anderem dadurch beeinflusst, wie viel Kontakt die Verantwortlichen zu Neuzugewanderten haben.
„Um den Weg zum Ausbildungsbeginn zu verkürzen, sollten erstens Sprach- und Vorbereitungskurse ausgeweitet und sollte die berufliche Ausbildung flexibilisiert werden“, sagt Dr. Cornelia Schu, Direktorin des SVR-Forschungsbereichs. „Zweitens benötigen die Wegbegleiterinnen und -begleiter, also die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kommunen, unterstützende Strukturen, damit eine ‚Ausbildungsvorbereitung aus einer Hand‘ gelingen kann. Bildungsnetzwerke haben sich hier bewährt. Beispiele sind die Projekte „Neue Familien in Barcelona“ (Noves famílies a Barcelona), welche Neuzugewanderte entlang der Familienzusammenführung unterstützen, die „Wiener Bildungsdrehscheibe“, die frühzeitig Zugang zu Beratung verschafft, und die Bayerischen Berufsintegrationsklassen.
Fachkräftesicherung durch Ausbildung
Winfried Kneip, Geschäftsführer der Stiftung Mercator, die die Studie gefördert hat, betont die Reichweite der Studienergebnisse und die Bedeutung beruflicher Bildung: „Berufliche Bildung eröffnet die Chance auf eine qualifizierte Beschäftigung – und damit auf gesellschaftliche Teilhabe. Wenn die EU-Mitgliedstaaten die Wege dorthin ebnen und mehr Bildungsgerechtigkeit schaffen, entsteht eine Win-win-Situation für die Neuzugewanderten und die Aufnahmegesellschaft.“
Seit 2014 sind mehr als fünf Millionen Jugendliche und junge Erwachsene in die Europäische Union (EU) geflüchtet, anderweitig zugewandert oder innerhalb des Staatenverbundes umgezogen. „Zur gesellschaftlichen Teilhabe gehört ein Ausbildungs- bzw. ein Arbeitsplatz. Ein Ausbildungsabschluss erhöht nicht nur die Chancen der jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt, sondern trägt auch zur Fachkräftesicherung bei“, so die Forscher. (mig) Leitartikel Panorama Wissenschaft
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