Interview mit Andreas Zick

„Aufschwung des Rechtsextremismus steckt Islamisten an“

Die Öffentlichkeit und große Teile der Politik koppeln die Terrorgefahr nach Einschätzung des Extremismusforschers Andreas Zick zu sehr an reale Anschläge. Beim Terror geht es aber um langjährige Arbeit, sagte der Forscher im Gespräch.

Von Montag, 09.11.2020, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 08.11.2020, 11:09 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Nach den Terroranschlägen von Wien und Nizza ist der Terror wieder in den Fokus gerückt. Was ist die Ursache dafür?

Andreas Zick: Wir waren in einer Übergangsphase: Der Terror der größeren Organisationen wie dem IS und anderen war klar organisiert. Sie haben ständig wachsende Organisationen rekrutiert und in Europa mit Kampagnen mobilisiert, die zum Terror aufrufen. Mit ihrer teilweisen Zerschlagung hat es eine Lücke in den digitalen Terrornetzwerken und der Organisation des Terrors gegeben. Ebenso hat die Terrorwelle zu vielen neuen Projekten zur Deradikalisierung und Distanzierung geführt. Deutschland hat viel in die Prävention investiert.

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Ist die Gefahr gewaltbereiter Terroristen vernachlässigt worden?

Vernachlässigt haben wir die Gefahr insofern, als sich die europäischen Gesellschaften zu sehr auf Behörden verlassen, die selbst Grenzen in Kapazitäten, ihren Möglichkeiten und Willen sich zu koordinieren wie auch den Zuständigkeiten haben. Das gilt insbesondere da, wo die Prävention weit im Vorfeld beginnen soll. Es ist das eine, Gefährder auszumachen, und ein anderes, mit ihnen zu arbeiten. Behörden können die Prävention, Bildung und Deradikalisierungsarbeit nicht ersetzen, die in der Zivilgesellschaft stattfinden muss.

Wo sehen Sie weitere Versäumnisse?

Die Öffentlichkeit und große Teile der Politik koppeln die Gefahr auch zu sehr an reale Anschläge. Wenn was passiert, bewegt sich was. Dass es beim Terror und der Prävention dagegen um langjährige Arbeit geht, wird kaum bedacht. Die Zerschlagung des IS und anderer terroristischer Vereinigungen führt nicht dazu, dass radikalisierte Personen hier aufhören, radikal zu sein. Ebenso wurde unterschätzt, dass die Einflüsse nun von anderen Seiten kommen.

Was bedeutet das?

„Wir haben unterschätzt, wie sehr die Radikalisierung in ideologischen Bereichen, etwa dem Rechtsextremismus, dazu führt, dass darauf andere Gruppen, wie islamistische Gruppen, reagieren.“

Der Terror hat sich internationalisiert und ist weniger zentral geworden. Terrorgruppen in Südostasien, in Osteuropa, in den derzeitigen Kriegsgebieten haben globale Kontakte. Der Wiener Attentäter hat sich international bewegt in einem Netzwerk. Auch die digitalen Netzwerke des Terrors sind wieder enger und klarer in ihren Ideologien und Plänen geworden. Dass die Gefahr der Radikalisierung junger Menschen weiterbesteht, die die Feindbilder teilen, die anfällig sind aufgrund sozialer und psychischer Probleme und die sich in Selbstbildern als „Krieger“ erst inszenieren und dann gemeinsam mit anderen zu Aktionen verabreden, haben wir vielleicht ausgeblendet. Ebenso haben wir unterschätzt, wie sehr die Radikalisierung in ideologischen Bereichen, etwa dem Rechtsextremismus, dazu führt, dass darauf andere Gruppen, wie islamistische Gruppen, reagieren.

Was ist der Grund, dass es jetzt in Europa wieder verstärkt Ziel von islamistischen Anschlägen wird?

Studien über die Organisation von Terrorgruppen in anderen Ländern zeigen, dass Europa immer Anschlagziel war. Europa ist meines Erachtens aus mehreren Gründen Ziel. Erstens war Europa bislang mit seiner demokratischen Grundorientierung und seiner Eindeutigkeit zum extremistisch orientierten Terror ein Feind. Zweitens liegen Teile von Europa im vom IS ausgerufenen Kalifat. Diese Idee ist nicht weg. Drittens leben in Europa Menschen, die gerade für den islamistischen Terrorgruppen hoch interessant sind. Damit meine ich Muslime, die anfällig sind für Ideen der Unterdrückung. Sie können durch eine Opferpropaganda erreicht werden. Frankreich zeigt, wie die Rekrutierung in eh schon ideologisch orientierten religiösen Milieus erfolgt.

Gibt es noch weitere Gründe?

Ja, viertens sind Anschläge gerade in Europa für die Terrorgruppen auch relevant, um die Reihen zu schließen und die in Europa lebenden und ideologisch anfälligen Menschen und Gruppen zu erreichen. Fünftens hat Europa Konflikt- und Krisenregionen. Wir wissen, dass gerade in Regionen, die selbst von Kriegen, Armut und massiver Ungleichheit getroffen sind, sich leichter Terrorgruppen bilden und dort auch leichter rekrutieren. Sie hängen sich an Ungerechtigkeits- und Deprivationsgefühle.

Welche Folgen hat das?

Der Mythos, dass der Terror und vor allem die unterschiedlichsten Formen von Gewalt gerechtfertigt sind, und diese sogar mit einer verklärten und ideologisierten islamischen selbstgebastelten Religion verherrlicht werden, ist nicht verschwunden. Auch der Aufschwung des Rechtsextremismus in den letzten Jahren steckt Islamisten an. Da wir etwas klüger sind als vor der Terrorwelle vor wenigen Jahren ist es für Terrorgruppen in Europa nicht einfacher, aber das Gefährdungspotenzial gerade in Krisenzeiten ist immer da.

Wie groß halten ist die Gefahr solcher Anschläge in Deutschland?

Nach Aussagen des Verfassungs- und Staatsschutzes ist sie groß. Ich stimme dem zu, weil Terrorgruppen fortlaufend Aktionen diskutieren, allein um zu zeigen, dass sie die Kontrolle haben und noch existieren. Die Zahl der Gefährder ist ja bekannt. Um eine gute Bedrohungs- und Risikoanalyse vorzunehmen, müssen wir aber mehr Wissen haben. Wir müssen wissen, welche Netzwerke sich über Terrorziele gebildet haben, welche Geldflüsse existieren. Wir müssen auch wissen, welche Menschen anfällig sind. Teilweise sind es Menschen, die sich in kriminellen Milieus bewegen und dort Bereitschaften zur Gewalt entwickeln. Teilweise sind es Menschen mit schweren Krisen.

Welche Folgen kann der jüngste Anschlag in Wien haben?

„Der Staat muss in die Prävention investieren, wie er es schon ganz gut tut. Aber da ist noch Luft nach oben. Es geht ja nicht nur um eine gezielte Prävention gegen den islamistischen Terror, oder andere extremistische Gruppen. Es geht um die Prävention gegen Ideologien und Gewalt.“

Auf jeden Fall steigt mit der Tat in Wien auch in Terrorgruppen die Bereitschaft, einzelne aufzusuchen und sie zu ähnlichen Taten zu ermuntern. Es sind nicht nur einfache Nachahmungstaten. Der Begriff irrt. Es sind Signal- und Modelltaten. Terrororganisationen passen die Taten an die Möglichkeiten derjenigen an, die sie für Terrorakte aussuchen.

Was ist nötig, um solche Anschläge zu verhindern?

Der Staat muss in die Prävention investieren, wie er es schon ganz gut tut. Aber da ist noch Luft nach oben. Es geht ja nicht nur um eine gezielte Prävention gegen den islamistischen Terror, oder andere extremistische Gruppen. Es geht um die Prävention gegen Ideologien und Gewalt. Der Staat muss international denken, denn der moderne Terror ist nicht national. Wir brauchen eine bessere Risiko- und Bedrohungsanalyse, auch von inhaftierten Tätern.

Was kann die Zivilgesellschaft tun?

Die Zivilgesellschaft kann Gewalt als Phänomen ernst nehmen. Und sie muss aufmerksam sein, wenn sie merkt, dass Menschen sich missachtet fühlen und anfangen, radikale Ideen immer stärker durch religiöse Ideen oder politische Vorstellungen zu rechtfertigen. (epd/mig) Aktuell Interview Panorama

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