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Sumte © MiG

Zahlenspiel mit Sorgen

Wie Sumte vor fünf Jahren Hunderte Flüchtlinge aufnahm

Mehr als 700 Flüchtlinge kamen zeitweise auf knapp über 100 Einwohner. Vor fünf Jahren wurde Sumte international zum Symbol deutscher Flüchtlingspolitik. Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht, und nur wenig erinnert heute noch daran.

Von Freitag, 23.10.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 22.10.2020, 18:31 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Christian Fabel blickt auf die rot geklinkerten Häuser der früheren Flüchtlingsunterkunft in Sumte. „Als alle auf die Ankunft der ersten Flüchtlinge warteten, gab es plötzlich einen lauten Knall“, erinnert er sich. Am 2. November vor fünf Jahren trafen am späten Abend zwei Busse mit den ersten Anreisenden in dem kleinen Ort im niedersächsischen Amt Neuhaus ein. 1.000 Flüchtlinge sollten insgesamt kommen, hieß es ursprünglich – in einen Ort mit 102 Einwohnern. „Es war das Zahlenspiel, das Sorgen bereitete“, sagt Fabel. „Die Frage, wie viel Belastung das Dorf erfährt.“

Bereits Wochen zuvor war Sumte deshalb zu einem Symbol für die deutsche Politik im Flüchtlingsjahr 2015 geworden, von dem Zeitungen wie die „New York Times“ berichteten. Am Ende lebten nie mehr als gut 700 Menschen in der Unterkunft. „Die Befürchtungen haben sich nicht bewahrheitet“, sagt der damalige Ortsvorsteher Fabel. Es ist die Episode mit dem Knall, die ihm heute mit Blick auf die frühere Unterkunft hinter dem Zaun einfällt. Verursacht hatte ihn ein Schwan, der offenbar gegen ein Dach gekracht war und benommen wieder aufflog.

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Täglich 1.000 Flüchtlinge

Jens Meier könnte über den Herbst und Winter 2015 ein Buch schreiben. Der Geschäftsführer des Arbeiter Samariter Bundes (ASB) in Barsinghausen hatte gerade eine Flüchtlingsunterkunft in Adelebsen bei Göttingen aufgebaut. Da läutete an einem Oktobertag sein Telefon. „Willst du Sumte machen?“, schildert er heute die Anfrage lapidar. Täglich kommen in dieser Zeit 1.000 bis 1.500 Flüchtlinge nach Niedersachsen. Noch selben am Abend sieht Meier sich in Neuhaus einer Bürgerversammlung gegenüber. „Da war viel Aggressivität im Raum“, sagt er. „Aber man muss die Menschen auch verstehen.“

Fabels Aufgabe war es damals, die Sorgen der Bürger in der abgeschiedenen Region vorzutragen. „Wir sind nicht dagegen, dass Flüchtlinge aufgenommen werden“, sagte er. „Wir wollen das nur so gestalten, dass alle damit leben können.“ In Sumte gelingt das, der anfänglichen Aufregung und einiger kleinerer Probleme zum Trotz. „Es ist offen mit uns umgegangen worden“, resümiert Fabel. Menschen aus der Region finden in der Unterkunft Arbeit, auch Ehrenamtliche engagieren sich. Neonazis zeigen sich zwar mal, finden aber keinen Rückhalt.

Ein Kraftakt

Dennoch sei es ein Kraftakt gewesen, berichtet Meier im Besprechungsraum des ASB in Barsinghausen. „In acht Monaten habe ich 3.000 Stunden in Camps verbracht“, sagt der mittlerweile 62-Jährige. In der Sumter Unterkunft in einem früheren Bürokomplex gab es in den ersten zwei Wochen noch keine Duschen, erzählt er. Dafür lagerten dort Akten eines Inkassounternehmens, die wegen des Datenschutzes von Spezialfirmen entsorgt werden mussten.

Rouhi Safwa, ein gelernter Architekt, gehört zu denen, die mit anpackten – dabei war er gerade erst nach der Flucht aus Syrien nach Niedersachsen gekommen. Ein Helferteam bildete sich aus Flüchtlingen des Lagers Adelebsen, zu denen Safwa gehörte. „Ich wollte nicht einfach nur herumsitzen“, sagt der 30-Jährige. In den in Sumte auf Deutsch zunächst täglich geführten Lagerunden verstand er kein Wort. Heute plaudert er flüssig mit Meier und Asmarom Ghermay, der aus Eritrea floh und auch im Lager Sumte landete. Sie sind Freunde geworden – und Kollegen. Safwa arbeitet beim ASB Barsinghausen in der IT, Ghermay als Hausmeister.

Geblieben sind persönliche Beziehungen

Auch zu anderen hat Meier noch Kontakt. Nicht immer sei es gelungen, sie bei dem Weg in Arbeit und Integration erfolgreich zu unterstützen, sagt er. Kürzlich habe er ein Interview mit einem in Schweden lebenden Iraker gehört. „Ihr Schweden habt uns aufgenommen und dann uns selbst überlassen“, habe der gesagt. „Ich frage mich, ob es hier in Deutschland nicht ähnlich ist.“

Was geblieben ist von der Zeit der Flüchtlinge in Sumte, sind persönliche Beziehungen. Auch Fabel hat bis heute Freunde, die er in der Unterkunft kennengelernt hat. Nur leben sie inzwischen anderswo. Von damals sei seines Wissens niemand mehr in der Region. Überhaupt gebe es dort nur wenig Geflüchtete, sagt der 60-Jährige – wohl auch wegen der Abgeschiedenheit der durch die Elbe von der Kreisstadt Lüneburg getrennten Region. Ein paar zusätzliche Straßenlampen hat Sumte seit 2015. Und: „Die schlechte Anbindung, die ist geblieben.“ (epd/mig) Leitartikel Panorama

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