Der kalte Blick, Ausstellung, Nationalsozialismus, Rassenforschung, Rassismus
Sonderausstellung "Der kalte Blick"

Sonderausstellung

„Der kalte Blick“ auf Juden in der NS-Zeit

Von der Suche nach "typischen Rassenmerkmalen" bei Juden und von der Verwissenschaftlichung von Vorurteilen erzählt eine Sonderausstellung in Berlin am Beispiel einer polnischen Stadt unter deutscher Besatzung.

Mittwoch, 21.10.2020, 5:19 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 20.10.2020, 19:09 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Die Rassenkunde der Nationalsozialisten am Beispiel der Vernichtung von Juden der polnischen Stadt Tarnów steht ab Mittwoch im Mittelpunkt einer Ausstellung im Berliner Dokumentationszentrum Topographie des Terrors. Dokumentiert wird das Projekt zweier ehrgeiziger Wiener Wissenschaftlerinnen, die 1942 auf der Suche nach „typischen Ostjuden“ 106 Familien „rassekundlich“ fotografierten. Zum anderen erzählt die Sonderausstellung vom Leben der Juden im westgalizischen Tarnów vor 1939 und von deren Ermordung unter deutscher Besatzung.

Anliegen der Ausstellung „Der kalte Blick“ sei es, den Blick auf die Wissenschaftsverbrechen im Nationalsozialismus zu schärfen, sagte die Direktorin der Topographie, Andrea Riedle, zur Eröffnung am Dienstag in Berlin. In der Stadt nahe Krakau, 600 Kilometer südöstlich von Berlin, lebten 1939 rund 25.000 Juden, fast die Hälfte der Einwohner.

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Täter- und Opferperspektive

In der Ausstellung werden den an erkennungsdienstliche Fotos erinnernden Aufnahmen der Wissenschaftlerinnen vereinzelt mit „warmen Blick“ Familienfotos gegenübergestellt. Insgesamt wurden von 565 Männern, Frauen und Kindern jeweils vier Fotos angefertigt: von vorn, in der Drittelansicht, im Profil und frontal mit dem Kopf in den Nacken gelegt. Dokumentiert sind mehr als 2.000, unter Zwang entstandene, sogenannte anthropometrische Aufnahmen. Sie wurden zufällig in einem Wiener Archiv gefunden.

Von den Porträtierten überlebten nur 26 den Holocaust. In Medienstationen berichten einige von ihnen aus ihrer Vergangenheit. Wichtig war es dabei den Kuratoren der Ausstellung, Täter- und Opferperspektive gleichermaßen zu beleuchten.

„sichtbar – unsichtbar“

Info: Die Ausstellung „Der kalte Blick. Letzte Bilder jüdischer Familien aus dem Ghetto von Tarnów“ im Dokumentationszentrum Topographie des Terrors ist vom 21. Oktober bis 11. April 2021 täglich von 10 bis 20 Uhr, Außenbereiche bis Einbruch der Dunkelheit (spätestens 20 Uhr), zu sehen.

Die drohende Erschießung der Porträtierten oder deren Deportation in ein Vernichtungslager seien den Wissenschaftlerinnen bekannt gewesen, sagte Riedle. Um die Menschen auf den Fotos in der Ausstellung nicht erneut „zu Schaustücken zu degradieren“, werden die „kalten“ Aufnahmen in einem schwarzen Kubus nicht offen gezeigt, sondern „sichtbar – unsichtbar“, wie es Riedle formulierte.

Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Naturhistorischen Museum Wien und der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Erstmals beschrieben wurden die „rassenkundlichen“ Untersuchungen jüdischer Familien in Tarnów vor fast 30 Jahren in dem Buch „Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung“ von Götz Aly und Susanne Heim.

Die Rolle der Wissenschaft

Riedle zufolge gibt es bislang nur wenige Ausstellungen zum Thema NS-Rassenanthropologie. Mit der Ausstellung „Der kalte Blick“ solle auch auf die Rolle der Wissenschaft zur Legitimierung des Völkermords hingewiesen werden, so Riedle. Dabei stünden die beiden Wiener Wissenschaftlerinnen auch stellvertretend für eine bisher kaum untersuchte Gruppe von Täterinnen in der NS-Zeit.

Auf dem Gelände der Berliner „Topographie des Terrors“ neben dem Martin-Gropius-Bau und unweit des Potsdamer Platzes, befanden sich von 1933 bis 1945 die wichtigsten Zentralen des nationalsozialistischen Terrors: das Geheime Staatspolizeiamt mit eigenem „Hausgefängnis“, die Reichsführung-SS, der Sicherheitsdienst der SS und während des Zweiten Weltkriegs auch das Reichssicherheitshauptamt. (epd/mig) Aktuell Feuilleton

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