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Christiane Carstensen © privat, Zeichnung: MiG

Sprachhintergrund

Manchmal träumt man von Qualitätsentwicklung

Integrationskurs-Lehrende haben zwar Fachwissen im Bereich Deutsch als Zweitsprache, aber professionell erworbene pädagogische Kenntnisse haben sie oft nicht. Austausch oder kollegiale Beratung? Fehlanzeige.

Von Montag, 21.09.2020, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 21.09.2020, 14:58 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Manchmal lese ich pädagogische Fachliteratur oder plinkere bei den Aufsätzen in der Bildungswirkungsforschung. Aber nur manchmal, wenn ich ganz stark bin. Denn in den Integrations- oder Berufssprachkursen können wir von vielem nur träumen. Das ist wie in den Süßwarenladen gehen, wenn man Diabetes hat.

Kürzlich habe ich zum Beispiel einen Artikel über Professionelle Lerngemeinschaften (PLG) gelesen und sofort kam mir ein Bild vor Augen, wie genial das Fortbildungskonzept für den Bereich der Integrations- und Berufssprachkurse ist. Ich zum Beispiel wäre die perfekte Zielgruppe.

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Als Lehrende habe ich zwar ein profundes Fachwissen im Bereich Deutsch als Zweitsprache, aber professionell erworbene pädagogische Kenntnisse habe ich – wie viele meiner Kolleginnen – nicht. Oft greife ich eher auf intuitiv erworbenes Wissen und subjektive Überzeugungen zurück, die aber durchaus wissenschaftlichem Wissen oder professionellen Standards widersprechen könnten.

„Ich habe vier Kinder. Sie können sich vorstellen, auf welche Erfahrungen ich zurückgreife, wenn ich intuitiv werde. Das ist für Erwachsenenbildung nicht gerade ideal.“

Als Honorarkraft bin ich nicht in Teamsitzungen oder interne Fortbildungen eingebunden. Das ist keine Entscheidung, die mein Sprachkursträger oder ich aus Desinteresse oder Faulheit treffen. Würde er mich als Honorarkraft in kollegiale Strukturen einbinden, kämen wir beide deswegen in Konflikt mit der Rentenversicherung und müssten ordentlich Beiträge nachzahlen.

Das Phänomen „working in isolation“ ist mir also bestens vertraut, so sind die Integrations- und Berufssprachkurse seit 15 Jahren gestrickt. Das bedeutet, dass ich ohne regelmäßigen intensiven Austausch mit Kollegen bei pädagogischen Fragen eher isoliert und subjektiv erfahrungsbasiert vorgehe.

Ich habe vier Kinder. Sie können sich vorstellen, auf welche Erfahrungen ich zurückgreife, wenn ich intuitiv werde. Das ist für Erwachsenenbildung nicht gerade ideal. Das Schöne ist: Der Mensch lernt lebenslang und auch ich könnte meine pädagogische Handlungskompetenz erweitern.

„Ein diskursiver Austausch und kollegiale Beratung – eingerahmt in einen institutionellen Kontext – würden mir helfen, neue Entwicklungen schneller und besser in mein professionelles Gerüst einzubauen.“

Professionelle Lerngemeinschaften haben in den vergangenen Jahren vermehrt Anwendung in der Unterrichts-, Professionalitäts- und Organisationsentwicklung gefunden. Ein diskursiver Austausch und kollegiale Beratung – eingerahmt in einen institutionellen Kontext – würden mir helfen, neue Entwicklungen schneller und besser in mein professionelles Gerüst einzubauen. Ich stelle mir vor, wie junge Kollegen mit ihrer Medienkompetenz und ich – als alter Hase mit einer hohen methodisch-didaktischen Kompetenz – in einen kollegialen Austausch kommen und für unsere Teilnehmenden gute Angebote für virtuelles Lernen auf die Beine stellen.

Dann lese ich den Artikel ein zweites Mal und stolpere über die Begriffe „Unterrichtsentwicklung“, „Professionalitätsentwicklung“ oder „Organisationsentwicklung“. Ach so, das ist etwas für Schule. Für so etwas haben wir in den Integrationskursen leider keine Zeit.

Gleich muss ich noch eine Stellungnahme ans BAMF schreiben, weil einer meiner Teilnehmenden nach Corona in der Anwesenheitsliste ein klein wenig anders unterschrieben hat als noch im März. Bestimmt ein krasser Betrugsversuch. Den jungen Kollegen mit seinen tollen online-Tools frage ich mal in der Pause bei einer Zigarette, wie es läuft. Meinung

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  1. Mauricio Isaza Camacho sagt:

    Ja, das ist so bei deutschen Lehrkräften, auch wenn sie in der Schule festangestellt sind. Das kommt daher, dass sie nur Deutsch studiert haben, und anders als Migranten die Zusatzqualifizierung des BAMF nicht machen mussten, um Integrationskurse unterrichten zu dürfen. Hätten sie die Zusatzqualifizierung gemacht, würden sie viel mehr wissen über Sozialformen, Gruppendynamik, Übungsarten, Konfliktlösung etc. Zum Teil sind die Integrationskursträger an dieser Misere schuldig, weil sie eher deutsche Lehrkräfte für Deutsch einstellen, als Migranten mit BAMF-Lizenz.