Moria, Flüchtlingslager, Flüchtlinge, Griechenland, Flüchtlingspolitik
Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria

„Katastrophe mit Ansage“

Tausende nach Brand im Flüchtlingslager Moria ohne Unterschlupf

Seit Jahren sind die katastrophalen Zustände in den griechischen Flüchtlingslagern bekannt. Passiert ist wenig. Jetzt ist das Camp Moria abgebrannt, Helfer sprechen von einer „Katastrophe mit Ansage“ und einem letzten Weckruf für die EU.

Donnerstag, 10.09.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 09.09.2020, 17:21 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Der verheerende Brand in Moria hat die seit langem angeprangerten Zustände in dem überfüllten griechischen Flüchtlingslager ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Helfer und Menschenrechtler sprachen von einer „Katastrophe mit Ansage“ und bekräftigten ebenso wie Vertreter aus Kirche und Politik ihre Forderungen nach einer Evakuierung der griechischen Lager und einer menschenwürdigen Unterbringung der Migranten und Flüchtlinge. „Die Zeitbombe ist hochgegangen“, erklärte die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ auf Twitter. Das Lager Moria sei bis auf die Grundmauern niedergebrannt. 12.000 Männer, Frauen und Kinder harrten nun auf der Straße aus. Von EU und Bundesregierung kamen Zusagen zu Soforthilfen, eine politische Lösung war weiter nicht in Sicht.

Das Feuer in dem völlig überfüllten Lager auf der Insel Lesbos war laut der griechischen Nachrichtenagentur ANA gegen zwei Uhr in der Nacht zum Mittwoch ausgebrochen. Offizielle Berichte über Verletzte oder Tote lagen zunächst nicht vor. Nach dem Brand herrschen in Moria nach Berichten von Helfern chaotische Zustände. Die Versorgung sei zusammengebrochen, sagte der Mainzer Arzt Gerhard Trabert am Mittwoch dem „Evangelischen Pressedienst“. Hilfsorganisationen dürften das von Sicherheitskräften abgeriegelte Areal nicht mehr betreten.

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Tausende Menschen irrten durch die Straßen, es gebe zurzeit kein Essen und kein Wasser. Thomas Osten Sacken von der Hilfsorganisation Wadi berichtete über Facebook aus Moria von einem „Alptraum, für den es kaum Worte gibt“.

Brandursache unklar

Marco Sandrone von „Ärzte ohne Grenzen“ aus Lesbos erklärte: „Wir sahen, wie sich das Feuer in Moria ausbreitete und die ganze Nacht wütete. Wir sahen, wie die Menschen aus einer brennenden Hölle flüchteten.“ Sie hätten nun keinerlei Schutz, viele verschwänden auf der Suche nach Unterschlupf in den umliegenden Hügeln. Oberste Priorität müsse nun die Sicherheit der Menschen haben, darunter mehr als 4.000 Kinder sowie Schwangere und Alte, erklärte die deutsche Sektion des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR auf Twitter.

Moria auf der Insel Lesbos ist mit mehr als 12.000 Bewohnern das größte griechische Flüchtlingslager. In den vergangenen Jahren kam es bei Protesten gegen die Lebensbedingungen in den überfüllten Zelten immer wieder zu Bränden. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) setzte die Zusammenarbeit mit den Behörden beim Transport geretteter Flüchtlinge vom Hafen zum EU-Hotspot-Lager Moria wegen der Missachtung von Mindeststandards zweitweise aus. Aufgrund der geografischen Lage der Insel in der nördlichen Ägäis vor der türkischen Küste ist Lesbos seit Beginn der Flüchtlingskrise 2015 das Ziel von Booten, die in den ersten Morgenstunden übersetzen. In den vergangenen Monaten soll die griechische Küstenwache einige der Boote in türkische Gewässer abgedrängt haben. Nichtregierungsorganisationen warfen den griechischen Behörden daraufhin illegale Zurückweisung von Flüchtlingen auf See vor.

Wie die offenbar mehreren Brände entstanden, war zunächst unklar. In Medienberichten wurde über einen möglichen fremdenfeindlichen Hintergrund spekuliert, aber auch darüber, ob Flüchtlinge aus verzweifeltem Protest Feuer gelegt hatten. Vorausgegangen waren Proteste von Geflüchteten gegen ihre inhumane Unterbringung und Versorgung sowie gegen unzureichende Maßnahmen zum Schutz vor einer Ansteckung mit Covid-19. Seit dem ersten offiziellen Corona-Fall Anfang September war die Zahl der bestätigten Fälle auf 35 angestiegen. Der Brand habe auch das Covid-19-Behandlungszentrum zerstört, meldete „Ärzte ohne Grenzen“.

UN fordern Evakuierung

UN-Organisationen ebenso wie Vertreter aus Zivilgesellschaft, Kirche und Politik riefen dringend zu einer Evakuierung der Lager auf den griechischen Inseln und zur Umverteilung der Flüchtlinge in Europa auf. „Solche Orte der Verzweiflung wie Moria darf es nicht länger geben“, betonte Unicef. Europa müsse schnellstens handeln und den Schutz der Menschen sicherstellen. Die Hilfsorganisation Oxfam sprach von einer „Katastrophe mit Ansage“. Man könne „Menschen nicht Jahre lang im Dreck leben lassen, ihnen Rechte vorenthalten, sie schließlich ungeschützt einer Pandemie aussetzen und dann überrascht sein, wenn sie gegen ihre Lebensbedingungen aufbegehren“, bekräftigte Ramona Lenz von medico international. Auch die beiden großen Kirchen forderten ein Umdenken in der Flüchtlingspolitik.

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, die Katastrophe in Moria müsse „der letzte Weckruf an die Europäische Union sein, sich jetzt nach fünf Jahren Diskussion auf die Grundsätze einer humanitären europäischen Flüchtlingspolitik zu einigen“. Außenminister Heiko Maas (SPD) bezeichnete die Lage in Moria als „humanitäre Katastrophe“. Mit der EU-Kommission und anderen hilfsbereiten EU-Mitgliedstaaten müsse schnellstens die Verteilung der geflüchteten Menschen unter Aufnahmewilligen in der EU geklärt werden, betonte er auf Twitter.

Regierung bietet Hilfe an

EU und Bundesregierung boten derweil akute Unterstützung für Griechenland an. Man sei in engem Kontakt mit den griechischen Behörden und bereit, finanzielle Hilfe zu leisten und sonstige Unterstützung durch die EU-Mitgliedstaaten zu koordinieren, sagte EU-Kommissionsvizepräsident Maros Sevcovic in Brüssel. Zuvor hatte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson angekündigt, den sofortigen Transfer der auf der Insel noch verbliebenen gut 400 unbegleiteten Minderjährigen auf das griechische Festland und die Unterbringung dort zu finanzieren.

Aus Berlin hieß es, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) befinde sich in intensiven Gesprächen mit der griechischen Regierung, um zu definieren, welche Hilfe benötigt werde. Zu Forderungen von aufnahmewilligen Kommunen und Bundesländern, ihnen zu erlauben, Flüchtlinge in Eigenregie ins Land zu holen, sagte Seehofers Sprecher, am Prinzip der Aufnahme in Deutschland gebe es aus Sicht des Ministers keinen Änderungsbedarf. Seehofer hatte im Juli eigene Landesaufnahmeprogramme von Berlin und Thüringen gestoppt mit der Begründung, die Verhandlungen für eine europäische Asylpolitik nicht gefährden zu wollen. (epd/mig) Leitartikel Politik

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  1. Ute Plass sagt:

    „Das brennende Flüchtlingslager Moria entlarvt die Verlogenheit der etablierten Kämpfer für die Menschenrechte“.

    https://www.nachdenkseiten.de/?p=64591

  2. Gerrit sagt:

    Es war eine Frage der Zeit, wann Corona diese Lager erreicht oder es den Menschen dort einfach „reicht“.

    Europa hat jahrelang Zeit gehabt, die Situation zu ändern und zu bessern. Außer sinnlosen Diskussionen ist nicht viel passiert.
    Wenn es lt. Artikel heisst, daß „Herr Seehofer in intensiven Gesprächen mit Griechenland ist, um Hilfe zu definieren“, dann erinnert das an einen Auspruch von Otto von Bismarck:

    „Wenn man sagt, daß man einer Sache grundsätzlich zustimmt, bedeutet das, daß man nicht die geringste Absicht hat, sie in der Praxis durchzuführen.“ (Otto von Bismarck)

    In anderen Medienberichten wird gemutmaßt, ob es nicht die Flüchtlinge selber waren, die Feuer gelegt haben. Das ist natürlich möglich. Aber die Gründe für dieses evtl. Tun werden völlig ausgeblendet … es soll noch so etwas wie Verzweiflung geben.

    Hessens Europaministerin Lucia Puttrich hat sich nachdrücklich gegen Forderungen gewandt, Migranten aufzunehmen. „Dieser Gewaltausbruch einiger darf nicht belohnt werden. Weder durch eine Verlegung in andere europäische Länder noch bei der Dauer oder dem Ergebnis des Asylverfahrens“, sagte die CDU-Politikerin der „Bild“-Zeitung. „Die Bilder des brennenden Flüchtlingscamps lassen uns auch fragen, was einige Menschen dazu bringt, ihre sichere Unterkunft in Europa anzuzünden.“ (Zitat aus einem Artikel bzw. Quellen der Nachrichtenagentur dpa).

    Vielleicht hätte Frau Puttrich (und andere ) mal vier Wochen „Urlaub“ machen sollen in Moria, dieser sicheren Unterkunft, eingerichtet für knapp 3.000 Menschen und zum Schluß bewohnt von rd. 12.000-20.000 Menschen. Vielleicht würde sie dann “sichere Unterkunft“ anders definieren.

    Frau Puttrich sollte sich mal vorstellen, Sie ginge mit ihrer 4köpfigen Familie zelten. Und plötzlich, weil Andere das sollen, sind in Ihrem Zelt insgesamt 24 Leute, die sie nicht einmal kennt. Und das wäre nur die Wohnsituation … ohne Sicherheit, Verpflegung usw. usw. Ich kann mir nicht vorstellen, daß sie das akzeptieren würde.

    Gleichzeitig sagt sie auch lt. dem Artikel: „die EU müsse alles dafür tun, die Bedingungen in diesen Einrichtungen zu verbessern“ und weiter „Es ist mit Blick auf europäische Grundrechte eine Schande, wie teilweise mit den Flüchtlingen in den Einrichtungen umgegangen wird“.

    Hört, hört … im Volksmund nennt man das „Lippenbekenntnisse“. Ich würde es verlogen nennen!!!

    Ihr CDU-Parteikollege, Herr Marian Wendt geht noch weiter: „Wer Feuer legt und Löschmannschaften angreift, kann nicht nach Deutschland geholt werden“ (lt. Artikel).
    Schaut man sich die Vita von Herrn Wendt an, ist diese Aussage nicht wirklich überraschend. Und scheinbar weiß Herr Wendt jetzt schon, wer oder was für das Feuer verantwortlich ist … die bösen Kriminellen, die Wirtschaftsflüchtlinge, die …

    Natürlich ist kriminelles Handeln nicht tolerierbar. Aber in diesem Fall könnte man auch von „Notwehr“ sprechen, da sich nichts an den Zuständen geändert hat trotz vieler Versprechen.

    Anders gesagt: Steht man mit dem Rücken zur Wand, gibt es nur noch eine Richtung in die man laufen kann. Die EU hatte lange genug Zeit, die Wand einzureißen … hat sie aber eigentlich nur höher und stärker gemacht.