Jobcenter-Leiter
Beharren auf Sprach- und Bildungszertifikate kontraproduktiv
Das Bundesnetzwerk Jobcenter mahnt, Flüchtlinge schneller in Ausbildung oder in Arbeit zu bringen. Das Beharren auf Sprach- und Bildungszertifikate sei kontraproduktiv. Vorbild seien die italienischen, jugoslawischen, griechischen oder türkischen Arbeiter bis in die 1990er Jahre.
Von Jens Bayer-Gimm Freitag, 04.09.2020, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 03.09.2020, 16:09 Uhr Lesedauer: 2 Minuten |
Die Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt ist nach Einschätzung des Bundesnetzwerks Jobcenter noch nicht befriedigend gelungen. „Wir hatten in den vergangenen fünf Jahren eine traumhafte Arbeitsmarktlage. Wenn da nicht mehr in Arbeit gekommen sind, ist es nicht gut gelaufen“, sagte Sprecher Matthias Schulze-Böing dem „Evangelischen Pressedienst“. Laut einer im Februar veröffentlichten Untersuchung des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung über die Erwerbstätigkeit von 2013 bis 2018 nach Deutschland gelangten Flüchtlingen hat rund die Hälfte von ihnen fünf Jahre nach dem Zuzug einen Job. Dies war noch vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie.
„Wenn jemand fünf Jahre lang aus dem Arbeitsleben raus ist, wird es immer schwieriger, ihn in ein Beschäftigungsverhältnis zu bringen“, erläuterte Schulze-Böing. Wenn ein großer Teil der Flüchtlinge noch länger arbeitslos bleibe, „erzeugen wir gesellschaftspolitischen Sprengstoff“, warnte der Geschäftsführer des Jobcenters Offenbach. Die wichtigsten Faktoren für einen Job seien Qualifikation und Motivation: „Beides muss stimmen.“ Die Schulen, Arbeitsverwaltung und Betriebe könnten dabei unterstützen. Gut gelaufen sei im Rückblick der vergangenen fünf Jahre das große Engagement von Arbeitsagentur, Jobcentern, Schulen und Betrieben für die Aufnahme von Flüchtlingen.
Schulze-Böing, der auch Leiter des Amtes für Arbeitsförderung und Integration der Stadt mit dem höchsten Ausländeranteil Deutschlands ist, forderte, Flüchtlinge schneller in Ausbildung oder Arbeit zu bringen. Für die Integration sei es von Nachteil, zuerst auf Abschlüssen von Sprach- und Bildungszertifikaten zu beharren, bevor ein Ausbildungs- oder Arbeitsvertrag geschlossen werde. Ein Modellprojekt der EU in Offenbach habe den Erfolg einer „fast track integration“ erwiesen, bei der Arbeit und Sprachkurse parallel liefen, sagte der Soziologe und Volkswirt.
Ausbildung in der Muttersprache
Der Jobcenter-Chef erinnerte an landsmannschaftliche Schichten von italienischen, jugoslawischen, griechischen oder türkischen Arbeitern bis in die 1990er Jahre, die sich vornehmlich in ihrer Heimatsprache verständigten. Dies könne als Beispiel dienen, Flüchtlinge ohne große Deutschkenntnisse rasch in Arbeit zu bringen. Ebenso müssten Flüchtlinge zügig Ausbildungsverhältnisse abschließen können. Hier müssten Wege entwickelt werden, wie eine Ausbildung auch in der Muttersprache oder auf Englisch beginnen könne, bis die Deutschkenntnisse gut genug seien.
Der von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor fünf Jahren geäußerte Spruch „Wir schaffen das!“ sei hinsichtlich der Integration in den Arbeitsmarkt noch nicht erfüllt, sagte der Sprecher des Bundesnetzwerks Jobcenter: „Es ist viel geschafft worden, aber noch nicht genug.“ (epd/mig) Aktuell Wirtschaft
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