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Plakat zum Film "Exil"

Interview mit Visar Morina

„Es gibt sehr viel Verlogenheit im Umgang mit Rassismus“

Visar Morina, Regisseur von "Exil", sieht im Umgang mit Rassismus sehr viel Verlogenheit. Dem Westen wirft er Arroganz gegenüber Menschen aus wirtschaftlich schwachen Ländern vor. Im Gespräch erklärt er unter anderem, was er unter Integration und Heimat versteht.

Donnerstag, 20.08.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 20.08.2020, 11:00 Uhr Lesedauer: 10 Minuten  |  

Wie viel an EXIL ist autobiografisch?

Visar Morina: Der im Film beschriebene Konflikt ist natürlich autobiografisch motiviert, sei es durch meine Familie oder durch mich selbst. Ich bin mit 15 nach Deutschland gekommen, habe die Sprache nicht gesprochen und musste um meine Position kämpfen – sei es in der Schule, wo ich erstmal gar nicht hindurfte, oder auch im Privaten.

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Insofern sind mir der Grundkonflikt und die Emotionalität des Films sehr nahe. Es gibt Aspekte, die autobiografisch sind – teilweise sind das Kleinigkeiten, die beim Schreiben wichtig waren. Meine Mama, zum Beispiel, hat tatsächlich immer gesungen, wenn sie traurig war, das macht sie heute noch; oder mein Bruder legt sich immer hin, wenn er Stress hat. Dennoch ist der Film nicht per se autobiografisch. Ich habe keine Kinder, bin nicht verheiratet und arbeite auch nicht im Büro. Und wenn ich einem Idioten begegne, habe ich nicht das Gefühl, er ist ein Idiot, weil ich Ausländer bin, sondern der Arme ist einfach ein Idiot.

In Ihrem Debüt erzählen Sie vom Aufbruch in ein neues Leben, in ein neues Land. In EXIL könnte Xhafer angekommen sein, ist er aber nicht. Er sagt: „Du weißt doch gar nicht, was es heißt ein Fremder zu sein, in diesem möchtegern-kultivierten und zutiefst verlogenen Land.“ Wer spricht zu wem, wer klagt gar wen an?

„Natürlich gibt es sehr viel Verlogenheit im Umgang mit Rassismus. Es schickt sich nicht rassistisch zu sein, man sucht andere Formen Ausgrenzung zum Ausdruck zu bringen. Zum Beispiel durch einen subtilen Hinweis auf Umgangsformen und Verhaltensweisen.“

Ich glaube schon, dass Xhafer angekommen ist, bzw. weiß ich nicht, wie er mehr angekommen sein könnte. Er gehört zum bürgerlichen Teil dieser Gesellschaft. Er hat einen Job, eine Frau, drei Kinder, ein Haus, zahlt Steuern, er kümmert sich um seinen Garten. Mehr Bürger geht nicht.

Was den Ausspruch angeht: Davor erzählt er ja von einem alten Mann, der vom Apfelbaum fällt und im Krankenhaus nur von denen besucht werden will, die auch von einem Apfelbaum gefallen waren. Scheinbar findet dieser Mann den Sturz so besonders, dass er Trost und Sinn nur in Menschen finden kann, die diesen speziellen Schmerz auch kennen. Ich finde, da ist was dran.

Zur Frage wer hier wen anklagt: Natürlich gibt es sehr viel Verlogenheit im Umgang mit Rassismus. Es schickt sich nicht rassistisch zu sein, man sucht andere Formen Ausgrenzung zum Ausdruck zu bringen. Zum Beispiel durch einen subtilen Hinweis auf Umgangsformen und Verhaltensweisen. Um Urs im Film zu zitieren: „Wissen Sie, wozu eine Sekretärin da ist? Damit Leute wie Sie sich anmelden. Und? Haben Sie sich angemeldet?“ Das muss nicht rassistisch motiviert sein, es kann aber, und wird auch oft. Oder so etwas zu sagen, wie: „Es ist doch interessant, dass Sie sich für deutsche Literatur interessieren“. Für welche Literatur soll ich mich denn interessieren? Ich lebe hier. Dabei geht es aus meiner Sicht nicht darum, dass ich mich für deutsche Literatur interessiere, sondern, dass ich mich als Ausländer überhaupt für Literatur interessiere.

„Grundsätzlich gibt es meiner Meinung nach oft eine große Arroganz des Westens gegenüber Menschen aus wirtschaftlich schwachen Ländern. Es gibt eine gefühlte Überlegenheit, was Bildung, Freiheitsdenken, Umgangsformen angeht und das kann im Alltag sehr absurde Ausmaße annehmen und abstruse Ansichten zu Tage fördern.“

Grundsätzlich gibt es meiner Meinung nach oft eine große Arroganz des Westens gegenüber Menschen aus wirtschaftlich schwachen Ländern. Es gibt eine gefühlte Überlegenheit, was Bildung, Freiheitsdenken, Umgangsformen angeht und das kann im Alltag sehr absurde Ausmaße annehmen und abstruse Ansichten zu Tage fördern.

Das kann, je nach momentaner Lebenssituation, verunsichern. Man ist schneller geneigt sich in Frage zu stellen, wenn man sich die Selbstverständlichkeit dazu zu gehören erkämpfen musste, was wiederum eine Auswirkung auf die Umgebung hat. Man tritt dann noch unsicherer auf und kann schneller „komisch“ wirken, was diesen Kreislauf weiter befeuert. Ich denke, das ist bei Xhafer in dem Lebensabschnitt, in dem wir ihm begegnen, der Fall.

Sind Sie integriert?

Was den Begriff der Integration angeht, weiß ich nicht, was das sein soll. Wenn wir davon sprechen, ob jemand angekommen ist, dann kann ich etwas mit dem Begriff anfangen. Mir fällt eine Begegnung ein, die ich vor Jahren in einem Schweizer Club mit einer Frau hatte. Offensichtlich war da ein Interesse, zumindest nahm ich das an. Wir sprachen ein paar Sätze. Es war zu laut, sie hörte meinen Akzent nicht und als sie erfuhr, dass ich aus dem Kosovo komme, schien sie irritiert und sagte: „Du bist aber integriert oder? Doch, doch du bist integriert.“ Und ich fragte mich, ob sie ein Kostüm meint, das ich mir überziehen soll? Ich finde, dass die Art und Weise wie der Begriff „Integration“ in der öffentlichen Debatte, zumindest in Deutschland, geführt wird, oft eher die Frage meint, ob man ein so genannter „Wilder“ oder „Zivilisierter“ ist.

Rassismus, Integration, Fremdsein, Assimilation, Mobbing, Ausgrenzung… Das sind alles sehr komplexe psychologische, emotionale und kommunikations-dynamische Themen, die Sie aufgreifen. Eine dramatische Tour de Force, die viele Spitzen und Eklats hat, bis zum Schluss – ist es eine naheliegende Interpretation, dass dieser Konflikt endlos und unlösbar ist?

Ich denke, solange ich Menschen aufgrund einer vorgefertigten Schablone beurteile, wird dieser Konflikt bestehen. Rassismus oder Sexismus – und ich finde es gibt viele Ähnlichkeiten – verstehe ich so, dass im Grunde das Individuum als solches ausgeschaltet wird. Oft ist die Folge davon, dass die Betroffenen dieses Denken wie einen Virus übernehmen. Es setzt sich in den Knochen fest. Man sieht und fühlt sich als Mensch zweiter Klasse. Das zumindest habe ich oft im engsten Kreis beobachten können und das war schmerzhaft. Manche reagieren mit Aggression, manche mit Unterwürfigkeit. Oder schlimmer noch, das rassistische Denken wird auf andere Gruppen, die übler dran sind, übertragen.

„Für mich war der menschliche Aspekt der Verunsicherung des Einzelnen gegenüber einer Gruppe viel wichtiger, als eine Kritik an Deutschland. Aber ja, es gibt Vieles zu kritisieren, aber auch viel Gutes. Ich lebe gerne in Deutschland.“

Was Xhafer angeht, so glaube ich, dass jeder Mensch, auch als „Nichtfremder“, in die gleiche Situation geraten kann, das kann jeder nachvollziehen, dafür muss man nicht sein Dorf oder seine Stadt verlassen haben. Die Tatsache, dass Xhafer woanders geboren ist, macht es für ihn greifbarer, unmittelbarer, aber das war die Erfahrung auch.

Dazu eine weitere Situation, die ich erlebt habe: Ich war auf einem Filmfestival und stand neben einem Schauspieler, plötzlich kam ein Mann auf uns zu und begrüßte den Schauspieler mit den Worten: „na wieder nüchtern“. Der Schauspieler war höchst irritiert. Die beiden kannten sich nur flüchtig und ich dachte, wenn noch zwei weitere, wildfremde Menschen mit der gleichen Frage auf ihn zukämen, dann wäre es um die Unbekümmertheit und Sicherheit dieses Mannes nicht gut bestellt.

Sehen Sie den Film u.a. auch als Kritik an Deutschland, aus Ihrer Innenperspektive?

Ich empfinde den Film als eine Auseinandersetzung mit dem, was ich vielleicht als westlich empfinde. Westlich in der Hinsicht, als dass man sich „erste Welt“ nennt und glaubt den Puls der Zeit vorzugeben. Es klingt nach Kritik, ist es auch. Bei EXIL ging es mir aber nicht darum. Vielmehr war mir der Einzelne in der Gruppe wichtig. Ich finde Gruppen können schnell etwas Bedrohliches haben.

Info:Exil. Kinostart in Deutschland: 20. August 2020. Regie und Buch: Visar Morina. Mit: Mišel Matičević, Sandra Hüller, Rainer Bock, Thomas Mraz, Flonja Kodheli. Länge: 121 Minuten. FSK: ab 12. FBW: keine Angabe.

Für mich war der menschliche Aspekt der Verunsicherung des Einzelnen gegenüber einer Gruppe viel wichtiger, als eine Kritik an Deutschland. Aber ja, es gibt Vieles zu kritisieren, aber auch viel Gutes. Ich lebe gerne in Deutschland.

Um nochmal auf die Innenperspektive auf Deutschland zurückzukommen. Ich habe das Drehbuch 2016 geschrieben und fand das Jahr sehr besonders. Die Stimmung den Flüchtlingen gegenüber kippte; die mediale Interpretation der Silvesternacht 2015/2016 in Köln war sehr präsent; die AfD blühte auf. Ich hatte das Gefühl, dass sich das Land veränderte und es herrschte eine paranoide Stimmung. Natürlich war mein Eindruck auch dem Stoff geschuldet, mit dem ich tagtäglich beschäftigt war, aber dennoch. Ich wollte von Wien nach Köln und stand wegen einer Grenzkontrolle eine Stunde an der Grenze. Ein halbes Jahr zuvor hätte ich eine Grenzkontrolle nie für möglich gehalten. Alle, die mit mir an der Grenze gewartet haben, verhielten sich so als wäre nichts, als wäre das normal und ich dachte, wie schnell sich Errungenschaften, um die man froh sein kann, ins Gegenteil verkehren.

Was bedeutet Herkunft für Sie?

Alles, was mich geprägt hat, in der einen oder anderen Weise und zu dem ich meinst eine emotionale Bindung oder Erinnerung habe. Aber das kann alles Mögliche sein und ich finde es schwierig zu verallgemeinern, weil dabei das Spezifische und der Zufall, die genauso wichtig sein können, verloren gehen. Wir sind zum Beispiel eine große Familie, fünf Kinder und alle sind sehr unterschiedlich. Ich bin manchmal selbst überrascht wie unterschiedlich wir sind.

Ich möchte damit nicht sagen, dass sogenannte harte Fakten wie Familie und sozialer Status keine Rolle spielen, ganz sicher tun sie das, es ist aber nur ein Teil der Erfahrung.

Xhafer, Urs und Manfred erkennen sich nicht in ihrer Unsicherheit, sie werden Gegner; Nora bietet Xhafer Unterstützung und Widerstand, die er nicht annehmen kann. Die Kommunikation bricht an allen Stellen, Xhafers Wahrnehmung seiner Ausgrenzung hält sich beständig. Hat der Film dadurch einen spezifischen Wunsch, ein Anliegen, das er weitergeben will?

„Mir ist persönliches und subjektives Erzählen wichtig bzw. finde ich, dass man nur subjektiv und persönlich erzählen kann. Alles andere empfinde ich als Zumutung und habe das Gefühl, man macht mir was vor.“

Xhafer, Urs und Manfred habe ich immer als eine Figur verstanden, die alle in unterschiedlicher Ausprägung eine Ausgrenzung erleben. Dabei finde ich, dass es Manfred am Schlimmsten getroffen hat. Xhafer kann sagen, sie mögen ihn nicht, weil er Ausländer ist. Urs kann sagen, da kam dieser blöde Ausländer und alles wurde schlimmer. Manfred kennt aber keinen Grund. Ein Grund, egal wie unplausibel, kann erleichternd wirken. Nicht mal darauf kann Manfred zurückgreifen. Er ist zu allen nett und hilfsbereit. Er hält sich an alle Codes des freundlichen Miteinanders, aber man will ihn nicht um sich haben, stattdessen schließt man ihn lächelnd aus dem Leben aus.

Ich habe den Film nicht mit einem spezifisch formulierten Anliegen gemacht. Aber ich war definitiv bemüht die Strukturen, die zur Ausgrenzung führen können, spürbar zu machen und wie erwähnt, war mir der Aspekt der langsamen Verunsicherung sehr wichtig. Ab einem bestimmten Punkt macht die Verunsicherung auch vor einem selbst nicht Halt.

Bildet Xhafer sich alles ein oder wird er tatsächlich gemobbt? Die Frage nach der inneren und äußeren Bedrohung bleibt unbeantwortet, beschäftigt einen aber selbstverständlich zu Recht durch den ganzen Film. Warum haben Sie diese erzählerische Form gewählt?

Mir ist persönliches und subjektives Erzählen wichtig bzw. finde ich, dass man nur subjektiv und persönlich erzählen kann. Alles andere empfinde ich als Zumutung und habe das Gefühl, man macht mir was vor.

Ich habe den Film als Versuch einer Geschichte über das Sehen und Zweifeln verstanden. Ich sehe einen Gegenstand und weiß nicht, wie ich diesen Gegenstand in Verhältnis zu mir setzen soll. Das war für mich der Kern und Angelpunkt der Geschichte. Demnach war es für mich zwingend in der Wahrnehmung Xhafers zu bleiben und es kommt für mich so dem Leben sehr nahe. Interview Leitartikel Panorama

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