Sonderermittler eingesetzt
Weitere Linken-Politikerinnen erhielten „NSU 2.0“-Drohmails
Die Affäre um rechtsextreme Drohmails weitet sich aus. Zwei weitere Politikerinnen der Linken sind betroffen. Die Urheber werden in hessischen Polizei-Kreisen vermutet. Ein Sonderermittler nahm seine Arbeit auf. Linke fordern von Bundesinnenminister Seehofer Konsequenzen.
Montag, 13.07.2020, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 12.07.2020, 22:15 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
In der hessischen Polizeiaffäre um Morddrohungen gegen eine Frankfurter Rechtsanwältin und die Fraktionschefin der Linken im Landtag hat der von Innenminister Peter Beuth berufene Sonderermittler sein Amt angetreten. Es handelt sich um den Leiter der Kriminaldirektion im Frankfurter Polizeipräsidium, Hanspeter Mener. Beuth betonte, die Ermittlungen gegen den oder die Urheber der mit „NSU 2.0“ gezeichneten Drohmails hätten höchste Priorität.
Sowohl die ersten Morddrohungen gegen die Anwältin Seda Başay-Yıldız vor zwei Jahren als auch die jüngsten gegen die Linken-Politikerin Janine Wissler waren mit persönlichen Informationen versehen, die öffentlich gar nicht zugänglich sind. 2018 waren dazu ohne dienstlichen Anlass Daten aus einem Frankfurter Polizeicomputer abgerufen worden, im Februar 2020 aus einem Rechner der Polizei in Wiesbaden.
Beuth attackierte scharf das Landeskriminalamt, das ihn wochenlang nicht über den Abruf in Wiesbaden informiert hatte. Er warf der Behörde mangelnde Sensibilität vor und forderte die Polizei auf, alles zu tun, um den Verdacht eines rechten Netzwerks in ihren Reihen auszuräumen. Beuth hatte am Donnerstag nicht ausgeschlossen, dass es ein rechtes Netzwerk in der hessischen Polizei gibt.
Başay-Yıldız kritisiert Innenminister
Die als erste bedrohte Rechtsanwältin Vertrauen in Sonderermittler Başay-Yıldız stellte sich in dem Streit am Freitag hinter die Präsidentin des Landeskriminalamts, Sabine Thurau, und kritisierte den Innenminister. In einer Erklärung bemängelte sie, Beuth habe sich nie bei ihr und ihrer Familie gemeldet. Die LKA-Präsidentin habe dagegen wiederholt mit ihr persönlich gesprochen und dafür gesorgt, „dass mein Kind, das nach wie vor massiv bedroht wird, seit nunmehr 1,5 Jahren geschützt wird“.
Thurau habe nicht wie der Innenminister und andere politische Akteure die Öffentlichkeit gesucht, leere Versprechungen abgegeben und sich nie wieder gemeldet, sondern tatsächlich etwas getan. „Dafür danken meine Familie und ich ihr sehr“, betonte die Anwältin, die im NSU-Mordprozess für Angehörige der Opfer die Nebenklage mitvertreten hatte.
Vertrauen in Sonderermittler
Başay-Yıldız fügte hinzu, trotz aller strukturellen Probleme, die die Polizei in ihren Reihen offensichtlich habe, schaffe die Arbeit von Thurau und ihrer Behörde Vertrauen in die Arbeit der Polizei.
Innenminister Beuth betonte, der von ihm eingesetzte Sonderermittler werde die bisherigen Ermittlungen zu den Drohmails sehr genau analysieren und „mit einem neuen Blick auch neue Ermittlungsansätze einbringen“. Ziel sei, den oder Täter aus der Anonymität zu reißen.
Weitere „NSU 2.0“-Drohbriefe
Neben Wissler haben laut einem Bericht der „tageszeitung“ vom Freitag zwei weitere Linken-Politikerinnen mit „NSU 2.0“ gezeichnete Schreiben mit Todesdrohungen erhalten. Betroffen seien die Bundestagsabgeordnete Martina Renner und die Fraktionschefin im Berliner Abgeordnetenhaus, Anne Helm. Auch darin seien persönliche, öffentlich nicht bekannte Informationen enthalten gewesen.
Renner machte den Ermittlern schwere Vorwürfe. Das Landeskriminalamt Hessen habe bei der Aufklärung der Drohserie bisher komplett versagt, sagte sie der „tageszeitung“. „Es ist ein schweres Versäumnis von Innenminister Beuth, sich erst jetzt um die Morddrohungen gegen engagierte Frauen zu kümmern“, fügte sie hinzu.
Bartsch fordert Konsequenzen
Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, hat Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) aufgefordert, aus dem Rechtsextremismus-Skandal bei der Polizei in Hessen Konsequenzen zu ziehen. „Was da läuft, ist ein unfassbarer Vorgang“, sagte Bartsch dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND).
Wenn der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) sage, es gebe den Verdacht rechter Netzwerke bei der Polizei, „dann müssen im Bundesinnenministerium von Horst Seehofer alle Glocken klingeln“, sagte Bartsch. Der Linken-Politiker fügte hinzu: „Das ist eine Aufforderung zum Handeln.“ Die zuständigen Behörden müssten ihre Aufgaben intensiver wahrnehmen.
Riexinger: Rechtsextreme Netzwerke in Behörden größer als bekannt
Linken-Parteichef Bernd Riexinger äußerte sich schockiert darüber, „dass meinen Kolleginnen in der Vergangenheit zu keinem Zeitpunkt Polizeischutz angeboten wurde“. Wenn so der Eindruck entstehe, dass der Staat die Bedrohungslage nicht ernst nehme, stärke das die Täter, sagte er der Düsseldorfer „Rheinischen Post“. Die Morddrohungen seien ein weiterer Schritt in Richtung einer Eskalation rechter Hetze.
Riexinger erklärte, seit Monaten gebe es massive Drohungen und Tätlichkeiten „gegen linke Politiker und Politikerinnen und Aktivistinnen und Aktivisten, die sich gegen Rassismus, Neonazismus und Antisemitismus engagieren“. Der Frage nach der Untätigkeit der Behörden stehe nun „der Fakt gegenüber, dass private, nicht öffentlich zugängliche Daten von Janine Wissler in einem Wiesbadener Polizeirevier abgerufen wurden“. Das rechtsextreme Netzwerk in den Behörden in Hessen erscheine noch größer als bisher bekannt. (epd/mig) Aktuell Panorama
Wir informieren täglich über das Wichtigste zu Migration, Integration und Rassismus. Dafür wurde MiGAZIN mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Unterstüzte diese Arbeit und verpasse nichts mehr: Werde jetzt Mitglied.
MiGGLIED WERDEN- Rheinland-Pfalz-Studie Jeder zweite Polizist lehnt muslimfeindliche…
- Drama im Mittelmeer Seenotretter bergen hunderte Geflüchtete
- Der Fall Prof. Dr. Kenan Engin Diskriminierung an deutschen Hochschulen kein Einzelfall
- Neue Integrationskursverordnung Bundesregierung will Integrationskurse verschlanken
- Prof. Heckmann im Gespräch Migrationspolitik, die von Sicherheitsthemen…
- Auftrag des Grundgesetzes Menschenwürde in der Einwanderungsgesellschaft