Interview mit Yasemin Shooman
„Wir wollen einen Rassismus-Monitor aufbauen“
Der Bund unterstützt die Rassismusforschung beim DeZIM-Institut mit neun Millionen Euro. Im Gespräch mit MiGAZIN erklärt die Wissenschaftliche Geschäftsführerin des Instituts, Dr. Yasemin Shooman, welche Lücken es in der Rassismusforschung gibt und was sie vom "Racial Profiling"-Studien-Aus von Bundesinnenminister Seehofer hält.
Mittwoch, 08.07.2020, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 08.07.2020, 9:09 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
MiGAZIN: Der Bundestag hat beschlossen, die Arbeit des DeZIM in den nächsten drei Jahren mit neun Millionen Euro zu unterstützen. In welche Forschung soll das Geld fließen?
Yasemin Shooman: Wir wollen einen Rassismus-Monitor aufbauen. Dabei geht es zunächst darum, sich ein möglichst umfassendes Bild der Lage zu machen und dann mit bestimmten Instrumenten, zum Beispiel wiederkehrenden Befragungen, einen längeren Zeitraum zu beobachten. Dies kann dabei helfen, Trends und Veränderungen aufzuzeigen. Wichtig ist uns, den Blick nicht nur auf diskriminierende Akteure zu richten, sondern auch auf die Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Wie wirkt sich Rassismus in ihrem Alltag aus und wie gehen sie damit um? Diese Perspektive soll im Vordergrund stehen.
Kann man aus dem Beschluss des Bundestags folgern, dass Rassismus inzwischen ernster genommen wird?
Yasemin Shooman: Ja, auf jeden Fall. Es ist ein wichtiges Signal, dass der Bund jetzt so viel Geld in die Hand nimmt, um die Rassismusforschung in Deutschland zu stärken. Die rassistischen Morde von Hanau und die weltweiten Proteste gegen rassistische Polizeigewalt nach der Tötung von George Floyd haben dabei sicher eine Rolle gespielt. Vor Kurzem hat zudem der Kabinettausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus seine Arbeit aufgenommen. Wir bauen darauf, dass sich der Bund hier langfristig engagiert und wir so einen Rassismus-Monitor dauerhaft etablieren können.
Info: Das DeZIM-Institut ist eine Forschungseinrichtung, die durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) gefördert wird. Zentrale Aufgaben sind kontinuierliche, methodisch fundierte Forschung und deren Transfer in Politik, Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft. Neben der DeZIM-Forschungsgemeinschaft ist es eine der zwei tragenden Säulen des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM).
Es gibt bereits Untersuchungen – die „Mitte-Studien“ beispielsweise -, in denen auch rassistische Einstellungen in der Gesellschaft erforscht werden. Warum brauchen wir weitere Studien?
Yasemin Shooman: Das Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung, das die Mitte-Studien durchführt, ist Mitglied der DeZIM-Forschungsgemeinschaft – wir stehen hier also in einem engen Austausch. Diese Studien erheben antidemokratische Einstellungen und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der Gesamtbevölkerung.
Wir wollen ergänzend dazu, wie schon gesagt, die Perspektive der Betroffenen ins Zentrum rücken. Bei von Rassismus betroffenen Menschen handelt es sich zumeist um kleine Bevölkerungsgruppen, die für Befragungen schwer zu erreichen sind. Unsere Methodenexpertise auf diesem Gebiet erlaubt es uns jedoch, hier repräsentative Daten zu erheben, was ziemlich aufwändig ist. Solche Daten fehlen in Deutschland bislang. Sie sind aber wichtig, wenn es etwa darum geht, den Bedarf an Unterstützung und Empowerment zu ermitteln, damit sich Betroffene besser wehren können.
Wir wollen auch auf die Folgen rassistischer Diskriminierung blicken: Wie wirkt sich diese zum Beispiel auf die Gesundheit und das Wohlbefinden aus. Neben der subjektiven Ebene werden wir zum Beispiel mittels experimenteller Studien in unserem DeZIM.lab, das wir gerade aufbauen, Ausdrucksformen und das Ausmaß von Rassismus in verschiedenen Lebensbereichen untersuchen.
Wie bewerten Sie den Forschungsstand über Rassismus in Deutschland? Gibt es Handlungsbedarf?
„Dahinter steht die Haltung, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Das hilft uns aber nicht weiter, wenn wir die Praxis des ‚Racial Profilings‘ adressieren wollen. „
Yasemin Shooman: Ja, insbesondere was belastbare Daten zu den strukturellen Aspekten von Rassismus in unserer Gesellschaft betrifft. Im Hinblick auf den Bildungssektor, den Arbeits- und Wohnungsmarkt und den Zugang zu weiteren gesellschaftlichen Ressourcen fehlt es weitgehend an solchen Daten. Da gibt es einige Studien, aber die Forschung dazu läuft häufig dezentral und vereinzelt. Was wir hier vor allem benötigen, ist, dass solche Erkenntnisse systematisch gebündelt werden.
Rassismusforschung findet in Deutschland zudem vor allem mittels qualitativer Methoden statt. Das sage ich als Person, die selbst qualitativ zu verschiedenen Aspekten des antimuslimischen Rassismus geforscht hat. Dieser Forschungsansatz erlaubt vertiefte Analysen. Im Dialog mit der Politik merkt man aber schnell, dass diese darüber hinaus eben häufig nach „hard data“ fragt. Daher muss man diese qualitativen Studien dringend um repräsentative Erhebungen ergänzen.
Kann die aus den USA nach Deutschland übergeschwappte Black-Lives-Matter Debatte etwas Nachhaltiges bewirken?
Yasemin Shooman: Das hoffe ich sehr. Der Blick über den nationalen Tellerrand hilft uns, in diesen Fragen hierzulande voranzukommen. Es ist aber immer wieder wichtig, diese Diskussionen an den spezifischen gesellschaftlichen Kontext, in dem wir uns befinden, rückzukoppeln.
Vor drei Wochen hat die Bundesregierung eine Studie zu rassistischer Diskriminierung durch Polizeibehörden – Stichwort: „Racial Profiling“ – angekündigt. Bundesinnenminister Horst Seehofer sagte sie zuletzt wieder ab – dafür gebe es keinen Bedarf. Was halten Sie davon?
Yasemin Shooman: Dahinter steht die Haltung, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Das hilft uns aber nicht weiter, wenn wir die Praxis des „Racial Profilings“ adressieren wollen. Diese Polizeikontrollen aufgrund von Hautfarbe und anderer phänotypischer Merkmale zeigen anschaulich, wie sich Rassismus in Handlungsroutinen und institutionelle Abläufe einschreiben kann, ohne dass es immer der böswilligen Intention von Individuen bedarf. Ich finde es daher wichtig, dass dieses Thema wissenschaftlich untersucht wird. Denn von diesen verdachtsunabhängigen Kontrollen sind nun einmal leider viele Menschen in Deutschland betroffen. Aktuell Interview Panorama
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