Vereinte Nationen

Immer mehr Menschen auf der Flucht

Die Zahl der Flüchtlinge ist erneut deutlich gestiegen. In Zeiten der Corona-Pandemie ist ihre Lage noch schlimmer. Zurück in ihre Heimat können sie gleichzeitig immer weniger. Hilfsorganisationen fordern mehr Schutz.

Freitag, 19.06.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 18.06.2020, 22:29 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Zahl der vor Gewalt und Konflikten geflüchteten Menschen hat laut den Vereinten Nationen einen neuen Höchststand erreicht. Weltweit seien 79,5 Millionen Kinder, Frauen und Männer Ende vergangenen Jahres auf der Flucht gewesen, heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Jahresbericht des Hilfswerks UNHCR. Menschenrechtler und Helfer forderten mehr Einsatz, um Konflikte zu beenden, und deutlich bessere Unterstützung für Geflohene. Die Bundesregierung rief zu Flüchtlingsschutz besonders während der Corona-Pandemie auf.

„Die Zahl der Menschen auf der Flucht entspricht einem Prozent der Weltbevölkerung“, sagte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, Filippo Grandi, vor dem Weltflüchtlingstag am Samstag. „Niemals zuvor haben wir so viele Menschen auf der Flucht erfasst.“ Ende 2018 waren demnach 70,8 Millionen Menschen geflohen.

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Menschenrechtsbeauftragte Kofler bestürzt

Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, äußerte sich bestürzt. „Diese Menschen hatten ein geregeltes Leben und Visionen für ihre Zukunft, die durch Krieg und Gewalt jäh zerstört wurden“, sagte sie. Die Weltgemeinschaft sei aufgerufen, sich entschieden für Schutz und Versorgung der Geflohenen einzusetzen und ihnen Perspektiven zu ermöglichen. „Dies beinhaltet auch den verstärkten politischen Einsatz gegen Menschenrechtsverletzungen, Krieg und Gewalt.“

Die Zahl der Flüchtlinge sei ein vernichtendes Urteil über unverantwortliches, kraftloses und nationalistisches Regierungshandeln weltweit, kritisierte die NRC Flüchtlingshilfe. Ein Ende der politischen Untätigkeit im Umgang mit zahlreichen Kriegen auf der Welt sei dringend nötig.

Amnesty kritisiert Europas Aufnahmebereitschaft

Auch Amnesty International forderte die Politik zum Handeln auf. Während innerhalb der vergangenen zehn Jahre fast doppelt so viele Menschen zur Flucht gezwungen gewesen seien, seien in Europa immer weniger Mitgliedsstaaten bereit, Schutzsuchende aufzunehmen.

Der UNHCR-Bericht deckt das Jahr 2019 ab, neue Flüchtlingsbewegungen in diesem Jahr wie in Libyen sind noch nicht erfasst. Grandi ging jedoch auf die Corona-Pandemie ein, die auch die Menschen auf der Flucht bedroht. Zwar sei es in Flüchtlingsunterkünften noch nicht zu großen Corona-Ausbrüchen gekommen. Doch die Pandemie stürze viele Geflohene in noch tiefere wirtschaftliche Not.

Die meisten Flüchtlinge sind in armen Regionen

Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) wies darauf hin, dass 80 Prozent der Geflohenen in Regionen lebten, wo die Ernährungslage sehr kritisch sei, wie im Jemen oder in der Sahelregion. „Für viele Flüchtlinge ist die Corona-Krise bereits eine dramatische Hungerkrise“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstag). 90 Prozent der weltweiten Flüchtlinge würden von Entwicklungsländern aufgenommen. Auch in Flüchtlingslagern seien die Zustände katastrophal: „Händewaschen, Abstand zu anderen, mit dem Ersparten über die Runden kommen – all das ist für Flüchtlinge nicht möglich.“

Caritas und Diakonie Katastrophenhilfe riefen die Staaten auf, Flüchtlinge auch beim Kampf gegen die Pandemie im Blick zu haben. So hinderten Grenzschließungen viele Menschen daran, Schutz vor Gewalt und Verfolgung zu finden. „Die Möglichkeit auf Einreise in den Nachbarstaat, um das Leben zu retten, darf nicht einfach Corona-Maßnahmen geopfert werden“, kritisierte der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Peter Neher.

Flüchtlinge in Gesundheitsversorgung aufnehmen

Flüchtlinge müssten weltweit in die reguläre Gesundheitsversorgung aufgenommen und bei Hilfsprogrammen im Rahmen der Corona-Pandemie mitgedacht werden, forderte die „Aktion gegen Hunger“. In vielen Ländern seien sie von Nothilfemaßnahmen ausgeschlossen und könnten sich kaum mit dem Notwendigsten versorgen.

Dass die Zahl der Geflohenen im vergangenen Jahr so deutlich stieg führte Grandi vor allem auf neue Vertreibungen im Kongo, in der Sahelregion, im Jemen und in Syrien zurück. Der mehr als neun Jahre tobende Konflikt in Syrien alleine habe mehr als 13 Millionen Menschen zur Flucht gezwungen. Vielen von ihnen droht der Welthungerhilfe zufolge eine Hungerkrise.

Rückkehr immer schwieriger

Gleichzeitig können laut Grandi immer weniger Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren, weil Konflikte wie in Syrien sehr lange andauern. Seien in den 1990er Jahren noch durchschnittlich pro Jahr 1,5 Millionen Menschen nach einer Flucht zurück nach Hause gelangt, sank diese Zahl im vergangenen Jahrzehnt auf 385.000.

Unter den Menschen auf der Flucht befinden sich den Angaben nach knapp 46 Millionen Binnenflüchtlinge: Sie versuchen sich innerhalb des eigenen Landes vor Gewalt und Repression in Sicherheit zu bringen. Knapp 30 Millionen Kinder, Frauen und Männer suchten als Flüchtlinge Schutz außerhalb ihrer Heimatländer. Rund vier Millionen Menschen befinden sich den Angaben nach in einem Bewerbungsverfahren für Asylschutz in einem fremden Land. (epd/mig) Leitartikel Panorama

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