Demnstration, Corona, Protest, Demo, Maske
Demonstration gegen Corona-Einschränkungen

Interview mit Julia Bernstein

Judensterne auf Anti-Corona-Demos verharmlosen Schoah

Angesichts antisemitischer Tendenzen in der Protestbewegung gegen Corona-Beschränkungen fordert die Frankfurter Antisemitismus-Forscherin Julia Bernstein im Gespräch eine breite Solidarität mit Juden in Deutschland.

Von Dienstag, 19.05.2020, 5:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 18.05.2020, 18:01 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Frau Bernstein, auf Demonstrationen gegen die Corona-Auflagen trugen Teilnehmer sogenannte Judensterne mit „nicht geimpft“. Auf einer Kundgebung in Darmstadt wurde ein Plakat mit dem Konterfei des Holocaust-Opfers Anne Frank hochgehalten mit der Inschrift: „Anne Frank wäre bei uns. Nie wieder Diktatur!“ Wie beurteilen Sie solche Formen des Protestes?

Julia Bernstein: Wenn sich ein Anti-Corona-Demonstrant einen „Judenstern“ anheftet, inszeniert er sich selbst als Opfer – und verweigert gleichzeitig die gesellschaftliche Verantwortung, sich mit dem Erbe der Schoah zu beschäftigen. Diese Menschen sehen sich einer bestimmten Situation ausgeliefert und assoziieren sich im Land der Täter mit den Opfern von damals. Damit wird das nationalsozialistische Verbrechen von der eigenen Familie, von Mitläuferschaft und Täterschaft, entkoppelt. Opfer werden für die eigene Sache instrumentalisiert, auf plakative Weise wird die Schoah verharmlost. Was man damit bezwecken möchte, ist einen Verstummungseffekt, eine Empörung.

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Anne Frank steht heute für ein Kind, das in der Schoah ermordet wurde und gleichzeitig für eine junge Frau, die Mut und Widerstand bewiesen hat. Wie bringt man das mit den Protesten zusammen?

Julia Bernstein: Mit Anne Frank mobilisiert man eine starke Symbolik, die starke Emotionen wie Schuld und Scham auslöst. Doch es geht gerade nicht um Anne Frank und um das, was sie und Millionen andere Juden und Jüdinnen erleiden mussten, sondern um die als soziales Engagement präsentierte Angst. Jemand, der so eine Protestform wählt, zeigt sich ziemlich emotions- und teilnahmslos gegenüber jüdischen Opfern oder ihren überlebenden Angehörigen.

Das Zeigen von „Judensternen“, selbst in einem verfremdeten Kontext, ist nicht strafbar. Wie sähe dennoch eine angemessene Reaktion darauf aus?

Julia Bernstein: Ich appelliere an die Solidarität mit Juden in Deutschland, indem man über die Absurdität dieser Aktionen aufklärt und spricht. Wichtig ist, dass auch auf der Ebene der Bundesregierung eine klare Stellungsnahme dazu folgt. Und man sollte die Demonstranten nicht pathologisieren und sagen: „Das sind doch bloß Verrückte!“ Wir alle tragen eine gesellschaftliche Verantwortung für solche Aktionen, denn sie sind nur zu verstehen im Kontext einer kollektiven Sehnsucht nach einer unbelasteten deutschen Identität. (epd/mig) Aktuell Interview Panorama

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