Flashmob, Demonstration, Grenzschutz, Flüchtlingspolitik
Flashmob in Dresden © twitter/@_Seebruecke_

"EU-Schande"

Forderungen nach Flüchtlingsaufnahme werden immer lauter

Die Forderungen nach einer Aufnahme von Flüchtlingskindern aus Griechenland mehren sich, doch die Bundesregierung bleibt hart. Sie will keinen Alleingang Deutschlands und fokussiert ihre Bemühungen mit auf den EU-Grenzschutz. Deutsche befürworten EU-weite Verteilung.

Montag, 09.03.2020, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 08.03.2020, 15:42 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Angesichts der Lage an der griechisch-türkischen Grenze und der Situation in griechischen Flüchtlingslagern geht in Deutschland die Diskussion um eine Aufnahme zumindest besonders schutzbedürftiger Kinder weiter. Bundesweit demonstrieren Menschen. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler (SPD), forderte schnelle Hilfe. „Ein neues Schutzprogramm für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge oder chronisch kranke Kinder ist auch aus meiner Sicht nötig“, sagte sie der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Um die Lage an der EU-Außengrenze zu beruhigen und um die Einhaltung der Menschenrechte sicherzustellen, müsse unverzüglich gehandelt werden.

Kritisch ist aktuell vor allem die Lage auf den griechischen Inseln in der Ostägäis, wo mehr als 40.000 Flüchtlinge unter schwierigen Bedingungen in Lagern leben. Die Grünen beantragten vor diesem Hintergrund, 5.000 besonders schutzbedürftige Menschen nach Deutschland zu holen. Der Antrag wurde am Mittwoch im Bundestag mit 495 Gegenstimmen abgelehnt. 117 Abgeordnete stimmten dafür.

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Kinderschutzbund: Schande für die EU

Als Menschenrechtsbeauftragte finde sie es „beschämend, dass die EU-Staaten es bisher versäumt haben, ein funktionierendes gemeinsames europäisches Asylsystem zu entwickeln“, sagte Kofler weiter. Darin liege das eigentliche Problem.

Auch der Kinderschutzbund forderte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) dazu auf, eine Lösung für die gefährdeten Kinder zu finden. Die Organisation verwies auf das Angebot von Kommunen und Städten, bis zu 500 unbegleitete Minderjährige aufzunehmen. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) und die Oberbürgermeister von sieben Städten erneuerten dieses Angebot am Freitag eindringlich. Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers sagte, die Zustände im Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos seien „eine Schande für die Europäische Union“.

Maas: Deutschland hinter Griechenland

Die Bundesregierung blieb am Freitag allerdings bei ihrer Ablehnung einer Aufnahmeinitiative in Deutschland. Seehofer will sich um eine europäische Lösung bemühen. Sprecher von Innen- und Außenministerium bekräftigten zudem erneut, dass es zunächst „geordnete Verhältnisse“ an der griechischen Grenze geben müsse.

Die Behörden versuchen dort, Migranten am Grenzübertritt zu hindern, auch mit dem Einsatz von Tränengas. Die Bundesregierung stellt sich hinter das Vorgehen Griechenlands. Er gehe davon aus, „dass das alles verhältnismäßig und auch sehr angemessen geschieht“, sagte Außenminister Heiko Maas (SPD) am Freitag im Deutschlandfunk.

Regierung kommentiert Asylrecht nicht

Nach Angaben eines Innenministeriumssprechers hat die griechische Regierung über die EU-Grenzschutzagentur Frontex mehr Personal zum Schutz der Grenze angefordert. Die Regierung in Athen hatte angekündigt, einen Monat lang keine Asylbegehren an der Grenze anzunehmen.

Inwieweit das mit den Grundsätzen des Asylrechts der EU vereinbar ist, wollte die Bundesregierung derweil nicht bewerten. „Hüterin der Verträge“ sei die EU-Kommission, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Der Innenministeriumssprecher betonte, dass auch Deutschland die Griechen beim Grenzschutz unterstützen wolle. Zudem sei beim EU-Innenministertreffen verabredet worden, die Zusammenarbeit zwischen EU und Türkei in diesem Punkt „stabilisieren“ zu wollen. Vom Aufbau eines geregelten Asylverfahrens an der EU-Grenze war derweil nicht die Rede.

Umfrage: Mehrheit befürwortet EU-weite Verteilung von Flüchtlingen

Eine Mehrheit der Deutschen spricht sich indessen für eine Verteilung der Schutzsuchenden auf die Länder der EU aus. Mehr als jeder zweite Bundesbürger (57 Prozent) befürwortet, dass die Flüchtlinge die Grenze zu Griechenland überqueren dürfen und anschließend auf die EU-Staaten aufgeteilt werden, wie eine repräsentative ARD-Umfrage ergab. 41 Prozent stimmen dieser Aussage eher nicht zu.

In der Frage, ob Deutschland bei der Aufnahme von Flüchtlingen mit gutem Beispiel vorangehen sollte, sind die Bürger gespalten. 48 Prozent sagen, Staaten wie Deutschland und Frankreich sollten Flüchtlinge aufnehmen, auch wenn sich andere EU-Staaten dagegen aussprechen. 49 Prozent hingegen stimmen dieser Aussage nicht zu.

Demos für Aufnahme von Flüchtlingen

Tausende Menschen haben am Wochenende in zahlreichen Städten gegen die EU-Flüchtlingspolitik protestiert. So forderten sie beispielsweise in Hamburg und Berlin die Aufnahme von Flüchtlingen von der türkisch-griechischen Grenze. Die Stadt habe genug Platz, um weitere Geflohene in Not aufzunehmen, sagte der Sprecher des Bündnisses „Seebrücke“, Christoph Kleine, am Samstag in Hamburg. Pro Asyl rief die Bundesregierung auf, die Verletzungen der Flüchtlingsrechte in Griechenland und der Türkei anzuerkennen und entsprechend zu handeln. Seit Tagen gehen Tausende Menschen in zahlreichen Städten Deutschlands gegen die EU-Flüchtlingspolitik auf die Straße.

Viele Flüchtlinge auf der griechischen Insel Lesbos hätten Krieg, Folter und Misshandlung erlebt, berichtete die Ärztin Verena Atabay, die auf Lesbos gearbeitet hat. Minderjährige lebten allein in Zelten in Kälte und Nässe. Atabay: „Wir dürfen diese Menschen nicht im Stich lassen.“ Viele Flüchtlinge würden Fähigkeiten mitbringen, die in Deutschland gefragt seien. Heiko Habbe von der Beratungsstelle „Fluchtpunkt“ kritisierte, die EU-Außengrenze würde keine Feinde, sondern notleidende Menschen abwehren. „Ich schäme mich für dieses Europa.“ (epd/mig) Leitartikel Politik

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  1. Duane Henderson sagt:

    Es ist unglaublich, wie ein reiches Land wie Deutschland dermaßen hartherzig handelt. Als ob es auf die paar Flüchtlinge ankommt. Der Steuerzahler wird deshalb nicht ärmer. Ich verstehe nicht, wie hier Teil der CDU (Brinkhaus u.a.) querschießen können.

  2. Kronenberg Maria sagt:

    Tun wir uns zusammen und nehmen selbst Flüchtlinge auf. Mit dem NesT-Programm bietet die Bundesregierung ein winziges legales Schlupfloch.