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Ali Baş © Zeichnung: MiG

Der projizierte Muslim

Antimuslimischer Rassismus bei Wahlen

Unsere Rathäuser und Parlamente werden diverser. Bewerbungen von Menschen mit Einwanderungsgeschichte geraten da immer öfter ins Rampenlicht. Wenn die Kandidierenden - ob religiös oder nicht - und auch noch irgendetwas mit dem Islam zu tun haben könnten, werden sie nicht selten zu Projektionsflächen für Misstrauen und Hass.

Von Donnerstag, 05.03.2020, 5:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 04.03.2020, 16:51 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

In diesem Jahr sind in mehreren Bundesländern Kommunal- und Landtagswahlen, dazu laufen bereits die Vorbereitungen für die Bundestagswahl 2021. Die politischen Parteien bemühen sich nach Kräften, genügend Interessierte zu finden, die vor Ort die Politik mitgestalten sollen. Dabei dürften sich auch mehr Menschen mit Einwanderungsgeschichte als sonst um einen Sitz im Rathaus bewerben. Manche bewerben sich sogar um das Bürgermeisteramt. Die Ereignisse der vergangenen Monate geben hierbei schon mal einen kleinen Vorgeschmack auf das, was in der nächsten Zeit noch bevorstehen könnte.

Der Eklat von Wallerstein

Das bayerische Örtchen Wallerstein erlangte zweifelhafte Berühmtheit, nachdem der Unternehmer Şener Şahin dort für die CSU als Bürgermeisterkandidat kandidieren wollte und sich eine eiskalte Abfuhr der Parteibasis abholen musste. Einzige Begründung für die Ablehnung: sein muslimischer Glaube. Şahin müsste eigentlich ein Traumkandidat sein. Er ist Arbeitgeber, zahlt nicht zu knapp Steuern und ist wahrscheinlich kaum religiöser als der Wallersteiner Durchschnitt. Selbst der Umstand, dass der Bewerber eine katholische Ehefrau hat, ließ man nicht gelten. Seine Religion hat Şahin nicht thematisiert. Warum sollte das auch anders sein, als bei anderen Bewerbungen? Zu unmöglich erschien es aber großen Teilen der örtlichen Parteibasis, dass ein Kandidat mit bayerischen, türkischen und muslimischen Hintergründen im Rathaus regieren könnte.

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Trotz Bemühungen der Parteispitze aus München zog sich Şahin frustriert zurück. Die bayerischen Christsozialen haben seitdem einen gewaltigen Imageschaden als Hort der Ausgrenzung und islamophober Hinterwäldler. Die Wallersteiner CSU verzichtete lieber ganz auf eine Kandidatur.

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Hybride Identitäten in Neufahrn

Da kam die Meldung aus Neufahrn, wo der türkeistämmige CSU-Lokalpolitiker Ozan Iyibaş zum Bürgermeisterkandidaten gewählt wurde, fast zeitgleich hinterher. Iyibaş hat ähnlich wie Şahin seinen Glauben nie zum großen Thema gemacht. Als Sohn einer alevitischen Familie, der auch schon mal zum Beten in die Kirche geht und sich nach eigener Aussage zu christlichen Werten bekennt, ist Iyibaş nicht so einfach zuzuordnen.

In Zeiten der Globalisierung und hybrider Identitäten ist das durchaus etwas Normales. Für viele heimische Medien ist das aber wohl alles viel zu komplex gewesen und so wurde Ozan Iyibaş mal eben zur perfekten Projektion eines „muslimischen Bürgermeisterkandidaten“, auch wenn dieser sich lieber als „voll bayerisch und voll deutsch“ bezeichnet. Nach der Blamage von Wallerstein musste für die CSU das muslimische Label wie ein Gütesiegel glänzen, um ein heikles Thema erstmal bis zur Kommunalwahl im März 2020 auf Eis zu legen. Ob sich die Partei mit dem antimuslimischen Rassismus einiger ihrer Mitglieder auseinandersetzen möchte, ist allerdings noch nicht bekannt.

Iyibaş hat in Interviews von eigenen Erfahrungen mit Diskriminierung in seiner Partei gesprochen und erwartet von dieser mehr als bloße Lippenbekenntnisse: „Dass man ‚noch nicht so weit sei‘, ist eine faule Ausrede.“ so sein Kommentar.

Hass und Beschimpfungen bei der OB-Wahl in Hannover

„In den nächsten Monaten werden mehr Kandidierende mit Einwanderungsgeschichte in unsere Räte und Landesparlamente einziehen. Ob sie privat in eine Moschee, ein Cem-Haus, eine Kirche oder Synagoge gehen bzw. nirgendwo hin sollte in einer pluralen Gesellschaft keine Besonderheit mehr sein, im Gegensatz zu Rassismus, der immer und überall angesprochen und verurteilt gehört.“

In Hannover hat Belit Onay (Grüne) als neu gewählter Oberbürgermeister die erste große Aufmerksamkeitswelle bereits hinter sich. Neben der großen Freude, dass die niedersächsische Landeshauptstadt jetzt einen OB mit Einwanderungsgeschichte hat, gesellte sich aber auch hier Hass und Misstrauen aus rechtsextremen Kreisen im Netz, in einigen Fällen aber auch aus der türkeistämmigen Community selbst:

„Entweder man wird diffamiert, weil man türkischstämmig ist – und damit gleich Islamist oder Erdogan-Anhänger. Oder man ist linksextrem. Es sind rassistische Kommentare dabei, aber auch Kommentare aus identitären Kreisen – sowohl aus Deutschland wie auch aus der Türkei.“ so der neue Oberbürgermeister kurz nach seiner Wahl. Zum Glück sind diese Stimmen eine sehr kleine Minderheit, dafür aber eine unangenehm aggressive. Die vielen Solidaritätsbekundungen für Onay aus Politik und Gesellschaft in den Tagen darauf zeigten deutlich, dass viele Menschen keinen Bock auf die zerstörerische Polarisierung von rechts haben. Diese Signale machen Mut.

Warnendes Beispiel Österreich

Ein Blick über die Grenze nach Österreich zeigt, wie krass ein projiziertes Feindbild Muslim hochkochen kann. So ergoss sich über Österreichs erste Ministerin mit bosnischer Zuwanderungsgeschichte, Alma Zadić (Grüne), schon Tage vor der offiziellen Angelobung als Mitglied der neuen türkis-grünen Regierung ein Schwall übelster antimuslimischer, rassistischer und sexistischer Hetze aus dem Umfeld der rechtsextremen FPÖ, die bis zum Ibiza-Skandal im Sommer 2019 Teil der ersten Kurz-Regierung war.

Sätze wie „Eine kriminelle Muslima wird Justizministerin. Da kommt dann bald die Scharia“ und „Jetzt bekommen Ausländer Ministerposten – der Untergang“ sind hier noch die „harmloseren“ Hasstiraden gewesen, die bis zu Morddrohungen reichten.

Interessant waren die ersten Reaktionen aus der Politik. So bemerkte Zadićs Partei anfangs, dass sie keine Konfession habe, was aber den tobenden rechten Mob wenig interessiert haben dürfte. Regierungschef Sebastian Kurz (ÖVP) irritierte mit der Aussage „Ich bin optimistisch, dass Alma Zadic das aushält. Das muss man in der Politik.“ und verwies im selben Atemzug auf Attacken aus linken Kreisen gegen ihn vor dem Hintergrund seiner Aussagen zur Seenotrettung von Geflüchteten.

Die österreichische Journalistin Martina Marx bemerkte hierzu passend in einem Kommentar: „Hatespeech ist ein Problem, das wir nicht durch ‚aushalten‘ lösen werden. Und Angriffe, die aufgrund von Herkunft, Geschlecht oder Religion geäußert werden, muss sich kein_e Politiker_in gefallen lassen. Auch Sebastian Kurz nicht.“

Via Twitter hieß es von Kurz später sehr allgemein: „Wir werden konsequent gegen Hass im Netz vorgehen – egal ob von links, islamistisch oder rechts. Alma Zadić & alle anderen, die davon betroffen sind, haben meine volle Unterstützung.“ Ähnlich äußerte sich Kabinettskollegin Susanne Raab (ÖVP/Integration), die erklärte, „dass Hass im Netz und im Speziellen Hass gegen Frauen, die in Österreich gut integriert sind und sich für ein harmonisches Zusammenleben einsetzen, absolut keinen Platz hat“.

Rassismus offen benennen

Das Wort Rassismus (hier auch antimuslimischer Rassismus) liest man da nicht, dabei wäre es notwendig gewesen, die rassistischen Angriffe von rechts klar zu benennen und zu verurteilen. In Zeiten der Abgrenzung gegenüber extremen Parteien wie AfD und FPÖ muss das für sämtliche demokratischen Kräfte selbstverständlich sein, konservative inklusive.  Die österreichische Debatte ist ein Lehrstück für ähnliche Diskussionen nach der kommenden Bundestagswahl in Deutschland. Sollten sie aufkommen, muss dem entschieden was entgegengesetzt werden.

In den nächsten Monaten werden mehr Kandidierende mit Einwanderungsgeschichte in unsere Räte und Landesparlamente einziehen. Sie bringen frischen Wind und eigene Erfahrungen in die Demokratie vor Ort und wollen das gesellschaftlich-demokratische Leben mitgestalten. Ob sie privat nun in eine Moschee, ein Cem-Haus, eine Kirche oder Synagoge gehen bzw. nirgendwo hin sollte in einer pluralen Gesellschaft keine Besonderheit mehr sein, im Gegensatz zu Rassismus, der immer und überall angesprochen und verurteilt gehört. Meinung

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