Clara Herdeanu, Kolumne, MiGAZIN, Sprachrealität, Sprache

Sprachrealität

Terminologie zum Terrorismus in Hanau

Nach dem schrecklichen Terroranschlag in Hanau sprechen Politiker und Medien teilweise von "Fremdenfeindlichkeit", "Tragödie" oder sogar von "Shisha-Morden". Ein linguistischer Kommentar

Von Freitag, 21.02.2020, 15:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Freitag, 28.01.2022, 15:11 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Hanau, 19.02.2020: Ein Mann erschießt neun Menschen in einer Bar und einem Kiosk. Sein Weltbild: eindeutig rechtsextrem.

In den Medien, den sozialen Netzwerken, der Öffentlichkeit und der Politik versuchen seitdem die Menschen in Deutschland sich selbst und anderen das Morden zu erklären. Aufschlussreich sind die Formulierungen, die dabei auftauchen – sei es, weil sie bewusst gewählt oder unbedacht geäußert werden. Denn nicht nur das bewusste Auswählen von Wörtern gewährt Einblicke in das Weltbild. Auch und gerade das etwaige unbedachte Reden und Schreiben zeigt auf, wie gedacht wird. Welche Spuren des Denkens offenbaren also folgende Formulierungsbeispiele?

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Fremdenfeindlich

„(gesehen zum Beispiel in der Westdeutschen Zeitung vom 20.02.2020)“

Das Gehirn denkt in Assoziationen und Analogien – und seien es auch nur rein lautliche Parallelen wie „freundlich“ und „feindlich“; lediglich drei Buchstaben trennen diese zwei Wörter. So schwingt bei „feindlich“ im Verstehensprozess lautlich assoziativ das „freundlich“ mit – und nimmt dem Ausdruck dadurch auch die Schwere.

Der viel wichtigere Punkt ist aber der, dass Menschen, die nicht dem eigenen Bild und Äußerem des Deutschen entsprechen immer noch als „Fremde“ gelten. Und das, obwohl wir seit Jahrzehnten und zum Teil bereits in zweiter, dritter Generation in diesem Land leben.

Fakt ist: „(J)ene, die starben, sind Teil unserer Gesellschaft. Sie wurden lediglich vom Täter als Fremde markiert“, wie dies die Journalistin Ann-Kathrin Büüsker im Deutschlandfunk korrekt betont.

Tragödie

(gesehen zum Beispiel im Tweet von Ursula von der Leyen vom 20.02.2020)

Auch wenn es eigentlich gut gemeint war, greift die Wortwahl „Tragödie“ von Frau von der Leyen in diesem Fall zu kurz und damit daneben. Ein Herzinfarkt, eine Naturkatastrophe, ein unverschuldeter Unfall – all das können Tragödien sein. Mord ist allerdings in erster Linie ein Mord. Wer in solch einem Fall nur von einer „Tragödie“ redet, spart aus, dass es sich um die geplante und bewusste Tat eines Menschen gehandelt hat, der anderen Menschen ganz bewusst Leid zufügen wollte.

Shisha-Morde

(gesehen zum Beispiel im FOCUS vom 20.02.2020 – mittlerweile abgeändert zu „Bluttat“)

Der Ausdruck „Shisha-Morde“ haut in die gleiche Kerbe wie die unsägliche Formulierung „Döner-Morde“ für die Verbrechen des NSU – eine furchtbare Banalisierung und Clickbaitisierung des Geschehens. Als ob Shishas oder Döner für solche Taten in irgendeiner Art und Weise entscheidend gewesen wären.

Warum tauchen diese für das Motiv und die Tat absolut irrelevanten Objekte überhaupt auf? Es lässt sich nicht anders erklären, als dass selbst hier eine Stereotypisierung der Opfer vorgenommen wird – perfide ist, dass ihnen damit sprachlich indirekt die Singularität und Individualität abgesprochen wird und sie nur noch als stereotype Repräsentanten einer von außen an sie herangetragenen Kategorie gelten. Schubladendenken at its best!

Der FOCUS änderte den betreffenden Titel zwar mittlerweile ab, greift aber erneut daneben; denn die neue Überschrift „Elf Tote nach Schüssen: Hanau unter Schock: Erste Bilder nach Bluttat“ verschweigt komplett das ausschlaggebende rassistische Motiv.

Sagen, was ist: Terrorismus

Bereits diese kurzen Erklärungen zu ausgewählten Beispielen machen deutlich: Es ist nicht egal, wie wir über Sachen reden. Mit jeder Aussage deuten wir. Diese ernsten Stunden lehren außerdem, dass wir dieses Gewaltverbrechen nicht sprachlich relativieren und verharmlosen dürfen. Relativierungen und das Verschweigen des Motivs tragen dazu bei, Rassismus gesellschaftsfähig zu machen.

Spätestens nachdem mit dem Manifest und Videoaufnahmen die Belege für das rassistische Denken des Täters offenkundig waren, ist klar: Wir sollen und müssen sagen, was ist: Motiviert von Rassismus hat ein Mann in Deutschland unschuldige Menschen ermordet. Und „Straftaten (…), die mit der Absicht begangen werden, den Tod (…) zu verursachen(…), die mit dem Ziel begangen werden, die ganze Bevölkerung, eine Gruppe von Personen oder einzelne Personen in Angst und Schrecken zu versetzen“ nennen die Vereinten Nationen schlichtweg „Terrorismus“.

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  1. Almando Muzsurat sagt:

    Rechts-Terrorismus als solches zu bennen war bereits in den 90ern seitens deutscher Politiker nach den Nazi-Anschlägen in Solingen, Mölln, Lübeck, Rostock-Lichtenhagen etc. nicht machbar. In den letzten Jahren konnte man in Deutschland auf Moscheen, türkische Einrichtungen und Geschäfte verübte Anschläge nahezu ausnahmslos nur in auf deutscher Sprache erscheinenden türkischen Medien nachverfolgen, deutschen Medien waren solche Erscheinungen kaum eine Nachricht Wert. Zudem waren und sind deutsche Medien und Politiker eher mit der latenten Suche von angeblichen Menschenrechts-, Rechtstaatlichkeits- und Demokratiedefizite in der Türkei beschäftigt statt etwas nach Rechts bzw. vor ihre eigenen Füße in eigenr Sache zu schauen: Man liest in deutschen Medien täglich eher 10 „Erdogan sagte dies oder machte das Nachrichten“ als über das menschenverachtende Treiben der sogar in 92-facher Ausführung im Bundestag sitzenden Hass- und Hetz-Politiker. Wen wundert das alles? Was hat sich denn nach den vertuschten NSU-Serienmorden geändert oder nach der Ermordung Lübckes oder dem Abschlag in Halle, dass man nun erwartungsvoll auf „Besserung“ hofft? Nichts wird sich ändern. Berühmte Online News-Portale berichten in der bekannten schlecht gespielten Empörungs-Manier über Angebliches in der Türkei, verschweigen aber, dass es in Stuttgart nach Hanau wieder einen Anschlag gegeben hat. Frage: Weshalb werden in Deutschland existente Gesetzte nicht umgesetzt, wenn AfD-Politker volksverhetzerische Äußerungen tätigen oder Aktionen straten, wie das rassistische Malbuch? Und was ist deutschen politikern und Medien wichtiger: Imageverlust im Ausland oder auf Menschenrechte basierende Gerechtigkeit in Deutschland? Spätestens nächste Woche ist dieses Thema wieder aus den Schlagzeilen und wer Näheres wissen möchte über Anschläge auf Moscheen, rassitische Gewaltakte etc. etc. der sollte dann die auf deutsch erscheinenden türkischen Online News Medien verfolgen. Man versteht in Deutschland nicht, wie es sich von türkischer Seite anfühlt, wenn man im NSU-Serienmorde mit 8 türkischen Terroropfern durch staatliches Wegschauen ermöglichenden und vertuschenden Deutschland, wo gegen Türken, Migranten und Muslime gerichtete volksverhetzerische Attacken straffrei bleiben, lieber Defizite bezüglich Demokratie, Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit in der Türkei sucht aber die eigenen diesbezüglichen gravierenden Defizite weder benennent noch behebt.

  2. Ute Plass sagt:

    Dass Sprache Wirklichkeiten zum Ausdruck bringt und schaffen kann, dafür gilt es sich zu sensibilisieren. D.h. auch, dass die ‚Kulturtechnik‘ von konstruktiver Kommunikation frühestmöglich in allen Bildungseinrichtungen gelehrt und gelernt werden muss. Das hilft sehr beim Wahrnehmen und Erkennen von eigenen Denkmustern und den, meist, daraus abgeleiteten Handlungen.
    Sprachanalysen bedürfen natürlich der Einbeziehung des Kontextes,
    in dem kommuniziert wird, um der Wortwahl, und der damit verbundenen Aussage-Absicht von Menschen auf den Grund gehen zu können.
    Ein wenig wundert mich die Strenge der Linguistin bezüglich ihrer Kritik an dem Ausdruck „Tragödie“.