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MiGAZIN Kolumnist Sven Bensmann © privat, Zeichnung MiG

Nebenan

Sie ist wieder da!

In Thüringen haben Union und FDP klargemacht, dass es längst größere Überschneidungen zwischen den "Konservativen", den "Liberalen" und den Faschisten gibt. So hat es in Deutschland schon einmal angefangen.

Von Dienstag, 11.02.2020, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 10.02.2020, 12:30 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Die AfD, das hat die letzte Woche gezeigt, ist eine ganz normale bürgerliche Partei. Nicht, dass ich das irgendwie guthieße, ganz im Gegenteil: Das Prädikat „bürgerlich“ ist nur einfach nichts wert, denn als Sammelbegriff für Menschen, die gern einen Zaun um ihren Grund ziehen – das ist dieser Tage offensichtlicher als je zuvor in der Ära der Bundesrepublik. Die Ministerpräsidenten-Wahl Kemmerichs in Thüringen hat schließlich gezeigt, dass die AfD nicht mehr als neuer Lebensraum für die Rechtsradikalen von CDU und FDP ist, natürlich vor allem im Osten.

Man muss jedenfalls nicht erst auf den Naumann-Kreis altgedienter Nazis in der FDP zurückgreifen, schon vor nicht allzu langer Zeit war ein Vertreter dieser völkischen Denkrichtung in der Spitze der FDP. Und auch wie Lindner seine Partei seit der Bundestagswahl neu auf Klimaleugner und Fleischextremisten ausgerichtet hat, war dies nicht weniger als ein Anbiedern an die Klientel der AfD. Die Wortmeldungen der FDP und der AfD zum Thema Fridays for Future lassen sich jedenfalls auch mit der Lupe kaum unterscheiden.

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Jetzt ist sie also wieder da: Als der blaugelbe Zug der Opportunisten vor zwei Jahren ganz abrupt stoppte und sein Häuptling den völlig verdutzten Journalisten erklärte, „es sei besser, gar nicht zu regieren, als falsch zu regieren“, rieben sich Wähler deutschlandweit die Augen: Das war nicht mehr die Umfaller-Partei, die sie gewählt hatten. Jetzt ist die FDP jedenfalls wieder umgefallen, hat jede Abgrenzung zu Faschisten ihrem unbedingten Willen zur Macht untergeordnet und ebenjene Macht ergriffen.

Um die CDU steht es dabei natürlich auch nicht besser. Dass Vertreter einflussreicher Interessenverbände spontan ins Höschen ejakulierten, als sie hörten, dass eine breite Koalition aus CDU, FDP und AfD einen gemeinsamen Ministerpräsidenten gewählt hatten, zeigt, dass die Faschisten, oder zumindest deren Sympathisanten, auch in der Union weiterhin zahlreich sind. Dass sich die Union so stets als Partei des Rechtsstaats geriert, und immer noch insinuert, damit das Recht und etwa nicht die Rechten zu meinen, ist inzwischen allerdings mehr als unglaubwürdig. Law and Order – das war einmal. Jetzt heißt es wohl eher: Law und/oder.

„Der Damm ist höchstens notdürftig geflickt und schon beim nächsten Mal wird der Aufschrei deutlich geringer ausfallen, weil es ja schon einmal da war.“

Die gespielte Empörung im Konrad-Adenauer-Haus ist dabei besonders unglaubwürdig. Längst ist bekannt, dass die Parteien in Thüringen in ständigem Austausch mit Berlin standen. Und die Wahl Kemmerichs in gemeinsamer Sache mit den Faschisten ist genau das, was die extreme Rechte seit mehreren Jahren als Strategie betreibt: Ein kalkulierter Tabubruch, den man im Anschluss weitgehend ohne Konsequenzen zurücknehmen kann.

Wie stark die Gegenreaktion sein würde, war jedoch falsch kalkuliert worden – nach all den Tabubrüchen vom „Vogelschiss“ bis zu „letzte Patrone“ an der Grenze war das aber auch kaum noch zu erwarten. Der Schlingerkurs der Union zwischen demokratischen Bürgern und Faschistenkuschlern, der noch heute kein so richtiges Ende genommen hat, zeigt, dass der AfD-Flügel innerhalb der Union offensichtlich nicht mehr einfach übergangen werden kann, auch nicht von der Parteichefin.

Die Behauptungen, diese Öffnung zur AfD in Thüringen sei ein „Dammbruch“ ist daher eine Untertreibung und eine Übertreibung zugleich. Union und FDP haben klargemacht, dass es längst größere Überschneidungen zwischen den „Konservativen“, den „Liberalen“ und den Faschisten gibt. So hat es in Deutschland schon einmal angefangen: Vorläufer von CDU und FDP haben sich seinerseits bereits der NSDAP als Steigbügelhalter und Legitimationshilfe angedient. Wir stehen vor einer neuen Ära, in die die Faschisten in der AfD ebenso gestärkt hineingehen, wie die Faschisten in CDU/CSU und FDP, trotz der heftigen Gegenreaktion: Der Damm ist höchstens notdürftig geflickt und schon beim nächsten Mal wird der Aufschrei deutlich geringer ausfallen, weil es ja schon einmal da war.

Man kann natürlich weiterhin Hoffnung in die Parteispitzen in Berlin haben, sich glaubwürdig davon zu distanzieren und demokratische Grundwerte für ihre Parteien erfolgreich einzufordern. Dass der blaugelbe Zug der Opportunisten unter Lindner auf demokratischen Grund stehen bleibt, darin habe ich allerdings wenig Vertrauen. Und wohin die CDU nach dem Rückzug von AKK entwickeln wird, ist angesichts einer Presselandschaft, die stets bemüht ist, Friedrich Merz in Amt und würden zu schreiben, auch nicht unbedingt eine offene Frage. Dass die Koalition trotzdem weiter nicht infrage steht, beweist auch, wie weit es mit der Partei gediegen ist, die sich einmal als einzig verbliebene Partei im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz gestellt hatte.

Dass der mit dieser Partei weiter koalieren will, obwohl er schon seit dem Start dieser Koalition nach einem glaubwürdigen Ausweg sucht, beweist auch, wie weit es mit der Partei gediegen ist, die sich einmal als einzig verbliebene Partei im Reichstag gegen das Ermächtigungsgesetz gestellt hatte. Dabei war die Ausgangssituation in den letzten zwei Jahren wohl nie besser für die SPD: Umfragen sagen, dass das Vertrauen in CDU und FDP unter Thüringen stark gelitten hat. Zu glauben, nur die AfD würde davon profitieren, ist ignorant. Das Abo der CDU auf den Kanzlerposten ist derzeit aufgekündigt – wartet die SPD zu lange, wird es rechtzeitig zur neuen Wahl wieder erneuert. Die SPD sollte jetzt ihr Heil in einer Kanzlerin Baerbock suchen – notfalls sogar in einem Kanzler Habeck. Meinung Politik

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  1. Ute Plass sagt:

    Bedenkenswert, was die Historikerin Schlotheuber zum Erfurt-Weimar-Vergleich sagt: https://www.nachdenkseiten.de/?p=58373#more-58373

    Die Abgrenzungsrhetorik der CDU soll von von dem ablenken, was hier
    thematisiert wird: „Die CDU verheddert sich in ihren Lebenslügen“
    https://www.nachdenkseiten.de/?p=58373#more-58373

  2. balaban sagt:

    „Es ist Geschehen und folglich kann es wieder Geschehen“
    Primo Levi, Überlebender Ausschwitz.

    zur aktuellen FDP:
    https://www.pyak.eu/warum-die-fdp-fur-pro-europaer-und-weltoffene-sozialliberale-unwahlbar-ist/

  3. Peter Enders sagt:

    Ich stimme zu, dass sich die beiden derzeitigen SPD-Vorsitzen noch nicht so gezeigt haben, dass ich ihnen die Kanzlerschaft zutraue – aber Baerbock oder Habeck?? Besser als Merkel, von der mir Niemand sagen kann, was sie als Politikerin gut und richtig gemacht hat, sind sie, doch das das sind jene Zwei auch. – Solche Artikel müssten die Massenmedien beherrschen!