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Suitbert Cechura © privat, Zeichnung: MiG

Flüchtlingspolitik

Es war nur eine weihnachtliche Humanitätsattacke

Kurz vor Weihnachten forderten Habeck und Pistorius die Aufnahme von Kindern aus griechischen Flüchtlingslagern. Nach Weihnachten war davon keine Rede mehr. Dabei stehen die kalten Tage noch bevor.

Von Montag, 13.01.2020, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 17.09.2020, 15:31 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Kurz vor Weihnachten rückten Robert Habeck (Grüne) und Boris Pistorius (SPD) das Elend der griechischen Flüchtlingslager ins Licht der Öffentlichkeit und forderten die Bundesregierung auf, Kinder und Jugendliche aus diesen verschlammten, unhygienischen, kalten Notunterkünften herauszuholen. Nach Weihnachten dann: business as usual!

Wer regelmäßig Zeitung liest oder die Nachrichten verfolgt, konnte schon lange wissen, wie es um diese Lager – etwa auf der Insel Lesbos – bestellt ist: Zehntausende leben dort im nackten Elend, in Zuständen, die schlichtweg „inakzeptabel“ sind (so der deutsche Caritas-Chef). Bei dem Vorschlag, nun plötzlich 4.000 Kinder aus dem Elend nach Deutschland ins Warme zu holen, drängte sich also gleich der Verdacht auf, dass die Aktion mehr mit dem nahenden Weihnachtsfest als mit den menschenunwürdigen Lagern auf den Ägäis-Inseln zu schaffen hatte.

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„Offenbar wollten sich beide Politiker angesichts des nahenden Festes als Humanisten profilieren, wobei sich der Einsatz für Kinder natürlich immer gut verkaufen lässt.“

Denn größeren Protest gegen die dortigen Zustände, die Minderjährigen und Erwachsenen zu schaffen machen, hatte man bisher weder von den Grünen noch von den regierenden Sozialdemokraten vernommen. Zudem ist die Dublin-II-Regelung der EU, die dafür sorgt, dass Flüchtlinge in dem europäischen Land zu verbleiben haben, in dem sie zuerst anlanden (wobei sie von Deutschland auch jetzt immer noch dahin wieder abgeschoben werden), von Vertretern der damaligen rot-grünen Koalition vereinbart worden.

Ihr Kinderlein kommet…

Offenbar wollten sich beide Politiker angesichts des nahenden Festes als Humanisten profilieren, wobei sich der Einsatz für Kinder natürlich immer gut verkaufen lässt. Mit ihrer Forderung, eine streng begrenzte Anzahl nach Deutschland zu holen, machten sie gleichzeitig deutlich, dass sie an der „unhaltbaren“ (Habeck) Situation in den Lagern für die verbleibenden Flüchtlinge nichts ändern wollten. Ihr Einsatz angesichts der unerträglichen Zustände auf den Inseln war mehr symbolischer Natur, was NRW-Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) auch gleich aufspießte: „Auf keinen Fall darf man ausschließlich Kinder nach Deutschland holen“, sagt er der „Süddeutschen Zeitung“, „die würde man dann ja von ihren Familien trennen.“

Soll Deutschland Kinder und Jugendliche aus griechischen Flüchtlingslagern nach Deutschland holen?
    Ja, unbedingt. (50%)
    Nein, auf keinen Fall. (43%)
    Es gibt Gründe dafür und dagegen. (8%)
     
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    Auch ein alter Polithase wie der Innenminister Horst Seehofer (CSU) ließ sich von der Humanitätsattacke natürlich nicht beeindrucken. Er deckte sofort die vorweihnachtliche Inszenierung auf und wies überhaupt das Anliegen zurück, da es „nicht hilfreich“ sei. Damit meinte er nicht, dass es keine Hilfe biete, um die Situation von Flüchtlingen zu verbessern; vielmehr sei es nicht hilfreich in Bezug auf die Installation einer europäischen Flüchtlingspolitik. Für diese Notlage der deutschen Politik, dass sie keine gemeinsame Linie festzulegen und durchzusetzen vermag, dienen nämlich die unhaltbaren Zustände in den Flüchtlingslagern als Beleg. Und die Flüchtlinge sind das Material, um Staaten an den Pranger zu stellen, die sich einer solchen Politik verweigern.

    Konzentrieren, sortieren

    Dabei geht es darum, die Grenzsicherung der europäischen Außengrenzen in die Zuständigkeit der EU und ihrer Grenztruppe Frontex zu verlagern, was einen Souveränitätsverlust für die Grenzstaaten bedeuten und Deutschland Einfluss in dieser Frage verschaffen würde. Ziel ist es, die Grenzen dichter zu machen und die dennoch ankommenden Flüchtlinge gleich in europäischen Auffanglagern zu konzentrieren und zu sortieren.

    „Die Lage in den Lagern hat sich zwar nicht geändert. Aber die Grünen haben sich einmal mehr als die Partei der Werte präsentiert, die SPD hat ihnen – ganz kämpferisch – das Feld nicht allein überlassen…“

    Armut ist kein anerkannter Fluchtgrund und so könnte man diejenigen, die keine Aussicht auf Asyl haben, gleich wieder abschieben. Das ist vom europäischen Standpunkt aus eben die beste Hilfe für Flüchtlinge: dass sie gleich einsehen, keine Chance zu haben, nach Europa zu gelangen – und wer es dennoch versucht, wird umgehend abgeschoben. Schon jetzt erfüllen die bestehenden Lager, wenn auch noch nicht lückenlos, die Funktion der Abschreckung. Aus Sicht des Innenministers soll das so lange bleiben, bis eine europäische Lösung gefunden ist. Und da kann Deutschland optimistisch sein, denn im Herbst 2020 übernimmt es den Vorsitz in der EU. Bis dahin werden sich die Flüchtlinge doch wohl in ihrem gewohnten Elend gedulden…

    Sprachrohr der nationalen Politik

    Nach dem Fest ist auch für die Journalisten die Angelegenheit erledigt und sie beweisen einmal mehr, wie sehr sie ihre Aufgabe darin sehen, sich als Sprachrohr der nationalen Politik und ihrer „Herausforderungen“ zu betätigen. Der „Süddeutschen Zeitung“ fällt dazu gleich der passende Kalauer ein, dass in solchen hoheitlichen Fragen die Gesinnungsethik wieder einmal hinter der Verantwortungsethik, also die Herzensgüte hinter den politischen Sachzwängen, zurückzustehen habe.

    Die Lage in den Lagern hat sich zwar nicht geändert. Aber die Grünen haben sich einmal mehr als die Partei der Werte präsentiert, die SPD hat ihnen – ganz kämpferisch – das Feld nicht allein überlassen und der Innenminister ist ganz staatsmännisch mit der Klarstellung hervorgetreten, dass er zuständig ist und dass er die Sache im Griff hat. Damit kann alles bleiben, wie es ist, bis die anderen Länder einknicken. Meinung

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