Nebenan
Klimawetter
Dass in Dresden ein Rechtsextremist mit der Machete auf seinen libyschen Nachbarn losgeht oder in Wächtersbach ein Neonazi auf einen Eritreer schießt, wäre vor einigen Jahren noch der Schocker des Sommerlochs gewesen. Das haben wir aber schon längst überwunden.
Von Sven Bensmann Dienstag, 30.07.2019, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 01.08.2019, 16:03 Uhr Lesedauer: 3 Minuten |
Hachja – der Klimawandel. So wie er sich weltweit im Wetter vollzieht, so vollzieht er sich auch in den Köpfen der Menschen. Dass in Dresden ein Mensch mit der Machete auf einen anderen Menschen losgeht, wohl allein weil man ihm ins Gehirn geschissen hat und die braune Brühe darin gärt, wäre vor einigen Jahren noch der Schocker des Sommerlochs gewesen, ebenso das Selbstmordattentat eines Nazis in Hessen – heute steht es irgendwo auf Seite 4, weit hinter der gefährlichen Umvolkung unserer KiTas durch das Verbot von Schweinefleisch, die in allen Gazetten landauf landab diskutiert wurde. Da sag noch einer, die AfD sei nicht die Partei der extremen Mitte – dass die Mitte inzwischen so extrem weit rechts außen steht, das ist keine Frage.
Während sich die Farbe von Laub und Gräsern also langsam der Farbe der deutschen Gesinnung annähert und das Feuilleton abgelenkt darüber diskutiert, wie schlimm die Wahl Boris Johnsons zum englischen Premier jetzt wohl für Deutschland und die Wirtschaft ist, verdichten die Titelseiten also die deutsche Kultur auf den Verzehr von Schweinefleisch.
Für mich ist das befreiend: Der Konsum von Schweinefleisch als notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung des Deutschseins. Als jemand, der den Verzehr von Schweinefleisch (so wie allen anderen Fleischs) ablehnt, schließt mich das aus. Herrlich: Endlich Nichtdeutscher (tschik-e-tsching derassabumm)!
Dieser eine Schritt zurück und schwupps! das Bild fügt sich schnell zusammen: Nicht „Ihr Ostdeutschen“, „Ihr Deutschen“ seid alle Rassisten. Carola Rackete und Ich – die einzig Anständigen, die übrig sind.
Oder?
Nein, so einfach ist es dann noch nicht. Schweinefleischkonsum als conditio sine qua non schließt noch viel mehr Menschen aus. Nicht nur solche, denen die Zugehörigkeit zum deutschen Volk begehrt ist wie ein Geschwür am After.
Auch wenn der Wunsch des Dazugehörens zu diesem Volk also in sich abstoßend sein mag wie der Wunsch nach jenem Geschwür, liegt für viele der eigentlich Betroffenen doch gerade darin die Crux: Juristisch kann mir niemand mein Deutschsein aberkennen und mich abschieben: meine Identifikation damit, meine Integration sozusagen, kümmert kein Schwein. Wenn ich Deutschsein mit einem Arschgeschwür vergleiche, kriege ich vielleicht Liebesbriefe von Rechtsaußen (Liebesbriefe von Carola wären mir natürlich lieber), stehe aber nichtsdestotrotz unbestritten auf deutschem Boden.
Andere werden aber – und genau darum geht es ja – gezielt ausgeschlossen, und zwar rasiermesserscharf an Religionsgrenzen: Muslime und Juden sind unweigerlich draußen. Und wer draußen ist und trotzdem reinkommt, der kann zumindest nicht dauerhaft bleiben, muss gehen.
Die Schlagzeilen zu den Speiseplänen deutscher KiTas, sie sind eigentlich Teil einer großen antisemitischen und antiislamischen Kampagne zur Bewahrung der Reinheit eines deutschen Volkes im Sinne von AfD und NSDAP: Deutschland kein Einwanderungsland, sondern eine völkische Einheit. Um nichts anderes geht es.
Und auch wenn ich bereit bin, dem einen oder anderen ein fehlendes Bewusstsein dafür zuzugestehen – die „Bild“ als Treiber der Kampagne ist sich dessen bestens bewusst, sie fügt sich nahtlos ein in die rote Linie dieser Redaktion. Und obwohl der „Bild“ die Leser davonlaufen: mit Facebook und AfD gibt es längst zwei neue Foren für deren Ideen.
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