Eine persönliche Antwort
Was es heißt eine Muslimin zu sein, heute, hier und jetzt
Warum stelle ich mir diese große Frage: Wie werde ich Mensch? Ich bin nicht die Erste und auch bestimmt nicht die Letzte, die sich dieser sowohl philosophischen als auch weltpolitischen Frage widmet. Ich stelle sie aber vor allem von einem bestimmten Standpunkt aus, vom Standpunkt einer Muslimin. Von Sumayya Ahmed
Von Sumayya Ahmed Dienstag, 30.04.2019, 5:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 06.05.2019, 14:50 Uhr Lesedauer: 5 Minuten |
Und es folgt eine persönliche Antwort, das heißt, ich repräsentiere hier nur meine Sicht, was nicht heißt, dass sich andere Muslim*innen hier nicht wiederfinden können.
Ein*e Muslim*in zu sein bedeutet der Glaube an einen Gott, dem Schöpfer und an Mohammed, Segen und Frieden auf Ihm, der Gesandte Gottes. Ein*e Muslim*in zu sein bedeutet, abseits der heutigen materialistisch geprägten Welt nach Sinn und Wahrheit zu suchen. Es bedeutet Hingabe, Liebe und Leitung. Es bedeutet, sich jeden Tag zu vergegenwärtigen, dass alles vergänglich ist. Es bedeutet, einen Glauben zu haben, als letzter Reichtum, wenn alles verloren geht. Für das gemeinschaftliche Zusammenleben bedeutet es, die Existenz und die Freiheit jedes Lebewesens zu wahren und zu schützen. Es bedeutet für das Recht einzustehen, wo ein anderes eingeschränkt oder verletzt wird. Es bedeutet Wertschätzung, Achtsamkeit und Respekt im Umgang mit allen Lebewesen. Es bedeutet, zu teilen, wo andere zu wenig haben.
Wenn ich Spiritualität fühle, sprengen sich die Dimensionen von Raum und Zeit, und alles, was von mir übrig bleibt, ist ein Subjekt, das glaubt. Doch wenn eine Person mir die Frage stellt, woran ich denn überhaupt glaube, bekommt mein Glaube Fenster und Türen, und ich werde in Raum und Zeit verortet. Das, woran ich glaube, bekommt seine Bedeutungsschwere erst durch die Weltgeschichte, das Weltpolitische und die Kulturgeschichte. Historisch galt und gilt der Islam in seiner Konstruktion als Gegensatz zum Westen. Er soll all das sein, wofür der ‚Westen‘ nicht stehen will, rückständig, primitiv, emotional, traditionell, sexualisiert und vieles mehr. Diese historischen Dimensionen über die Konstruktion ,eines Islam‘ (Gegensatz ,Westen‘), die Betonung liegt auf Konstruktion, haben gegenwärtige Folgen, die bis heute noch nachwirken und einen immensen Einfluss auf die muslimische Subjektivierung ausüben. Der richtende Blick, ist ein Blick, der mich als Andere und Fremde markiert und dabei bin ich gar nicht fremd. Es sind machtvolle und gewaltvolle Konstruktionen, deren Verantwortung nicht wirklich jemand tragen möchte.
Ich möchte als Subjekt wahrgenommen werden und nicht als Gegensatz-Subjekt oder Objekt eines ideologischen Konstrukts des westlichen kolonialen Erbes, sondern als Subjekt mit allen Existenzrechten. Während diverse Fraktionen in unserer Gesellschaft darüber philosophieren, ob Muslime zu Österreich oder Europa dazugehören, und mit Parolen wie ,Daham statt Islam‘ Wahlerstimmen mobilisieren, stellt sich uns Muslim*innen diese Frage nicht. Natürlich gehören wir dazu, denn wir sind hier.
Ein*e Muslim*in zu sein – heute, hier und jetzt – bedeutet nicht nur in eine bestimmte, negative Schublade gesteckt zu werden, sondern vor allem fremdbestimmt zu werden. Stets wird man als Repräsentant*in einer kollektiven Gruppe wahrgenommen. Es bedeutet, dass man unter Rechtfertigungsdruck steht, für das was man ist und für das, woran man glaubt. Es bedeutet, eingeschränkt zu leben, weil bestimmte Menschen dich anders bewerten oder behandeln. Es bedeutet, dass dir jegliche Rationalität und Kompetenz abgesprochen wird. Es bedeutet, unter Generalverdacht zu stehen, sobald man sich religiös praktizierend zeigt, weil kein Unterschied mehr gemacht wird zwischen Islam und fanatischer Extremismus. Es bedeutet, suspekt beäugt zu werden von jenen, die dem Islam negativ gesinnt sind. Es bedeutet mit dem Druck zu leben, eine Vorzeige-Rolle zu sein, weil gesellschaftlich Stereotypen dich erdrücken. Es bedeutet, stets und ständig in der Bringschuld zu stehen, auch mit Staatsbürgerschaft und akzentfreiem Deutsch. Es bedeutet auf seinen muslimischen Hintergrund reduziert zu werden, ohne jemals tiefsinnige und aufrechte Gespräche über die Spiritualität seines Gegenübers geführt zu haben. Vor Allem bedeutet es, als muslimische Frau bevormundet zu werden, und nicht selbstbestimmt über den eigenen Körper zu bestimmen. Es bedeutet, dass strukturelle Problem in der Gesellschaft auf Kultur und Religion reduziert werden, statt auf strukturelle Ungleichheit. Es bedeutet, in den Medien und in der Gesellschaft als die ,Anderen‘ gesehen zu werden, bis wir uns selbst nur mehr als die ,Anderen‘ wahrnehmen.
Das Leben als Muslimin ist eine stetige Auseinandersetzung zwischen mir und meinen authentischen Ideen und Überzeugungen. Darüber hinaus ist es ein Ausverhandeln zwischen mir und den vielen muslimischen Gemeinschaften, was sie als Islam verkörpern, wie sie den vielfältigen Islam lehren, leben und verinnerlichen. Aber genauso ist es ein Ausverhandeln zwischen mir und der weiß dominierten Mehrheitsgesellschaft, in der ich mich positioniere, meine Lebenswelt gestalte und mich beweisen muss, denn mein Muslimisch- und Nicht-Weiß-Sein markiert mich als migrantisch, problematisch und schwierig.
Was ich bin und was ich an Überzeugungen und Ideen artikuliere, ist nicht dasselbe. Immer ist es ein Zuviel oder ein Zuwenig, aber nie ist es vollkommen stimmig. Was ich bin und welche Räume diverse muslimische Gemeinschaften bieten, sind limitiert und einschränkend. Was wir brauchen sind Räume, die unterschiedliche muslimische Kontexte einbinden, und das weniger auf Basis von ethnisch-nationalen Zugehörigkeiten, sondern mehr auf Anerkennung von Mehrfach-Zugehörigkeiten. Was ich bin und wie mich die Öffentlichkeit darstellt, ist eine gigantische Kluft. Was die Mehrheitsgesellschaft als ,muslimische Frau‘ sieht und denkt, ist nicht das, was ich sehe oder denke. Denn ich sehe keine Abbildungen von muslimischen, starken Heldinnen, obwohl ich im Alltag jeden Tag welche sehe. Fragt sich nur einer, warum?
Das, was ich bin und versuche zu sein, scheint angesichts der Diskurse nicht möglich zu sein. Deshalb befinde ich mich in meinem Sein im stetigen Werden durch das Ausverhandeln meiner Wirklichkeit. Was meine Realität im Kern ausmacht, scheine nicht mal ich selbst zu begreifen. Doch was ich davon begreife, ist, das mein Leben nicht einfach ist, sondern im Status von ,Werden‘ festgeschrieben scheint. Ich begreife, dass mein Leben am besten mit einer Reise beschrieben werden kann, eine Reise, auf der Suche nach Frieden, nach Wahrheit, nach Substanz, nach Wachstum, nach mir selbst. Was meine Identität im Kern ausmacht, ist der Glaube. Ja, ich glaube. „Wer glaubt, der ist nirgendwo zu Hause“, sagt der Philosoph Ahmad Milad Karimi, „weil er weiß, dass er ein Reisender ist“.
Die Welt ist eine Gabe und das Leben eine Verantwortung. Es ist eine Reise auf der Suche nach dem Verborgenem und Sichtbaren, nach Wahrem und Scheinbarem, nach Sinnlichem und Übersinnlichem. Eine Suche, die dem Einen mehr wert ist als dem Anderen. Aktuell Meinung
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