Rechtsextreme Eltern und ihr Nachwuchs

Geboren für die nationale „Volksgemeinschaft“

Tausende Kinder wachsen in Deutschland in autoritären, rechten Familienverbänden auf, die sich „im Widerstand gegen das System“ wähnen. „Deutschland, Deutschland über alles“ ist für diese Gemeinschaften nicht nur eine Floskel. Von Andrea Röpke

Von Freitag, 22.03.2019, 5:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 27.03.2019, 16:33 Uhr Lesedauer: 9 Minuten  |  

Der kleine „Eorich Oswald“ wurde seinen Eltern zufolge am „31. Heuert 3818 n.St.“  geboren. Die Geburtsanzeige für ihren vierten Sohn gaben sie in einer rechten Zeitung auf. Das Inserat ziert eine „Lebensrune“ sowie die in altdeutscher Schrift gehaltene Zeile:

„Siegen und Sorgen gestern Gewesener dankst du dein Dasein“. Völkisch-nationalistische Familien verkünden die Geburt eines Kindes gerne in einem Kodex, der für das Urdeutsche stehen soll. So sind „Lebens-“ und  „Todesrune“ Teile des altnordischen Runenalphabets. Auch die Angabe zum Tag der Geburt des Babys entspricht germanischer Symbolik, sie steht für den 31. Juli 2018.  „Heuert“ war in Frühzeiten vor der Umbenennung durch die Römer die Bezeichnung für den Heumonat Juli. Und schließlich: „n.St.“ steht für „nach Stonehenge“. Hier wird Bezug genommen auf den berühmten Steinkreis in Großbritannien, dessen Errichtung als besondere Leistung nordischer Vorfahren gilt. Neonazistische und völkische Nationalisten erheben Heidentum und Naturreligion germanischer Vorfahren zum wichtigen kulturellen Erbe des deutschen Volkes. Das Christentum wird in zahlreichen Familien, die sich einer homogenen deutschen  „Volksgemeinschaft“ zugehörig fühlen, strikt abgelehnt.

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Der Name als Pflicht

Geburtsanzeigen wie die für „Eorich Oswald“ signalisieren: Hier wächst ein Kind heran, dem von Geburt an eine Verpflichtung für die nationale Gemeinschaft auferlegt wird. Die politische Indoktrination beginnt bereits mit der Namenswahl, der soll unbedingt nord- oder mitteleuropäischen Ursprungs sein. Namen wie Irmhild, Helrun, Friedhelm, Gerlind, Meinolf, Thoralf, Nordulf oder Birkhild entsprechen einer Logik, die besagt: „Deutschen Kindern deutsche Namen“. „Der Name kündigt an, was ein Kind sein wird, indem es ihm die moralische Pflicht auferlegt, es zu werden“, heißt es auf der Homepage einer der vielen extrem rechten Gruppen, die sich wie die  „Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft“ zu einer Ungleichwertigkeit von Menschen bekennen.

Die völkische Szene mit ihren „Sippen“-Verbänden kennzeichnet nicht nur ein nationalistisches Elitedenken, sondern vor allem die Ablehnung von Artikel 1 des Grundgesetzes. So ist bezogen auf Menschenwürde und Menschenrechte von einer „lebenswidrigen Utopie der Gleichheit“ die Rede, die ihre Antwort in einer Weltanschauung finden soll, „deren Grundlage die Wirklichkeit der gesetzmäßigen Ordnung des gesamten Lebens ist“. Sätze wie diese wurden jahrelang auch von einer Erziehungsorganisation mit dem Namen „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) verbreitet, die 2009 wegen ihrer Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus verboten wurde. Ihre Mitglieder gehören weitläufigen Familienzusammenschlüssen an, deren Ideologie sich heute sogar in den Reihen von „Identitärer Bewegung“ und der „Alternative für Deutschland“ (AfD) wiederfindet. So könne die „Vielfalt gewachsener Kulturen“ nur erhalten bleiben, wenn „jedes Volk seine Eigenart in Erscheinung und Substanz bewahre“, hieß es im „Funkenflug“ (2/2005), dem Organ der HDJ. Aus dem „Blutserbe“ und der „Verteidigung unseres geistlich-sittlichen Kerns“ entwickle ein Volk seine Kultur.

Rollenzwang

Die Bedeutung von Familie ist politisch aufgeladen, sie gilt als „kleinste politische Einheit“.

Ein biologistisches Weltbild herrscht vor: Die Geburt entscheidet über die Rollenzuweisung. Kinder werden geschlechtsspezifisch geformt: Plakativ gesagt, haben Mädchen fürsorgliche Mütter und Jungen mutige Kämpfer zu werden. Das Leben betroffener Kinder ist von klein auf dazu bestimmt, das „kulturelle Erbe“ deutschen Volkstums zu wahren. Keinesfalls ausgeklammert aus dem propagierten Vermächtnis der Ahnen werden das „Deutsche Reich“ und die nationalsozialistische Terrorherrschaft. Dessen Heldenkult wird ebenso wie die Lieder von NS-Dichtern wie Hans Baumann an die nächsten Generationen weitergegeben. Betroffene Jugendliche verehren anti-aufklärerische nationale Dichter wie Theodor Körner oder Ernst Moritz Arndt oder besuchen den Gedenkstein für Heide-Dichter Hermann Löns, dem Verfasser des kämpferischen Bauernromans „Der Wehrwolf“.

Ziel: Verbreitung rechter Ideologie

Tausende Kinder wachsen in Deutschland in autoritären Familienverbänden auf, die sich „im Widerstand gegen das System“ wähnen. „Deutschland, Deutschland über alles“ ist für diese Gemeinschaften nicht nur eine Floskel in einem Lied, sondern stellt einen politischen Lebensgrundsatz dar. Frühzeitig wird von den Kindern ein Spagat verlangt: sich der Lebenswelt der familiären Autoritäten unterzuordnen, aber auch in der modernen Gesellschaft gut zu funktionieren. Polizeieinsätze und Hausdurchsuchungen in den elterlichen Häusern und Höfen gehören nicht selten schon zum kleinkindlichen Erleben. In rechten Bünden und nationalistischen Organisationen sollen sie dann als Jugendliche unter Gleichgesinnten Stärkung finden. Kinder reifen zu Mitverschwörern heran. „Am Ende ist die Familie die engste Bande, die treueste Gang und das vertrauteste Widerstandsnest“, heißt es 2017 in dem Buch „Kontrakultur“ der „Identitären Bewegung“ in Deutschland. „Wer frühzeitig den Drill wie in der HDJ erlebte, gilt als politisch gefestigt und ist für den Nationalisten-Aktionismus besonders geeignet“, erklärt der Politologe Gideon Botsch, Leiter der Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus an der Universität Potsdam. Doch nicht nur die „Heimattreue Deutsche Jugend“, auch vermeintlich harmlose Bünde wie der „Sturmvogel – Deutscher Jugendbund“ oder „Der Freibund e.V.“ liefern oft „eine umfassende Schulung, die eine ideologische Festigung nach sich zieht“, warnt Botsch und weist darauf hin, dass es darum gehe, Kinder und Jugendliche gegen die demokratische, weltoffene Gesellschaft zu immunisieren. Die pädagogische Arbeit dieser Gruppen ist nicht ausschließlich auf den eigenen Nachwuchs gerichtet, sondern auf das ganze Volk. Aus der Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums in Berlin gegen die HDJ geht hervor, dass eine kompromisslose Verbreitung ihrer Ideologie geplant war. Es gab demnach einen „eindeutigen Appell“, der besagte, „in Schule, Ausbildung, Studium und Beruf mit Ehrgeiz und Ausdauer entscheidende Positionen zu besetzen“.

Rechte Ökos!

Es gibt bundesweit zahlreiche entlegene Ansiedlungen, in denen Sympathisanten dieser Szene Anwesen und Bauernhöfe erworben haben. Die genaue Zahl ist unbekannt, geschätzt werden rund tausend. Ihr Ziel ist es, nach und nach an Einfluss im vorpolitischen Bereich zu gewinnen. Schwerpunktgebiete bestehen bereits in Mecklenburg-Vorpommern und in Niedersachsen. Rechte Eltern unterwandern Kindergärten, Schulen und Vereine. Von „nationaler Landnahme“ ist intern die Rede. „Fernab von Anonymität und Multikulti-Realität in vielen deutschen Großstädten lässt sich auf dem Land unter Gleichen wirtschaften, leben“, heißt es aktuell unter der Schlagzeile „Pioniere gesucht“ bei dem „Projekt Landraum“ der AfD-nahen „Ein Prozent“-Bewegung. Auch in Städten gibt es Bemühungen, in unmittelbarer Nähe zueinander zu wohnen und so Gemeinschaften „abseits des Mainstreams“ zu bilden. Anhänger völkischer Ideologien werden oft aufgrund von Kleidung, antimoderner Lebensweise sowie dem Betreiben von Viehzucht, Forst- oder Landwirtschaft als „Ökos“ angesehen. Eine „Revolte gegen die moderne Welt“ propagierte bereits der 1974 verstorbene italienische Philosoph Julius Evola, dessen Schriften rechte Vordenker längst aufgriffen. Merkmale extrem rechter „Sippen“ sind aber nicht nur eine rückwärtsgewandte Lebensweise, Zivilisationskritik gepaart mit Blut-und-Boden-Ideologie, sondern vor allem Antisemitismus und Elitedenken.

Strenge Kindererziehung

Auffällig sind strenge Hierarchien und starke Reglementierungen innerhalb der Familien. Nicht selten ist Kindern der Gebrauch sogenannter „Fremdwörter“ verboten, zuhause heißen T-Shirts dann „T-Hemden“, das Internet „Weltnetz“ und Homepages „Heimatseiten“. Fernseher oder Computer werden als  „Elektrojuden“ bezeichnet. Heidrun Benneckenstein hat es in ihrer Kindheit erlebt. Eindrucksvoll rechnet die Szene-Aussteigerin in ihrem Buch „Ein deutsches Mädchen“ mit der Familie ab, in der sie aufwuchs. „Wir sagen nicht Handy, wir sagen Handtelefon“, schreibt sie. „Mein Vater trat auf wie ein Oberbefehlshaber. Als wären wir nicht seine Töchter, sondern Soldaten, denen er Kommandos geben kann.“ Die junge Frau wuchs in Bayern und Sachsen auf. Den Kontakt zu Vater, Stiefmutter und Schwestern hat sie abgebrochen. Sie erinnert sich: Aus jeder noch so banalen Angelegenheit machte der Vater einen Wettkampf. „Immer ging es um Leistung, Sieg oder Niederlage, Triumph oder Schmach“. Die junge Frau berichtet auch von Tabus wie häuslicher Gewalt. In den Zeltlagern und bei den „Fahrten“ der HDJ wurde sie weiter radikalisiert. Wichtiger Bestandteil der Pädagogik seien Feindbilder gewesen, dazu zählten Juden, das „Großkapital“, Linke und Ausländer. Hass und Angst hätten einen Großteil ihres Heranwachsens bestimmt.

Doch Kinder aus völkisch-nationalistischen Familien fallen auch durch besondere klassische und musikalische Bildung auf, hinter denen sich oft viel Ehrgeiz der Eltern verbirgt. Sie bringen schulische Bestnoten nach Hause und spielen häufig mehrere Instrumente. Die Pädagogin einer freien Einrichtung lobt: „Mit diesen Kindern gibt es überhaupt keinen Ärger, sie sind angepasst und gehorchen.“

Attraktiv für rechte Eltern sind vor allem selbstverwaltete pädagogische Einrichtungen mit viel Mitspracherecht, niedrigem Ausländeranteil und viel Naturbezug. Rückmeldungen betroffener Eltern und Pädagogen gleichen sich. Gemeinsames Spiel mit Kindern aus eingewanderten Familien wird oft abgelehnt. Auch schweigt der Nachwuchs oft in Montagsrunden, wenn es um Erlebnisse vom vergangenen Wochenende geht. Kinder aus rechten Kreisen malen Hakenkreuze und erklären selbstbewusst, das hätten die Eltern erlaubt, da es nur Runen seien. Sie kennen den Namen des Konzentrationslagers Auschwitz und stellen dessen Existenz ebenso wie den Holocaust in Frage. Sie beschimpfen Gleichaltrige als „Juden“.

Das Geschäft mit den Zahlen

Aufklärung ist wichtig, denn bei der Beeinflussung rechten Nachwuchses mischen inzwischen auch eine Vielzahl neonazistischer Geschäftsmacher mit. So gab es im „WB Versand“ des Thüringer NPD-Chefs Thorsten Heise ein Buch über deutsche Volksmärchen, die „keinesfalls für Toleranz“, sondern für „persönlichen Mut“ stehen. Das Buch „Nicht nur ein Märchen“ wurde mit dem Zusatz beworben: „In der Welt herrscht ständiger Kampf zwischen Gut und Böse. Unsere Aufgabe ist es nicht, den Kampf abzuschaffen, sondern ihn zu bestehen.“ Spielerisch wird Kindern Ideologie beigebracht. Begehrt in einschlägigen Kreisen ist daher das Puzzle mit 1000 Teilen und dem Titel „Deutschland in den Grenzen von 1937“. Es ist im neonazistischen „Pommerschen Buchdienst“ erhältlich. Kinder lernen konträr zur demokratischen Schulbildung, welche ehemaligen Reichsgebiete aus der Sicht von Eltern und Großeltern noch zu Deutschland gehören.

Während in bündischen und völkischen Kreisen viel Wert auf einfache, unprätentiöse Kleidung aus Naturmaterialien gelegt wird, setzen Eltern aus NPD-Umfeld und Kameradschaftsmilieu eher auf Provokation – auch bei den Kindern. Die tragen dann T-Shirts mit dem Zahlencode „28“ für die verbotene Organisation „Blood & Honour“ oder ein Eisernes Kreuz. Die Zahl 2 steht für den zweiten Buchstaben des Alphabets, die Zahl 8 für das „H“. Eine „88“, die immer wieder in Preisen und Produkten auftaucht, dient als Code für „Heil Hitler“. Besonders begehrt ist ein Motiv der Firma „Druck18“ aus dem thüringischen Kloster Veßra für sage und schreibe 14,88 Euro, es trägt den Titel eines Liedes der verbotenen Berliner Band „Landser“ und heißt: „Arisches Kind“. Leitartikel Panorama

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