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Die tunesische Flagge © Tarek @ flickr.com (CC 2.0), bearb. MiG

Tunesien

Entwicklungsminister: Ausbilden, damit sie nicht nach Europa kommen

Tunesien gilt als Leuchtturm, hat aber viele Probleme. Entwicklungsminister Müller wirbt bei deutschen Firmen dafür, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. Es geht um Zukunftsperspektiven für junge Menschen, die sonst nach Europa kommen. Von Mey Dudin

Freitag, 12.10.2018, 5:20 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 15.10.2018, 14:54 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Schlagzeilen machte Tunesien in Deutschland zuletzt mit schlechten Nachrichten: Da war der Streit über den zu Unrecht abgeschobenen Tunesier Sami A. oder die Diskussion über Tunesien als sicheres Herkunftsland – wodurch Abschiebungen schneller möglich wären. Doch als Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) am Mittwoch und Donnerstag den kleinen Staat am Mittelmeer bereist, überwiegen die positiven Bilder.

So etwa in einem Industriegebiet der Hauptstadt Tunis: Dort ist die Produktionsstätte eines deutschen Automobilzulieferers der Marquardt-Gruppe. Das Gebäude sieht mit seiner Spiegelglasfront aus wie viele Geschäftsbauten des Landes, doch innen präsentiert sich ein Vorzeigebetrieb: Generaldirektor Noureddine Yacoubi, der einst in Hannover studiert hat, stellt in fließendem Deutsch das Unternehmen vor, in dem 1.500 Menschen arbeiten und wo elektronische Schalter und Sensoren verarbeitet werden. Männer und Frauen in weißen Kitteln sitzen an ihren Werkbänken. Einige der Mitarbeiter sind seit 20 Jahren bei der Firma, die ihnen an drei Berufsschulen auch betriebliche Ausbildungen ermöglicht.

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„Es ist hier ein Standard, den wir auch in Deutschland haben“, sagt Müller. Der Minister will auf seiner Reise die sogenannte Reformpartnerschaft zwischen Deutschland und Tunesien vorantreiben. Das ist ein Konzept seines Ministeriums, wonach bestimmte afrikanische Länder, bei denen man an eine gute Zukunft glaubt, besonders unterstützt werden. Es geht dabei vor allem um Investitionen und den Ausbau von Arbeits- und Ausbildungsplätzen.

Wer Zukunftsperspektive hat, kommt nicht

Der Hintergedanke ist: Wenn junge Menschen in ihrer Heimat eine Zukunftsperspektive haben, dann kommen sie nicht als Flüchtlinge und Migranten nach Europa. Und Tunesien ist ein Land, aus dem immer wieder vor allem junge Männer in Booten übersetzten, um in der EU ihr Glück zu versuchen. Bis heute ist die Arbeitslosigkeit sehr hoch und liegt in einigen Gebieten gerade bei den Jungen bei bis zu 47 Prozent.

In Tunesien gibt es 260 Unternehmen mit deutscher Beteiligung, die etwa 62.000 Mitarbeiter beschäftigen. Oft gilt Tunesien als „verlängerte Werkbank“ Europas mit niedrigen Löhnen und Jobs insbesondere für gering Qualifizierte. Zukunftsperspektiven sehen anders aus. Deshalb hat Müller sieben Absichtserklärungen im Gepäck, damit deutsche Firmen und Verbände neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze schaffen. Im Automobilbereich sollen 7.500 Jobs entstehen.

Müller lässt Asyl außen vor

Innenpolitische Fragen wie Asyl, Abschiebungen oder Terrorismus lässt Müller beinahe vollständig aus. Solche Themen überlässt er seinem CSU-Parteifreund, dem Innenminister Horst Seehofer. „Tunesien ist ein Hoffnungsträger in Nordafrika“, wirbt der Entwicklungsminister. Demokratie und Menschenrechtslage hätten sich deutlich verbessert.

Allerdings hat Tunesien noch einen langen Weg vor sich: Grundrechte sind zwar durch eine liberale Verfassung geschützt, aber seit Jahren gilt der Ausnahmezustand. Menschenrechtler beklagen, dass nach wie vor Homosexuelle ins Gefängnis geschickt werden und es auch Folter noch gibt. Auch bei der Verwaltung gibt es viel zu tun: Unternehmer klagen über langwierige bürokratische Prozesse und Korruption.

„Zukunft nicht Krawatte, sondern Schaufel“

Vor allem beim diesem Punkt will Deutschland Anreize setzen: Wenn Tunis bis Jahresende elf Kriterien erfüllt, die einen Abbau von Korruption zur Folge haben und die Chancen von Kleinunternehmern gerade auch aus ländlichen Regionen verbessern, fließen 100 Millionen Euro an günstigen Langzeitkrediten der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) an den Staat. 140 Millionen Euro sind außerdem von deutscher Seite als direkte Darlehen für kleine und mittlere Unternehmen vorgesehen. Zählt man alle Programme und Kredite zusammen, die derzeit laufen, kommt man auf 1,7 Milliarden Euro deutscher Unterstützung für Tunesien.

Für Tunesien wie für ganz Afrika sieht Müller drei Zukunftsbereiche: Den Bau, die Energiebranche und die Landwirtschaft, sagt er bei einer Stippvisite auf einer Baustelle. Müller erzählt den Auszubildenden, dass er mit seinem Vater ein Haus gebaut hat. Das Handwerk müsse mehr Wertschätzung erfahren. Er fügte hinzu: „Eure Zukunft ist nicht die Krawatte, sondern die Schaufel.“ (epd/mig) Aktuell Politik

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