Der Freistaat
Wenden wir Dublin doch mal auf Bayern an
Der bayerische Ministerpräsident Söder spielt Kanzler mit Kurz und pocht auf Dublin. Er will Flüchtlinge dorthin abschieben, wo sie erstmals EU-Boden betreten haben. Okay. Dann spielen wir doch auch mal Dublin mit Bayern und schieben alle Flüchtlinge dorthin zurück, wo sie erstmals deutschen Boden betreten haben.
Von Anja Seuthe Freitag, 22.06.2018, 5:24 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 25.06.2018, 17:37 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Erstaunliches tut sich diese Tage. Da treffen sich der bayerische Regierungschef Markus Söder und sein österreichisches Pendant Sebastian Kurz in Linz zu einer gemeinsamen Kabinettssitzung. Nun, Herr Kurz ist Bundeskanzler eines souveränen Staates, Herr Söder Ministerpräsident eines Freistaates, sprich Bundeslandes. Aber was macht das schon. Unter anderem einigt man sich darauf, dass Bayern Flüchtlinge an der bayerischen Grenze zurückweisen will, auch wenn das der deutschen Bundeskanzlerin nicht passt.
Wie bitte? Immerhin handelt es sich bei der Grenze des Freistaats Bayern um die Grenze der Bundesrepublik Deutschland, und da hat nun einmal Frau Merkel das Sagen, und nicht Herr Söder. Der Schulterschluss eines bundesdeutschen Ministerpräsidenten mit einem ausländischen Regierungschef hat schon ein Geschmäckle. Man stelle sich vor, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer vereinbart mit dem Premierminister von Luxemburg ähnliches. Oder der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke mit dem polnischen Ministerpräsidenten. Undenkbar? Warum funktioniert das aber bei Bayern?
Der Freistaat
Mit gut 70.000 km² ist der Freistaat Bayern mit Abstand das größte deutsche Bundesland. Als im Jahr 1949 über das Deutsche Grundgesetz abgestimmt wurde, war Bayern dagegen. Zu zentralistisch und zu wenig christlich war den Bayern der neue Bund. Die bayerische Schwesterpartei der CDU nennt sich von je her CSU, also nicht „demokratisch“, sondern „sozial“. Sozial passt auch besser zu christlich. Demokratisch dagegen ist schwierig, wenn die Machtverhältnisse so klar sind. Seit 1945 regiert in Bayern die CSU mit absoluter Mehrheit. Die Ministerpräsidenten bleiben gut und gern mal für eine Dekade im Amt. Edmund Stoiber brachte es auf 14 Jahre im Amt, Franz Josef Strauß und Horst Seehofer auf jeweils 10 Jahre. Die (zu) enge Beziehung der CSU zur bayerischen Wirtschaft ist mit der Amigo-Affäre Anfang der 90er Jahre schon fast sprichwörtlich geworden. Und wenn diese Beziehung auch der CSU und der bayerischen Wirtschaft nützt, so geht demokratisch sicher anders.
Das tut aber dem bayerischen Selbstbewusstsein keinen Abbruch. Bayern rühmt sich mit dem niedrigsten Schuldenstand pro Einwohner und der höchsten Erwerbstätigenquote in Deutschland. Aber die bayerische Landesstatistik vergleicht die bayerischen Schlüsselzahlen nicht nur mit den übrigen deutschen Bundesländern, sondern gleich auch noch mit den übrigen EU Ländern, den USA, China und Japan. Nun ja. Warum nicht.
Warum aber nun Österreich, das weniger Einwohner hat als Bayern und wirtschaftlich um einiges schlechter dasteht? Glaubt Herr Söder, dass in Wien die CSU größeren Einfluss haben könnte als in Berlin?
Regionalismus
Die eigentliche Antwort liegt im Regionalismus. Es ist schon mehr als zwanzig Jahre her, dass während meines Studiums in einem meiner Seminare das Thema der Zukunft Europas aufkam. Einerseits war damals eine zunehmende politische Zersplitterung Europas zu beobachten. Jugoslawien, die Tschechoslowakei, die Sowjetunion, all diese Staaten, die wir als selbstverständlich hingenommen hatten, lösten sich auf, ob nun friedlich oder im Krieg. Basken, Schotten, Südtiroler und andere Volksgruppen bemühten sich ihrerseits um Unabhängigkeit. Andererseits vergrößerte und verfestigte sich gleichzeitig die Europäische Union.
Meine Dozentin prognostizierte damals eine weitere Zersplitterung in kleinere Einheiten, die sich auf Dauer an den alten, historisch geprägten, Regionen orientieren und so neue alte Bünde bilden. Ihr Beispiel war der Alpenraum, mit Österreich, Slowenien, Südtirol und Bayern.
Kulturell anders. Historisch anders
Tatsächlich wird schon auf dem Gruppenbild der beiden Kabinette aus Bayern und Österreich die kulturelle Gemeinsamkeit deutlich, wenn ich die Ministerinnen im Dirndl bestaune und mich frage, ob die Damen für Österreich oder Bayern im Kabinett sitzen. Also die Tracht passt schon mal.
Beobachtet man den Schulterschluss zwischen Herrn Söder und dem österreichischen Bundeskanzler, so bestehen offensichtlich auch andere gemeinsame Interessen, die selbst gegen die Interessen der deutschen Bundesrepublik artikuliert werden. Und ganz Deutschland schweigt, denn Bayern, dass finden auch die anderen, war halt schon immer anders. Kulturell anders. Historisch anders. Und ob Bayern nun richtig dazu gehört? Oder gar dazugehören will? Wir wissen es nicht.
Dublin mit Bayern
Alleingänge wie die von Herrn Söder lassen Zweifel aufkommen am Integrationswillen der Bayern. Immerhin diskutiert Herr Söder die bundesdeutschen Außengrenzen mit einem ausländischen Regierungschef. Wer hat ihn denn dazu legitimiert? Aber denken wir das einmal weiter. Herr Söder möchte quasi im Alleingang Flüchtlinge, die bereits anderswo in der EU registriert wurden, an der bayerischen Landesgrenze zurückweisen. Einmal abgesehen davon, dass der Großteil der Zurückgewiesenen dann in Österreich festsitzen würde, was wohl Herr Kurz nicht so recht bedacht hat, könnte man die bayerische Argumentation auch weiterführen. Wenn die Flüchtlinge, die die EU in Griechenland, Italien oder Spanien betreten haben, auch bitte dort bleiben beziehungsweise dorthin zurück sollen, dann sollten die Flüchtlinge, die Deutschland in Bayern betreten haben, doch bitte auch dort bleiben oder dorthin zurück gehen.
Natürlich wird ein Bayer jetzt argumentieren, dass sei unfair, da ja quasi alle Flüchtlinge auf der Südostroute über Bayern nach Deutschland einreisen und außerdem eigentlich Gesamtdeutschland für die Sicherung der deutschen Außengrenzen zuständig ist… Eben! Vielleicht sollten das die Bayern mal überdenken, wenn sie die südeuropäischen Länder dazu verpflichten wollen, sich allein um die Flüchtlinge in der EU zu kümmern. Aktuell Meinung
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