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In der Flüchtlingshilfe

„Ich mag die muslimische Kultur einfach nicht“

Seit 2015 ist Aseman Bahadori in der Flüchtlingshilfe tätig. Im MiGAZIN schreibt sie über verbreitete Vorurteile unter Helfern und wie sie vermeintlich rationale Islamkritik dafür nutzen, um muslimische Menschen als minderwertig darzustellen.

Von Dienstag, 20.02.2018, 6:23 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 21.02.2018, 17:26 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

„Ich mag die muslimische Kultur einfach nicht. Die sind schon irgendwie zurückgeblieben.“ So berichtet es mir eine junge Frau, die in einer Unterkunft für geflüchtete Menschen tagein tagaus tatkräftig und engagiert arbeitet.

Bereits seit Ende 2015 bin ich in der sogenannten Flüchtlingsarbeit in der Hauptstadt tätig. Pauschal-negative Aussagen über Flüchtlinge sind unter Helfern keine Ausnahme. Darunter sind Referenten, Sozialarbeitende, Ehrenamtliche, Menschen, die sich mit Leib und Seele unermüdlich für die Rechte von geflüchteten Menschen engagieren. Viele haben eine negative Meinung über die Kultur und Religion ihrer sogenannten Schützlinge, auch wenn sie dies weniger drastisch ausdrücken.

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Stattdessen spricht man darüber wie man „deren Frauen mehr Selbstbewusstsein beibringen“ und wie man „deren Männer umerziehen“ könne. Man fragt sich, wie man an die Frauen herankommen könne, ohne, dass ihre Männer davon Wind bekämen. Vor bestimmen ethnischen Gruppen müsse man sich ohnehin sehr stark in Acht nehmen, die hätten einen besonders starken Hang zur Gewalt.

Andere Unterstützer neigen dazu, Gewalt, aus vermeintlichem Respekt vor der Kultur ihrer sogenannten Schützlinge, zu bagatellisieren. Die Totschlagargumente sind hier „andere Länder, andere Sitten“ oder ein „rauerer“ Ton wäre bei muslimischen Familien schließlich normal. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei Gewaltvorfällen weggeschaut wird, ist bei dieser Helfergruppe besonders hoch.

Schlimm gemeint sind die Aussagen oder das Wegschauen nie. Dennoch stellt sich die Frage: Wie problematisch sind sie?

Viele Unterstützer erleben manchmal Praktiken und Ansichten, die mit unserem Weltbild hierzulande unvereinbar sind, wie zum Beispiel beim Thema Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann. Grundsätzlich muss gelten: Rechtswidrige und diskriminierende Praktiken und Ansichten dürfen nicht toleriert und müssen kritisiert und angeprangert werden.

Die Versuchung, der hier standgehalten werden muss, ist das moralisch falsche Verhalten ‚der Anderen’ nicht mal eben einfach so auf diejenigen Teile ihrer Identität zu schieben, die sie vermeintlich am meisten von uns selbst unterscheiden: Religion, Kultur, Hautfarbe, Ethnizität, Geschlecht, soziale Schicht usw.

Dies ist jedoch sehr verbreitet. Man spricht unverblümt von „unseren“ und „deren“ Frauen und Männern, pauschalisiert die Mitglieder sehr unterschiedlicher heterogener Gruppen als „ein und dasselbe“, und man sieht die Religionszugehörigkeit oder Ethnizität eines Menschen als verlässlichen Indikator für seine Gewaltbereitschaft. Das ist fatal, und zwar nicht nur weil durch so ein Schwarz-weiß-Denken das Risiko, dass gesamte Minderheiten pauschalisiert und diskriminiert werden, drastisch steigt. Nein, wer bei jedem moralisch verwerflichen Handeln mit dem Zeigefinger auf die Religion, Kultur oder Hautfarbe eines Menschen zeigt, der gibt seine Fähigkeit zum kritischen Denken auf und dadurch den selbst auferlegten Schutz der Schutzbedürftigen.

„Es muss Schluss sein mit der Essentialisierung und Stereotypisierung gesamter Gruppen und Identitäten, und Schluss sein mit scheinbar rationaler Islamkritik, die in der Praxis dafür benutzt wird, um muslimische Menschen als minderwertig darzustellen.“

Wie kann ich Gewalt dekonstruieren, sie erkennen und schlussendlich verbannen, wenn ich sie als logische, sogar natürliche, Begleiterscheinung einer von mir schwammig ausgelegten gesamten „Kultur“ erachte? Über Glaubenssätze, Ansichten, Traditionen und Praktiken kann man diskutieren, sie kritisieren. Aber den kritischen Dialog von vorneherein aufzugeben indem man sich auf Merkmale beruft, die ein Mensch nicht mal eben so ablegen kann, ist, und das wird man ja wohl noch sagen dürfen, faul, unaufgeklärt, nicht konstruktiv und bisweilen sogar gefährlich.

Es muss Schluss sein mit der Essentialisierung und Stereotypisierung gesamter Gruppen und Identitäten, und Schluss sein mit scheinbar rationaler Islamkritik, die in der Praxis dafür benutzt wird, um muslimische Menschen als minderwertig darzustellen. Wir brauchen mehr kritischen Dialog und das ist hier die eigentliche Herausforderung.

Die Schutzsuchenden werden oft als Teil des Problems, aber nie als Teil der Lösung gesehen. Sehr oft sind es tiefgreifende Berührungsängste auf beiden Seiten, die daran schuld sind, dass man einfach nur übereinander und nicht miteinander spricht. Oft sind es Vorurteile.

Das Resultat bleibt dabei immer dasselbe: Geflüchtete Menschen werden nicht als ebenbürtige Dialogpartner behandelt. Das ist nach meinem zweijährigen Aufenthalt in der chaotischen Welt der Berliner „Flüchtlingsarbeit“ unübersehbar. Das ist keine lange Zeit, wenn man bedenkt, dass die großen Herausforderungen noch vor uns liegen. Umso wichtiger ist es, dass jetzt die richtigen Bausteine für die nächsten Jahre gelegt werden. Wie soll es also weitergehen?

Zum einen muss der Staat in die Bildung und Qualifizierung geeigneten Personals investieren sowie in die Infrastruktur der relevanten Anlauf- und Versorgungsstellen. Nur so kann die Überarbeitung und die Belastung des hauptamtlichen Personals verringert und eine menschenwürdige Versorgung sichergestellt werden. Die Versorgung und der Schutz von Geflüchteten, das darf man bei all dem unermüdlichen ehrenamtlichen Engagement nicht vergessen, ist und bleibt in erster Linie die Aufgabe des Staates.

Zum anderen brauchen wir wieder eine angstfreie Politik, die den Menschen Lust auf die Zukunft macht, anstatt immer wieder ihre Ängste zu bestätigen. Auf Ängste eingehen kann auch bedeuten, dass die Politik ihre Aufgabe endlich ernst nimmt, positive Visionen für ein demokratisches Miteinander zu schaffen, in der gelungene Diversität ein selbstverständliches und zentrales Element spielt – Deutschland ist schließlich nicht erst seit gestern Einwanderungsland.

Schließlich kommen wir nicht an unserer eigenen Verantwortung vorbei, uns selbst kontinuierlich kritisch zu hinterfragen und für einen echten Dialog in der Gesellschaft zu sorgen, anstatt uns mit Halbwahrheiten zufriedenzugeben. Diversität, Demokratie und ein Miteinander sind keine Endziele, sondern kontinuierliche Prozesse, an denen wir permanent gemeinsam arbeiten müssen. Aktuell Gesellschaft Meinung

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  1. Gabriele Boos-Niazy sagt:

    Ein sehr guter Artikel! Die Autorin zeigt sehr schön auf, dass sich viele Probleme lösen lassen, wenn man in der Lage ist, ein Verhalten zu kritisieren, ohne den Menschen dahinter zu stigmatisieren. Das ist der einzige Weg, auch mal den Balken im eigenen Auge zu erkennen und nicht nur den Splitter im Auge des anderen.
    Das Gegenbeispiel ist das unsägliche Interview mit einer Flüchtlingshelferin, die leider kein Klischee auslässt.
    https://de.sputniknews.com/gesellschaft/20180207319435839-fluechtlinge-eu-rebecca-sommer-asyl-integration-migranten-polen-deutschland-regierung-flucht-schwule/

    • Astrid Häusler sagt:

      Bei einer großen Anzahl von Migranten aus der dritten Welt bräuchte man mindestens eine Zuordnung von qualifiziertem Kümmerer zu Migrant von 1 zu 8, und dieses Kümmern umfasste einen täglichen Aufwand von mehreren Stunden (siehe Berlin und bescheidenen Erfolg), um zu gewährleisten, dass einige fähige und willige über einen Zeitraum von mehreren Jahren, einer geregelten Arbeit nachgehen können. Man übersieht, dass man im Erwachsenenalter es kaum noch schafft, aus vormoderner Prägung in eine moderne Leistungsgesellschaft effektiv hineinzuwachsen.