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Familiennachzug

Wider den Ordnungswahn

Über eine Obergrenze soll der Familiennachzug weiterhin eingeschränkt bleiben und damit geordnet vonstattengehen. Diese Vorstellung, dass man Migrationsbewegungen beliebig ordnen, steuern und begrenzen kann, ist jedoch ein Mythos. Es geht hier um Menschen und ihre Familien. Von Miriam Gutekunst

Von Mittwoch, 14.02.2018, 6:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 15.02.2018, 19:43 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Vergangene Woche wurde im Bundestag die weitere Aussetzung des Familiennachzugs zu Geflüchteten mit subsidiärem Status bis Ende Juli 2018 beschlossen. Von dieser Regelung sind vor allem Menschen aus Syrien betroffen. Ab August soll es eine Obergrenze von 1.000 Menschen pro Monat sowie eine Härtefallregelung geben. Im aktuell veröffentlichten Koalitionsvertrag werden diese neuen Regelungen in Bezug auf den Familiennachzug unter dem Motto „Wir ordnen die Zuwanderung“ präsentiert.

Weitere Elemente dieses Ordnungsvorhabens sollen sein: Fluchtursachenbekämpfung in Entwicklungszusammenarbeit, Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten, Schutz der Binnengrenzen und Ausbau der europäischen Grenz- und Küstenwache zu einer echten europäischen Grenzschutzpolizei. Die Vorstellung Migrationsbewegungen je nach nationalstaatlichen Interessen beliebig ordnen, steuern und begrenzen zu können, hat eine lange Geschichte. Diese zeigt jedoch, dass es sich dabei um einen Mythos handelt. Migration lässt sich nicht – wie vielleicht Warenströme – einem ökonomischen Kalkül folgend regulieren. Es geht hier schließlich um Menschen und deren Familien.

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„Wir riefen Arbeitskräfte, es kamen Menschen“ Mit diesem Spruch brachte Max Frisch 1965 die absurde Vorstellung auf den Punkt, ein Staat könne auf Menschen aus anderen Ländern je nach Arbeitskräftebedarf zugreifen und diese wieder wegschicken, wenn dieser gedeckt ist. Viele der Menschen, die in den 1950er und 1960er Jahren eingereist waren, um in Deutschland zu arbeiten, blieben schließlich und holten ihre Familienangehörigen nach. Sie hatten sich hier ein Leben, einen Alltag und soziale Beziehungen aufgebaut. Das Konzept der „Gastarbeit“ beruhte bereits auf der Vorstellung, man könne Einwanderung je nach staatlichen Interessen ordnen, steuern und begrenzen. Die Lebensrealitäten der „Gastarbeiter“ und „Gastarbeiterinnen“ und ihre Kämpfe für das Recht zu bleiben sowie für soziale Teilhabe belehrten den Staat eines Besseren.

Trotzdem wurden in den 1990er Jahren in der Bundesrepublik wieder verstärkt Forderungen nach mehr Steuerung und Begrenzung von Migration laut. Die Öffnung der innereuropäischen Grenzen ging mit der Schließung der EU-europäischen Außengrenzen einher. 1998 provozierte Otto Schily (SPD) mit der Aussage „Die Grenze der Belastbarkeit Deutschlands durch Zuwanderung ist überschritten“ und forderte, diese stärker zu ordnen, zu steuern und zu begrenzen. Viele Politiker und Politikerinnen schlossen sich diesem Vorstoß an.

2005 trat schließlich unter Rot/Grün das „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung von Zuwanderung“ in Kraft. Auch damals stand in den parlamentarischen Debatten der Familiennachzug bereits im Fokus der Ordnung und Regulierung. 2007 wurde – dann unter Schwarz/Rot – eine Sprachnachweispflicht für „nachziehende Ehegatten“ eingeführt. Diese hatte zur Folge, dass Menschen aus „Drittstaaten“ nun Deutschkenntnisse auf A1-Niveau nachweisen mussten, bevor sie ein Visum für den Nachzug zu ihrem Partner oder ihrer Partnerin nach Deutschland beantragen konnten.

Es folgten Kritik und Protest von unterschiedlichen Organisationen und Verbänden, da dieser Sprachnachweis bestimmten Menschen das Grundrecht auf Schutz von Ehe und Familie verweigert. Einzelklagen von Frauen aus der Türkei und Afghanistan, die nicht alphabetisiert waren und zu ihrem Partner nach Deutschland einreisen wollten, waren erfolgreich und zeigten nicht nur auf bundesdeutscher, sondern auch auf europäischer Ebene Wirkung. Die EU-Kommission beurteilte die Sprachnachweispflicht 2013 als nicht vereinbar mit der EU-Richtlinie zur Familienzusammenführung. Die Bundesregierung reagierte lediglich mit einer Härtefallregelung.

Im Fall der Aussetzung und Begrenzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte wird aktuell ebenfalls eine Welle von Klagen erwartet. Hier geht es nicht nur darum, dass Paare getrennt werden, sondern auch Kinder, Geschwister und Eltern, deren Leben in Kriegsgebieten wie Syrien zumeist tagtäglich bedroht ist.

Auch gibt es zunehmend öffentlichen Protest und Demonstrationen von Betroffenen und Verbänden, wie vergangene Woche am Tag der Entscheidung vor dem Bundestag. Abgesehen von der falschen Vorstellung man könne Migration einfach ordnen und steuern, geht es hier um ein Grundrecht – das Recht auf Schutz von Ehe und Familie. Als ob globale Krisen und soziale Ungleichheiten in Deutschland und Europa durch die Einführung von Obergrenzen und eine Abschottungspolitik bekämpft werden könnten.

Hier braucht es ein radikales Umdenken in der Migrationspolitik hin zu einer Sozialpolitik, die Menschen von allen Rändern – nicht nur die „Neuangekommenen“ – wieder in die Gesellschaft integriert. Dazu braucht es Menschlichkeit, Solidarität, Umverteilung und Bemühungen, über den Nationalstaat hinaus zu denken. Und manchmal braucht es auch einfach ein bisschen mehr Mut zur Unordnung. Aktuell Meinung

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  1. President Obama sagt:

    Der Gedankengang ist nachvollziehbar. Allerdings halte ich Einwanderung durchaus für steuerbar.

    So wurde die Einwanderung für Gastarbeiter mit dem Anwerbestopp erheblich reduziert, so dass die Einwanderung von Gastarbeitern (der Begriff ist natürlich nicht mehr zeitgemäß) fast vollständig zum Erliegen kam. Steuerung ist hier also (wertfrei) gelungen.

    Auch die Einführung der Deutschkurspflicht führte zu einer anderen Steuerung. Zwar hat die EU-Kommission eine Härteregelung gefordert – sie wurde auch ins das Aufenthaltsgesetz aufgenommen – am Tenor, dass der normale Ehegattennachzug ohne einfache Deutschkenntnisse nicht mehr funktioniert, hat das aber wenig geändert.
    Auch hier hat die Steuerung funktioniert.

    Und schließlich sind die Regelungen für den Westbalkan außerordentlich erfolgreich. Die Zahl der Asylsuchenden aus diesen Ländern hat drastisch abgenommen, seit dem es einen legalen Zugang zur Erwerbstätigkeit für den Personenkreis gibt. Hier wurde Einwanderung geordnet und im Übrigen gezeigt, dass es nicht um Abschottung geht.

    Das Thema des Familiennachzugs ist wiederum ein anderes und auch hier wird nun gesteuert. Nicht so, wie sich das mancher wünscht, aber eine Steuerung kann nicht von der Hand gewiesen werden. Bislang gab es keinen Nachzug zu subsidiär Schutzberechtigten. Das ist juristisch auch gut zu argumentieren, da der subsidiäre Schutz im Gegensatz zum Flüchtlingsschutz nach GFK nicht auf einen dauerhaften Verbleib in Deutschland abzielt, sondern von vornerein klar ist: Wenn die Zustände sich verbessern, muss das (Aufnahme-)Land verlassen werden.

    Das war bei den Kriegsflüchtlingen aus dem ehem. Jugoslawien so, oder auch bei den Vietnamesen. Für sich betrachtet ist der einzige Unterschied, dass dieses Thema nun medial und politisch ausgeschlachtet wird.

    Wenn das Verlassen des Aufnahmelandes feststeht, dann ist es auch nachvollziehbar, zumindest juristisch, dass der Familiennachzug streng reglementiert wird. Da kann man nun moralisch anderer Auffassung sein, ist juristisch aber lupenrein. UND: Auch hier findet Steuerung der Einwanderung statt.

    Insofern halte ich die These des Beitrags: „Einwanderung kann nicht gesteuert werden“ für falsch.