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Interview mit Benedikt Behlert

„Ausschluss von Familiennachzug ist völkerrechtlich großen Bedenken ausgesetzt.“

Wenn es um die Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge geht, argumentieren Politiker gerne damit, dass es keinerlei völkerrechtliche Verpflichtung gibt, Familiennachzug zuzulassen. Rechtsexperte Benedikt Behlert erklärt im Gespräch, warum das so nicht stimmt.

Mittwoch, 24.01.2018, 6:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 29.01.2018, 17:37 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

Am 19. Januar 2018 hat der Bundestag über die Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte debattiert. Abgeordnete, die sich für die Verlängerung ausgesprochen haben, haben betont, dass es keinerlei völkerrechtliche Verpflichtung hierfür gibt. Im Gespräch mit dem MiGAZIN erklärt Rechtsexperte Benedikt Behlert, warum das so nicht stimmt.

MiGAZIN: Gibt es völkerrechtliche Verpflichtungen für Deutschland, Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten zuzulassen?

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Benedikt Behlert ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht an der Ruhr-Universität Bochum.

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Benedikt Behlert: Die Frage lässt sich so pauschal nicht beantworten. Grundsätzlich sind Staaten frei darin, zu entscheiden, wem sie Zugang zu ihrem Staatsgebiet gewähren. Allerdings gibt es einige völkerrechtliche Normen, wie z.B. Art. 16 Abs. 3 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, Art. 23 Abs. 1 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) und Artikel 8 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die die Familie unter besonderen völkerrechtlichen Schutz stellen.

Zwischen diesen rechtlichen Interessen muss im Einzelfall eine Balance hergestellt werden und genau deshalb ist es so schwierig, die Frage allgemein zu beantworten. Ob nun das staatliche Interesse an Einwanderungsregulierung oder das individuelle Interesse an Familienzusammenführung überwiegt, muss im Einzelfall und unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände beurteilt werden.

Es gibt auch noch die Kinderrechtskonvention (KRK). Lässt sich daraus eine Verpflichtung zur Zulassung des Familiennachzugs ableiten?

„Es verwundert, wenn die Gesetzesbegründung zum Asylpaket II einfach davon ausgeht, der pauschale Ausschluss des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte verstoße nicht gegen Völkerrecht.“

Art. 3 der Kinderrechtskonvention bestimmt, dass das Kindeswohl ein Gesichtspunkt ist, der bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, vorrangig zu berücksichtigen ist. Außerdem müssen Gesuche des Kindes auf Familienzusammenführung nach Art. 10 KRK „wohlwollend, human und beschleunigt“ behandelt werden. Diese Punkte sind bei der eben erwähnten Abwägung zwischen staatlichem Interesse und Individualinteresse besonders zu berücksichtigen, sobald es um Kinder geht. Das wurde vom UN-Menschenrechtsausschuss, dem UN-Kinderrechtsausschuss und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) auch bestätigt.

Allerdings ergibt sich wohl schon aus dem Wortlaut („berücksichtigen“, „werden wohlwollend bearbeitet“), dass auch hier ein gebundener, unbedingter Anspruch nicht besteht, sondern im Einzelfall entschieden werden muss.

Entscheidung im Einzelfall heißt, dass ein pauschaler Ausschluss oder eine Obergrenze für den Familiennachzug, wie sie von Union und SPD anvisiert wird, nicht zulässig wäre.

Ein pauschaler Ausschluss ist völkerrechtlich jedenfalls großen Bedenken ausgesetzt, da die menschenrechtlichen Konventionen eine Ermessenausübung verlangen. Deshalb verwundert es etwas, wenn beispielsweise die Gesetzesbegründung zum Asylpaket II von 2016 in einem Satz einfach davon ausgeht, der pauschale Ausschluss des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte verstoße nicht gegen Völkerrecht.

Was sagt europäisches Völkerrecht zum Thema?

Auch das regionale europäische Völkerrecht stellt die Familie unter besonderen Schutz, nämlich in Art. 8 EMRK. Hierzu gibt es eine ganze Reihe an Rechtsprechung des EGMR und einige Urteile davon beschäftigen sich auch mit dem Familiennachzug. Darin hat der EGMR immer versucht, die Balance zwischen staatlichem Interesse an Einreiseregulierung und dem Recht auf Schutz der Familie angemessen herzustellen.

„Aus völkerrechtlicher Sicht muss Deutschland alle Verträge, die es mit anderen Staaten geschlossen hat, umsetzen.“

So habe der Staat zwar grundsätzlich das Recht, fremdem Staatsangehörigen die Einreise zu untersagen. Sobald aber Familienrechte und insbesondere solche von Kindern eine Rolle spielen, müssen die Staaten die Abwägung zwischen ihrem Interesse und dem der Familie bzw. der Kinder besonders behutsam vornehmen.

Zudem hat der Menschenrechtskommissar des Europarates strenge und starre Regeln einiger europäischer Staaten, die den Familiennachzug besonders erschweren, in einem Papier von 2017 scharf kritisiert.

Auch hier scheint ein pauschaler Ausschluss von Familiennachzug rechtlich problematisch zu sein.

Jedenfalls bestehen auch hier wieder Bedenken. So enthält das Papier des Menschenrechtskommissars die Empfehlung an die Mitgliedsstaaten des Europarates, nicht zwischen Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention und subsidiär Schutzberechtigten zu unterscheiden, und sicherzustellen, dass die Verwaltungsverfahren zur Familienzusammenführung schnell und flexibel sind, um auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls eingehen zu können.

Welchen Rang haben diese internationalen Regelungen im nationalen Recht?

Innerhalb der deutschen Rechtsordnung stehen völkerrechtliche Verträge auf einer Stufe mit einfachen Bundesgesetzen wie z.B. dem Aufenthalts- oder dem Asylgesetz und somit unterhalb der Verfassung. Würde also ein völkerrechtlicher Vertrag in Widerspruch zum Grundgesetz stehen, so würde das Grundgesetz obsiegen und der Vertrag dürfte in Deutschland nicht umgesetzt werden.

„Es ist für mich jedenfalls nicht ganz leicht vorstellbar, dass Mitglieder des Bundestages die völkerrechtlichen Verträge nicht kennen.“

Aus völkerrechtlicher Sicht allerdings muss Deutschland alle Verträge, die es mit anderen Staaten geschlossen hat, umsetzen. Staaten können sich gegenüber dem Völkerrecht nämlich grundsätzlich nicht auf ihr innerstaatliches Recht – auch nicht auf ihre Verfassung – berufen, um die Nichteinhaltung einer völkerrechtlichen Regel zu rechtfertigen. Würde Deutschland also einen völkerrechtlichen Vertrag durch Nichtumsetzung brechen, so könnte Deutschland dafür auf völkerrechtlicher Ebene in die Verantwortung genommen werden. Das gilt auch für die hier besprochenen Verträge, die die Bundesrepublik Deutschland allesamt ratifiziert hat.

Politiker betonen immer wieder, dass es keinerlei völkerrechtliche Verpflichtung gibt, den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten zuzulassen. Halten Sie es für wahrscheinlich, dass deutsche Bundestagsabgeordnete diese Verträge und die daraus resultierenden Folgen nicht kennen?

Das ist natürlich sehr spekulativ und ich möchte gewiss niemandem unterstellen, dass er das Völkerrecht bewusst missachtet. Allerdings handelt es sich bei den erwähnten Verträgen um sehr prominente menschenrechtliche Regelwerke. Und so hat es in der Debatte ja durchaus immer wieder Stimmen von Abgeordneten, gegeben, die auf die Menschenrechte hingewiesen haben. Außerdem hat sich der wissenschaftliche Dienst des Bundestages 2016, als der Familiennachzug für subsidiär Geschützte zum ersten Mal ausgesetzt wurde, in einer Ausarbeitung mit der Kinderrechtskonvention beschäftigt und Bedenken angemeldet. Insofern ist es für mich jedenfalls nicht ganz leicht vorstellbar, dass Mitglieder des Bundestages diese Verträge nicht kennen. Interview Leitartikel Politik

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