Interview mit Ellen Wesemüller
Wessen Meinung wird mit Hassrede geschützt?
Am 1. Januar ist das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) in Kraft getreten. Es verpflichtet soziale Medien, rechtswidrige Inhalte binnen kurzer Fristen zu löschen. Und das tun die Dienste eifrig, um Bußgelder zu vermeiden. Nun wird über Konflikte mit der freien Meinungsäußerung debattiert. Ellen Wesemüller leitet das vom Europarat ins Leben gerufene No Hate Speech Movement Deutschland. Im Interview spricht sie über die Herausforderung für Medien, Hass keine Plattform zu bieten, die Folgen von Hetze und missverstandene Meinungsfreiheit.
Von Josephine Macfoy Dienstag, 23.01.2018, 6:21 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 23.01.2018, 17:20 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Josephine Macfoy: Wie begegnet das No Hate Speech Movement Hass im Internet?
Ellen Wesemüller: Wir machen auf das Thema aufmerksam und vernetzen Aktivistinnen und Aktivisten, die schon in diesem Feld arbeiten. Gleichzeitig sind wir eine Plattform für Leute, die aktiv gegen Hass im Netz werden wollen, aber nicht so genau wissen, wie. Sie bekommen ganz praktische Handreichungen von uns.
Wie sehen die aus?
Wir geben Anleitung zum Kontern. Man kann zum Beispiel MEMEs mit Statements bei uns herunterladen und sie unter Hasskommentare posten. Auch gibt es Informationstexte, die Fakten bündeln, etwa zum Thema Hass gegen Behinderte. Die schaffen eine Grundlage, um gegen Hetzer zu argumentieren.
Von Hassrede sind neben Minderheiten auch Medien betroffen. Wie wehren diese sich?
„In unseren Redaktionsschu- lungen hören wir oft, dass die Redakteurinnen und Redakteure vor der Flut an Kommentaren kapitulieren. … Die wenigsten Redaktionen haben einen Leitfaden, wie sie damit umgehen.“
„In unseren Redaktionsschu- lungen hören wir oft, dass die Redakteurinnen und Redakteure vor der Flut an Kommentaren kapitulieren. … Die wenigsten Redaktionen haben einen Leitfaden, wie sie damit umgehen.“
Hassrede ist für Medien ein großes Problem, sowohl auf den Internetpräsenzen als auch auf deren sozialen Kanälen. In unseren Redaktionsschulungen hören wir oft, dass die Redakteurinnen und Redakteure vor der Flut an Kommentaren kapitulieren. Bei Focus Online sind es in den Spitzenzeiten 20.000 Kommentare am Tag. Das muss erst einmal bewältigt werden. Die wenigsten Redaktionen haben einen Leitfaden, wie sie damit umgehen. Den entwickeln wir gerade.
Sie sind selbst Journalistin. Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit Hassrede gemacht?
Bei meiner Ausbildung hat das noch keine Rolle gespielt, da es ein relativ neues Phänomen ist. Mir ist Hate Speech bei der Berichterstattung rund um die AfD, aber auch bei anderen Themen wie Gleichstellung oder Feminismus begegnet. Da konnte man sich schon darauf einstellen, dass am nächsten Tag die Kommentarspalten unserer Seite und auch auf Facebook voll sind. Ich habe dann den Kopf eingezogen und dachte: Zwei Tage warten, dann ist es wieder vorbei.
Hat Ihnen das Angst gemacht?
Ja, das hat es. Zumal man nicht weiß, wie sich so etwas weiterentwickeln kann. Hassrede ist ja erst einmal etwas Sprachliches und keine physische Gewalt. Aber die Angst, dass es irgendwann einmal so weit kommen könnte, steht natürlich dahinter. Journalistinnen und Journalisten sowie Aktivistinnen und Aktivisten, die so etwas erlebt haben, zögern eher, noch mitzudiskutieren.
Wie wirkt sich das auf deren Arbeit aus?
„Bei einer Studie haben Journalisten gesagt, Hassrede betrifft sie nicht nur privat, sondern beeinflusst auch den beruflichen Alltag. Sie können sich nicht konzentrieren, haben Schlafstörungen, schrecken vor bestimmten Themen zurück.“
„Bei einer Studie haben Journalisten gesagt, Hassrede betrifft sie nicht nur privat, sondern beeinflusst auch den beruflichen Alltag. Sie können sich nicht konzentrieren, haben Schlafstörungen, schrecken vor bestimmten Themen zurück.“
Ellen Wesemüller: Bei einer Studie im Auftrag des Mediendienstes Integration haben Journalistinnen und Journalisten gesagt, Hassrede betrifft sie nicht nur privat, sondern beeinflusst auch den beruflichen Alltag. Sie können sich nicht konzentrieren, haben Schlafstörungen, schrecken vor bestimmten Themen zurück. Aber ihre Aufgabe ja gerade, unbequem sein und dabei ist Hate Speech ein großes Problem.
Die Rechtslage ist ja eigentlich klar: Freie Meinungsäußerung ist da vorbei, wo zum Beispiel verleumdet wird. Wieso haben trotzdem so viele Menschen eine geringe Hemmschwelle, etwas Menschenverachtendes zu posten?
Es ist rechtlich leider nicht so klar. Es gibt zwei Rechte, die sich dabei gegenüberstehen: das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf persönliche Freiheit und Unversehrtheit. Beide widersprechen sich manchmal. Zudem hat sich so eine Art „Recht auf Kommentieren“ eingeschlichen, was bei journalistischen Medien ja eigentlich gar nicht angelegt ist. Die sind laut Rundfunkstaatsvertrag und Telemediengesetz dafür verantwortlich, dass auf ihren eigenen Webseiten nichts strafrechtlich Relevantes passiert und die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der persönlichen Ehre eingehalten werden – zumindest, wenn sie davon Kenntnis erlangen. Sie haben dort das Hausrecht, also dürfen sie auch Meinungen löschen. Das ist völlig in Ordnung. Aber das gesellschaftliche Bewusstsein hat sich so gedreht, dass so etwas als Zensur wahrgenommen wird und gegen das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist. Wenn die Mehrheit denkt, ihr wird etwas weggenommen, dann muss man anders argumentieren.
Wie argumentieren Sie denn dann?
„Meinungsfreiheit hört da auf, wo persönliche Rechte verletzt werden.“
„Meinungsfreiheit hört da auf, wo persönliche Rechte verletzt werden.“
Wir sagen, Meinungsfreiheit hört da auf, wo persönliche Rechte verletzt werden. Hassrede verhindert sogar Meinungsfreiheit, weil sie Menschen Angst macht, ihre Meinung zu sagen. Leute, die Hass erfahren haben, äußern sich oft nicht mehr. Man kann das Argument mit der Meinungsfreiheit deshalb gut umdrehen und fragen: Wessen Meinungsfreiheit wird denn mit Hassrede geschützt?
Welchen Ratschlag geben Sie Menschen, die persönlich angegriffen werden?
Wenn die Hassrede massiv ist und jemanden bedroht, würde ich dazu raten, sich selbst in Sicherheit zu bringen, auch in psychologischer Hinsicht. Also: abschalten, offline gehen. Ansonsten ist es natürlich immer gut, ein Netzwerk zu haben, damit man Leute bitten kann, mitzuargumentieren und, wenn eine bestimmte Grenze überschritten ist, Hetzter auch gnadenlos zu blocken, zu sperren und dem Netzwerkanbieter zu melden. Aktuell Interview
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