Ugandische Flüchtlingpolitik
20.000 Einwohner-Stadt in Uganda nimmt 200.000 Flüchtlinge auf
Kann eine Kleinstadt mit 20.000 Einwohnern 200.000 Flüchtlinge aufnehmen? In Deutschland vermutlich nicht, im armen Uganda schon. Dort gibt es keine Lager: Flüchtlinge bekommen Land zugewiesen, dürfen arbeiten und sich frei bewegen: Das ist weltweit einzigartig. Von Marc Engelhardt
Von Marc Engelhardt Donnerstag, 21.12.2017, 6:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 16.01.2018, 17:26 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Die heiße Luft flirrt, nur eine einzelne Platane spendet ein bisschen Schatten. Und doch stehen die mehr als 200 neuen Flüchtlinge ganz ruhig da in ordentlichen Reihen, während Godfrey Moyengo sie willkommen heißt. „Es gibt keine Wassertanks, keine Schule, kein Krankenhaus extra für Flüchtlinge, ihr nutzt die gleichen Ressourcen wie die Einheimischen“, hallt Moyengos Stimme scheppernd durch ein Megafon. „Bald seid ihr auch für eure eigene Nahrung verantwortlich – wir geben Euch Land, Saatgut und Geräte.“
Moyengo schwitzt, als er fertig ist. Diese Rede hat der Vizekommandeur der Flüchtlingssiedlung Omugo im Norden Ugandas schon oft gehalten. Seit der Bürgerkrieg im Südsudan im vergangenen Sommer eskaliert ist, hat sich die Zahl der Flüchtlinge in Uganda verdreifacht. Fast 1,4 Millionen sind es inzwischen, eben vor allem Südsudanesen. „Deshalb geht es uns um nachhaltige Lösungen“, sagt Moyengo. „Die Flüchtlinge kriegen Land, sie haben die gleichen Rechte wie Ugander. Flüchtlingslager haben wir keine.“
Während der nächste Laster mit geflohenen Menschen neben der Platane hält, dringt bereits das Geräusch von Macheten aus dem Busch. Lichtungen werden geschlagen, aus Baumstämmen entstehen erste Hütten, die mit Plastikplanen des UN-Flüchtlingshilfswerks bespannt werden. Margrit Yabo sitzt gebückt unter einem Dornbusch und sieht den jungen Männern zu, die mit routinierten Bewegungen ihre Behausung aufbauen. Die 78-jährige hat Unterschenkel wie Streichhölzer, ihre Schultern hängen schlaff nach vorne. Doch ihr Blick ist wach.
„Der Rest meiner Familie wurde umgebracht.“
„Ich bin alleine zu Fuß vom Fluss Yei hierhergelaufen, acht Tage, acht Nächte, mit Gras und Beeren als einzige Nahrung“, sagt sie. Ihr Sohn ist auf dem Weg verschwunden, soll aber schon in Uganda sein. „Der Rest meiner Familie wurde umgebracht, ich konnte meinen Mann nicht einmal begraben, sondern musste laufen, um zu überleben.“ Kaum eine Körperstelle, die Yabo nicht schmerzt, und trotzdem ist sie glücklich. „Hier ist Frieden, ich bete jetzt und hoffe auf Hilfe, egal welche – ich bin dankbar für alles, was ich bekomme.“
Weil Alte wie Margrit Yabo nicht alleine zurechtkommen, springen Nachbarn ein – und professionelle Helfer. Denn die Flüchtlingssiedlungen im Norden Ugandas funktionieren im Kern wie Städte, nur dass Hilfsorganisationen die „kommunalen“ Aufgaben übernehmen. Im „Sozialdezernat“ arbeitet Handicap International, zuständig für Gebrechliche oder anders besonders Hilfsbedürftige. Worldvision kümmert sich um Hunderte unbegleitete Kinder, Malteser International übernimmt die Wasserversorgung. Koordiniert werden die mehr als 80 Organisationen von Regierungsbeamten wie Godfrey Moyengo.
200.000 Flüchtlinge in eine Kleinstadt mit 20.000 Einwohnern
„Hier sind in kürzester Zeit 200.000 Flüchtlinge in eine Kleinstadt mit 20.000 Einwohnern gezogen – das würde selbst jede deutsche Kommune überfordern“, ist sich Jens Hesemann sicher. „Aber in Uganda sind die Kommunen unterentwickelt, haben selber kaum Infrastruktur, deshalb brauchen sie externe Hilfe.“ Der Deutsche ist Koordinator des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Uganda. Er hat schon viele Massenfluchten gesehen, aber keine wie hier. „Die Flüchtlinge leben mit den Ugandern in Dörfern, nach ein, zwei Jahren können sie die Siedlungen nicht mehr voneinander unterscheiden.“
Was derzeit im Norden Ugandas geschieht, ist wohl weltweit einzigartig. 2016 hat die UN-Vollversammlung beschlossen, Nothilfe für Flüchtlinge künftig mit Entwicklungshilfe für Einheimische zu verbinden. Dass das hier gelingt, obwohl täglich so viele Flüchtlinge nachkommen, liegt auch an den Bewohnern. Sie sind es, die das Land hergeben. „Sie sind unsere Brüder und Schwestern, solange im Südsudan Krieg ist, sind sie willkommen“, sagt der Ugander Moses Onama. „Und es hat ja auch Vorteile für uns: bessere Straßen, mehr Arbeit und neue Schulen.“
Die große Gefahr
Natürlich sind nicht alle glücklich. Ugander klagen, auf den Märkten seien die Preise gestiegen. Flüchtlinge wünschen sich mehr oder zumindest fruchtbareres Land. Und die Hilfsorganisationen hoffen, dass irgendwann mehr Ruhe einkehrt. „Im letzten Jahr haben wir fast jeden Monat ein solarbetriebenes Brunnensystem für je 15.000 Leute eingeweiht“, sagt Alexander Tacke-Köster von Malteser International.
Der Bedarf ist riesig, doch es fehlt das Geld. Nur knapp ein Drittel der von den UN kalkulierten Hilfen ist bislang zugesagt worden. „Die große Gefahr ist, dass Uganda Opfer seines eigenen Erfolgs wird“, befürchtet Jens Hesemann vom UNHCR. „Wenn man die Krise nicht mehr sieht, droht das Geld ganz zu versiegen.“ Das aber, da sind sich alle einig, hätte schlimme Folgen. (epd/mig) Ausland Leitartikel
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