"Uni, Beruf und Liebe"
Zuzug aus Israel steigt seit 2009 stark
Seit einigen Jahren ziehen immer mehr junge Israeli nach Deutschland. Auch wenn sie privat rasch Anschluss finden, sehen sich viele politisch zwischen den Stühlen. Jeder fünfte berichtet von Antisemitismus. Adi Hagin kam vor drei Jahren aus Tel Aviv.
Von Jens Bayer-Gimm Montag, 02.10.2017, 4:25 Uhr|zuletzt aktualisiert: Sonntag, 08.10.2017, 11:54 Uhr Lesedauer: 4 Minuten |
Junge Israeli haben die Auswanderung nach Deutschland entdeckt, so scheint es. Gut 70 Jahre nach dem Holocaust leben Schätzungen zufolge rund 20.000 zugewanderte Israeli im Land der Täter. „Israeli kommen wegen der Uni, dem Beruf oder der Liebe nach Deutschland“, sagt Adi Hagin. Bei der Wirtschaftsjournalistin war es Letzteres. Sie lernte einen Deutschen kennen und zog nach zwei Jahren Fernbeziehung vor drei Jahren aus Tel Aviv nach Frankfurt am Main.
Die junge Frau war schon als Kind mit der Familie nach Deutschland gereist und hatte beruflich in Berlin zu tun. „Ich fühle mich hier willkommen“, sagt sie. Kulturell fühlt sie sich nahe, da ihre Vorfahren als „Aschkenasim“ aus Europa stammten. Mit der Familie ihres Mannes gebe es keinerlei Probleme, da sie und ihr Mann säkular eingestellt seien. Ganz praktisch spreche für Deutschland: „In Israel wäre eine säkulare Heirat nicht möglich.“
Rassismus gegen Nichtjuden
„Ich bin nicht religiös, das Jüdischsein ist meine kulturelle Herkunft“, sagt Hagin. Kontakt zur Jüdischen Gemeinde pflegt sie daher nicht: „Ich fühle mich einem israelischen Araber näher als einem in Deutschland aufgewachsenen Juden.“ Allerdings fragt sie sich, wie sie später ihren Kindern erklären soll, dass die Vorfahren des Vaters Täter und die der Mutter deren Opfer waren.
In Israel hat Hagin nach eigenen Worten an gewaltfreien Protestaktionen gegen die Besetzung palästinensischer Gebiete teilgenommen. Mit ihrer Heimat geht sie hart ins Gericht: „Ich könnte wegen des Rassismus gegen Nichtjuden jetzt nicht in Israel leben.“ Dennoch hält sie fest: „Tel Aviv wird immer meine Heimat sein.“
Säkular, politisch moderat bis links
Hagin sei durchaus typisch für die Israeli, die in den vergangenen Jahren in die Bundesrepublik eingewandert sind, sagt die Wuppertaler Sozialwissenschaftlerin Dani Kranz. Sie hat anhand von 800 Befragungen und demografischen Daten eine Studie darüber erstellt. Die große Mehrheit sei jünger als 40, habe einen Hochschulabschluss, sei säkular eingestellt, politisch „moderat bis links“ und habe europäische Vorfahren. Gut die Hälfte habe Vorfahren, die den Holocaust erlebt und überlebt hätten. 30 Prozent seien Nachkommen deutscher Juden.
Das am häufigsten in Kranz‘ Studie genannte Motiv für eine Einwanderung nach Deutschland sind die Berufsmöglichkeiten, gefolgt von Entdeckerlust und Interesse an deutscher Kultur. An dritter Stelle nennen die Befragten die Bildungsmöglichkeiten in Deutschland. Entsprechend stehe bei den Gründen für die Auswanderung aus Israel die negative Einschätzung der beruflichen Entwicklung ganz oben. Ihr folgen die Unzufriedenheit über den Einfluss der Religion auf das Privatleben in Israel sowie über die politische Situation und Unsicherheit.
Zuzug aus Israel steig
Der Zuzug aus Israel ist nach Kranz‘ Untersuchungen vor allem seit 2009 steil nach oben gegangen. Bei den begehrten Städten lag Stand Ende 2015 Berlin mit 6.900 israelischen Einwanderern vorn, gefolgt von München mit 1.500 und Frankfurt mit 1.200. Mehr als 80 Prozent der Befragten gaben an, dass es für sie nicht schwer sei, in Deutschland zu leben, trotz des Wissens, dass während der NS-Diktatur sechs Millionen Juden ermordet wurden. Viele hätten deutsche Freunde, mehr als die Hälfte der verheirateten Israeli sei mit Deutschen verheiratet.
Allerdings berichtet auch ein Fünftel der Befragten von Erfahrungen mit Antisemitismus – häufig in Bezug auf israelfeindliche Einstellungen. Die israelischen Migranten säßen in Israel wie in Deutschland politisch zwischen den Stühlen, erläutert Kranz. In Israel fühlten sie sich als säkulare Linke heimatlos. In Deutschland unterstütze die Rechte die von den Migranten meist abgelehnte, rechtsnationalistische israelische Regierung, während die deutsche Linke die eingewanderten Israeli wegen der Politik der israelischen Regierung angreife.
„In Deutschland geht es ruhiger zu.“
Mordechai Barak kam als Kommunikationswissenschaftler vor neun Jahren nach Frankfurt, um eine Stelle bei einer Fluggesellschaft anzutreten. An Deutschland gefallen ihm Wetter und Mentalität: „In Israel ist es nicht nur heißer, auch schneller und hektischer – in Deutschland geht es ruhiger zu.“ Vor eineinhalb Jahren stieg Barak beruflich um: „Ich machte meinen Traum wahr.“ Er eröffnete in Frankfurt ein Café mit angeschlossener Bäckerei.
Den Namen setzte er aus seinem Spitznamen und Schokolade zusammen: Café Morcolade. Ein Café trage zu seinem Wunsch nach Weltfrieden bei, ist Barak überzeugt: „Schokolade und Kuchen entspannen Körper und Geist.“ In seinem Café gibt es deutschen Kuchen und israelische gefüllte Teigtaschen oder süße Hörnchen. Der Kundenzulauf belohnt seine Fusion der Kulturen, inzwischen bestellt auch ein anderes Café seine Leckereien. Mordechai Barak hat inzwischen einen deutschen und einen israelischen Pass – und feiert die deutschen und israelischen Feste gleichermaßen. (epd/mig) Gesellschaft Leitartikel
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Man vermag es als Nachkomme der Täter eigentlich gar nicht zu glauben. Ausgerechnet nach Deutschland zieht es Juden aus allen möglichen Ländern, gar aus Israel. Und das auch noch in Zeiten, in denen nicht wenige Deutsche mit latentem oder offenem Antisemitismus, zumindest aber mit eben solchem Anti-Israelismus infiziert sind. Und zwar sowohl von linkem wie auch rechtem! Die Einen, Antifas, leider viele Linksintellektuelle oder solche mit arabischem Migrationshintergrund, hassen Israel wegen seiner Palästina Politik. Die Anderen, weitaus Schlimmeren, hassen eh alles was jüdisch ist. Nun darf mit Fug und Recht behauptet werden, dass die politisch-wirtschaftlich-publizistische Klasse hierzulande, aus mehr als verständlichen Gründen, Antisemitismus und Israelhass weitaus stärker stigmatisiert als das anderswo geschieht, so dass manche es nicht so recht wagen aus ihren Schlangengruben zu kriechen. Diese Art „Scham“ ist allerdings dabei in Zeiten von Social Media, Blogs und Foren und „Blasen“ rapide abzunehmen. Insofern ist das Vertrauen, dass insbesondere offenbar junge Israelis in dieses Land setzen, und das trotz seiner entsetzlichen Vergangenheit, weit mehr als nur erstaunlich! Es ist die Frucht einer jahrzehntelangen, oft aufopferungsvollen Friedens- und Versöhnungsarbeit vieler Deutscher, vor allem aber der unglaublich großen Versöhnungsbereitschaft so vieler überlebender Opfer der Shoa! Und wunderbarerweise wird von der überwiegenden Mehrheit der Juden die Scham der allermeisten „Nachgeborenen“ im Täterland als ehrlich und glaubwürdig wahrgenommen. Dies ist wahrhaftig alles andere als selbstverständlich. Das als Deutscher sagen zu dürfen grenzt, nur 72 Jahre nach Auschwitz, an ein Wunder der Menschheitsgeschichte!
@Josef Clemens Artzdorf, das ist doch totaler Quatsch, was Sie hier absondern.
Auch wenn Sie es hier so penetrant behaupten, es ist ganz sicher nicht Ihr persönliches ur-eigenes Verdienst als „Deutscher“, und ganz gewiss auch nicht Ihre persönliche ur-eigene „Frucht einer jahrzehntelangen, oft aufopferungsvollen Friedens- und Versöhnungsarbeit“, oder gar Ihre eigene „entsetzliche Vergangenheit“ oder Ihre selbst auferlegte Opferrolle als Spätgeburt der „Nachkommen der Täter“, die heute immer mehr israelische Juden dazu bewegt, nach Deutschland ein- bzw. auszuwandern.
Lesen Sie doch einfach mal den Artikel. Da steht was von zwischenmenschlicher Liebe, was die jeweilige Motivation betrifft. Oder von beruflichen Bildungsmöglichkeiten. Und falls Ihnen das immer noch nicht reicht, vor einiger Zeit berichteten israelische Zeitungen, dass der Schoko-Pudding in Berlin sehr viel billiger ist als der in Tel Aviv.
Brauchen Sie noch mehr Gründe? Meine Meinung: Für 99,999… Prozent aller Deutschen sind diese Juden herzlich willkommen. Und selbst die allerletzten Nazis und Antisemiten dürften solche Juden doch immer noch sehr viel sympathischer finden als zum Vergleich diejenigen islamistischen Terroristen, die wohl in sehr viel grösserer Anzahl hier einwandern.
Wir brauchen Physiker für die Großforschungseinrichtung CERN, und ebenso brauchen wir Schoko-Bäcker in Berlin. Und vor allem brauchen wir alle freundliche Nachbarn. Und wenn die dann aus Israel kommen und sich hier integrieren, umso besser. Was wir aber definitiv nicht brauchen, sind Parallelgesellschaften. Nicht die von Nazis, von Islamisten, von Gutmenschen, oder von sonstigen Schuldkultbesoffenen. Das ist der kleine feine Unterschied zwischen kultureller Bereicherung und sozialer Verelendung.